Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stehenden, von beiden unabhängigen Macht zu erheben. Jammerschade, das;
das zwei Ziele sind, die sich einander ausschließen, so daß nothwendig ent¬
weder Kleopatra oder Herr Stahr nicht gewußt haben, was sie wollten.*)
Das Bestreben des Octavianus, in der Weise, wie es Louis Philipp mit
Louis Napoleon machte, den Antonius als i'-zuno 6touräi hinzustellen, der
politisch unzurechnungsfähig sei, schimmert freilich aus unseren Quellen noch
deutlich hervor; nicht minder gewiß aber ist es, daß Octavianus zu seinem
Urtheile besseren Grund hatte als Louis Philipp. Daß in den Berichten von
Antonius und Klcopatras letzten Schicksalen mancher Zug im Interesse Octa-
vians verfälscht worden ist, wußte man schon vor Herrn Stahr; dessen eigene
weitere Rettungsvorschläge sind von etwas zweifelhaftem Werthe. Daß An¬
tonius aus Ungeduld nach der Wiedervereinigung mit Kleopatra sich bei dem
Feldzuge gegen die Parther übereilte, mag gehässige Insinuation der Gegner
sein; daß er sich übereilte und daß diese Uebereilung sammt der Unkenntnis; des
Terrains der wesentliche Grund des Scheiterns der Expedition gewesen ist, der
wirkliche oder vermeintliche Verrath des Artavasdcs nur als ein untergeordnetes
Moment hinzukam, ist aber deutlich genug. Herr Stahr enthüllt uns dagegen
einen schwarzen Verrath, den Octavianus durch Artavasdes gesponnen habe,
und beruft sich dafür kurzweg auf Dio, der mehre Jahre später von Ver¬
bindungen spricht, in denen der Armenierkönig mit Octavianus gestanden
habe; viel wahrscheinlicher schreiben sich diese aus der Zeit her, nachdem An¬
tonius sich mit dem Mederkönige, Artavasdes Erbfeinde, alliirt hatte.
Der die Römer tödtlich verletzende Pomp, mit dem Antonius und Kleo¬
patra sich als neuer Dionysos und neue Isis, ihre Kinder als Könige der
Könige proclamirten, war nach S. 161 keine sinnlose Mummerei, sondern
ein Act von hoher politischer Bedeutung, eine der Volksreligion ihrer grie¬
chischen und ägyptischen Unterthanen dargebrachte Huldigung. Zugegeben:
war aber eine solche Huldigung nöthig, um sich den Gehorsam derselben zu
erhalten? und war es der orientalische Sklaventrvß oder die römischen Legionen,
auf denen in letzter Instanz die Hoffnung des Sieges für Antonius beruhte?
Der politische Fehler erscheint also in der apologetischen Beleuchtung Herrn



") Man wundre sich hierüber nicht! fehlt es doch nicht ein Belegen noch stärkerer Zer¬
streutheit Herrn Stahrs. So sagt er über die Proben, die Kleopatra zur Ermittlung der
angenehmsten Todesart in ihrer Gegenwart ein Verbrechern habe vornehmen lassen, S, 240,
ein Dichter habe, was höchstens im Geheimen, in der Stille ihres Palastes, unter Zuziehung
ihres Leibarztes Olympus, von Kleopatra versucht ward, um das Pathetische des Grausamen
zu steigern, in die Öffentlichkeit des Marktes verseht; S. 242 aber wird uns erklärt: "jene
Tvdesvorbercitnngcn und Giftvcrsuchc waren ganz offen betrieben worden, eben weil sie wollte,
daß ihr Gegner davon Kunde erhalte." Herr Stahr beschwert sich S. VII. über die Gedanken¬
losigkeit seiner Vorgänger: vielleicht ist er ihnen in Fällen wie dieser zu vertrauend gefolgt.
11* '

