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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Stahrs nur als ein um so gröberer. Hat jenen beiden eine politische Idee
vorgeschwebt, so kann es nur die gewesen sein, schon jetzt die Trennung der
römischen und der orientalisch-griechischen Welt durchzuführen, die sich dann
im vierten Jahrhundert wirklich vollzogen hat, und in einer etwas romanisirten
Fon die Alexandcnnonarchie fortzusetzen. Jeder nicht ganz hoffnungslose
Rettungsversuch müßte hiervon ausgehen und das folgerichtig durchzuführen
suchen. Allein wir hegen die ernstesten Zweifel, ob sich an dem Bilde, welches
uns Plutarch hinterlassen hat, überhaupt Wesentliches retouchiren laßt: wir
vermissen in dem Treiben der beiden jede Spur einer über den nächsten Augen¬
blick hinaussehenden Berechnung; mag in dem Nebenwerke Einzelnes übertrieben
oder entstellt sein, die Thatsachen sprechen zu laut, vor allem das Uebergehen
der ältesten und erprobtesten Anhänger des Antonius vor der Entscheidungs¬
schlacht, der maßgebende Einfluß des eitlen Weibes im Kriegsrathe, ihre feige
Flucht in einem Momente, wo ihre Existenz auf dem Spiele stand, das ge¬
wissenlose Imstichlassen des treuen Heeres durch Antonius, um ihr nachzueilen.
Wir können Herrn Stahr das Lob nicht versagen, daß er dem Leser die
Jämmerlichkeit beider durch seine fortgesetzten schwächlichen Beschönigungs¬
versuche erst recht zum Bewußtsein gebracht hat. Es wird wohl dabei bleiben,
daß Kleopatra keine höheren Ziele gehabt hat, als die Befriedigung weiblicher
Herrschsucht und Eitelkeit, und daß Antonius ein im Grunde braver, nur
dem Bachus und der Venus über die Maßen ergebener Militär gewesen
ist, der nach einer stürmisch durchlebten Jugend einer mit allen Hunden gehetzten
Kokette in die Hände fällt, bei der er allerdings den höheren Schliff erhält,
dafür aber sich vcrliegt und sein Handeln gegen bessere Einsicht ihren klein¬
lichen Gesichtspunkten unterordnet. Kurz, der politische Standpunkt ist bei
einem Rettungsversuche des Paars womöglich noch übler angebracht wie der
moralische.

Der neueste Retter legt denn auch das Hauptgewicht darauf, daß Antonius
und Kleopatra Ritter vom Geiste gewesen seien. Herr Stahr ist so galant,
alles an Kleopatra genial zu finden: als sie sich in einen Teppich gewickelt zu
einem Stelldichein mit Cäsar tragen läßt, redet Herr Stahr von der Anmuth
und "Würde", mit der Kleopatra sich ihm aufgedrungen hahe, und geräth in
Ekstase über die übermüthige Kühnheit dieses Wagnisses; und selbst die bekannte
Anekdote vom Auflösen der kostbaren Perle in einer Säure, um die Genug¬
thuung zu haben, zehn Millionen Sestertien auf einmal verschlucken zu können,
zeigt Herrn Stahr im schlimmsten Falle nur den genialen Uebermuth der
"schönen Zaubrcrin vom Nil". Hier scheint uns Herr Stahr geniale und
brutale Genußsucht zu verwechseln. Nur "moderne Stubengelehrte, die nie
den Sturm der Leidenschaft im eignen Innern empfunden und ausgelebt haben",
können -- versichert Herr Stahr S. t24 mit einem mitleidigen Seitenblick auf


Stahrs nur als ein um so gröberer. Hat jenen beiden eine politische Idee
vorgeschwebt, so kann es nur die gewesen sein, schon jetzt die Trennung der
römischen und der orientalisch-griechischen Welt durchzuführen, die sich dann
im vierten Jahrhundert wirklich vollzogen hat, und in einer etwas romanisirten
Fon die Alexandcnnonarchie fortzusetzen. Jeder nicht ganz hoffnungslose
Rettungsversuch müßte hiervon ausgehen und das folgerichtig durchzuführen
suchen. Allein wir hegen die ernstesten Zweifel, ob sich an dem Bilde, welches
uns Plutarch hinterlassen hat, überhaupt Wesentliches retouchiren laßt: wir
vermissen in dem Treiben der beiden jede Spur einer über den nächsten Augen¬
blick hinaussehenden Berechnung; mag in dem Nebenwerke Einzelnes übertrieben
oder entstellt sein, die Thatsachen sprechen zu laut, vor allem das Uebergehen
der ältesten und erprobtesten Anhänger des Antonius vor der Entscheidungs¬
schlacht, der maßgebende Einfluß des eitlen Weibes im Kriegsrathe, ihre feige
Flucht in einem Momente, wo ihre Existenz auf dem Spiele stand, das ge¬
wissenlose Imstichlassen des treuen Heeres durch Antonius, um ihr nachzueilen.
Wir können Herrn Stahr das Lob nicht versagen, daß er dem Leser die
Jämmerlichkeit beider durch seine fortgesetzten schwächlichen Beschönigungs¬
versuche erst recht zum Bewußtsein gebracht hat. Es wird wohl dabei bleiben,
daß Kleopatra keine höheren Ziele gehabt hat, als die Befriedigung weiblicher
Herrschsucht und Eitelkeit, und daß Antonius ein im Grunde braver, nur
dem Bachus und der Venus über die Maßen ergebener Militär gewesen
ist, der nach einer stürmisch durchlebten Jugend einer mit allen Hunden gehetzten
Kokette in die Hände fällt, bei der er allerdings den höheren Schliff erhält,
dafür aber sich vcrliegt und sein Handeln gegen bessere Einsicht ihren klein¬
lichen Gesichtspunkten unterordnet. Kurz, der politische Standpunkt ist bei
einem Rettungsversuche des Paars womöglich noch übler angebracht wie der
moralische.

Der neueste Retter legt denn auch das Hauptgewicht darauf, daß Antonius
und Kleopatra Ritter vom Geiste gewesen seien. Herr Stahr ist so galant,
alles an Kleopatra genial zu finden: als sie sich in einen Teppich gewickelt zu
einem Stelldichein mit Cäsar tragen läßt, redet Herr Stahr von der Anmuth
und „Würde", mit der Kleopatra sich ihm aufgedrungen hahe, und geräth in
Ekstase über die übermüthige Kühnheit dieses Wagnisses; und selbst die bekannte
Anekdote vom Auflösen der kostbaren Perle in einer Säure, um die Genug¬
thuung zu haben, zehn Millionen Sestertien auf einmal verschlucken zu können,
zeigt Herrn Stahr im schlimmsten Falle nur den genialen Uebermuth der
„schönen Zaubrcrin vom Nil". Hier scheint uns Herr Stahr geniale und
brutale Genußsucht zu verwechseln. Nur „moderne Stubengelehrte, die nie
den Sturm der Leidenschaft im eignen Innern empfunden und ausgelebt haben",
können — versichert Herr Stahr S. t24 mit einem mitleidigen Seitenblick auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/94>, abgerufen am 26.06.2024.