stehenden, von beiden unabhängigen Macht zu erheben. Jammerschade, das;
das zwei Ziele sind, die sich einander ausschließen, so daß nothwendig ent¬
weder Kleopatra oder Herr Stahr nicht gewußt haben, was sie wollten.*)
Das Bestreben des Octavianus, in der Weise, wie es Louis Philipp mit
Louis Napoleon machte, den Antonius als i'-zuno 6touräi hinzustellen, der
politisch unzurechnungsfähig sei, schimmert freilich aus unseren Quellen noch
deutlich hervor; nicht minder gewiß aber ist es, daß Octavianus zu seinem
Urtheile besseren Grund hatte als Louis Philipp. Daß in den Berichten von
Antonius und Klcopatras letzten Schicksalen mancher Zug im Interesse Octa-
vians verfälscht worden ist, wußte man schon vor Herrn Stahr; dessen eigene
weitere Rettungsvorschläge sind von etwas zweifelhaftem Werthe. Daß An¬
tonius aus Ungeduld nach der Wiedervereinigung mit Kleopatra sich bei dem
Feldzuge gegen die Parther übereilte, mag gehässige Insinuation der Gegner
sein; daß er sich übereilte und daß diese Uebereilung sammt der Unkenntnis; des
Terrains der wesentliche Grund des Scheiterns der Expedition gewesen ist, der
wirkliche oder vermeintliche Verrath des Artavasdcs nur als ein untergeordnetes
Moment hinzukam, ist aber deutlich genug. Herr Stahr enthüllt uns dagegen
einen schwarzen Verrath, den Octavianus durch Artavasdes gesponnen habe,
und beruft sich dafür kurzweg auf Dio, der mehre Jahre später von Ver¬
bindungen spricht, in denen der Armenierkönig mit Octavianus gestanden
habe; viel wahrscheinlicher schreiben sich diese aus der Zeit her, nachdem An¬
tonius sich mit dem Mederkönige, Artavasdes Erbfeinde, alliirt hatte.
Der die Römer tödtlich verletzende Pomp, mit dem Antonius und Kleo¬
patra sich als neuer Dionysos und neue Isis, ihre Kinder als Könige der
Könige proclamirten, war nach S. 161 keine sinnlose Mummerei, sondern
ein Act von hoher politischer Bedeutung, eine der Volksreligion ihrer grie¬
chischen und ägyptischen Unterthanen dargebrachte Huldigung. Zugegeben:
war aber eine solche Huldigung nöthig, um sich den Gehorsam derselben zu
erhalten? und war es der orientalische Sklaventrvß oder die römischen Legionen,
auf denen in letzter Instanz die Hoffnung des Sieges für Antonius beruhte?
Der politische Fehler erscheint also in der apologetischen Beleuchtung Herrn



") Man wundre sich hierüber nicht! fehlt es doch nicht ein Belegen noch stärkerer Zer¬
streutheit Herrn Stahrs. So sagt er über die Proben, die Kleopatra zur Ermittlung der
angenehmsten Todesart in ihrer Gegenwart ein Verbrechern habe vornehmen lassen, S, 240,
ein Dichter habe, was höchstens im Geheimen, in der Stille ihres Palastes, unter Zuziehung
ihres Leibarztes Olympus, von Kleopatra versucht ward, um das Pathetische des Grausamen
zu steigern, in die Öffentlichkeit des Marktes verseht; S. 242 aber wird uns erklärt: „jene
Tvdesvorbercitnngcn und Giftvcrsuchc waren ganz offen betrieben worden, eben weil sie wollte,
daß ihr Gegner davon Kunde erhalte." Herr Stahr beschwert sich S. VII. über die Gedanken¬
losigkeit seiner Vorgänger: vielleicht ist er ihnen in Fällen wie dieser zu vertrauend gefolgt.
11* '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282890"/>
          <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277" next="#ID_279"> stehenden, von beiden unabhängigen Macht zu erheben. Jammerschade, das;<lb/>
das zwei Ziele sind, die sich einander ausschließen, so daß nothwendig ent¬<lb/>
weder Kleopatra oder Herr Stahr nicht gewußt haben, was sie wollten.*)<lb/>
Das Bestreben des Octavianus, in der Weise, wie es Louis Philipp mit<lb/>
Louis Napoleon machte, den Antonius als i'-zuno 6touräi hinzustellen, der<lb/>
politisch unzurechnungsfähig sei, schimmert freilich aus unseren Quellen noch<lb/>
deutlich hervor; nicht minder gewiß aber ist es, daß Octavianus zu seinem<lb/>
Urtheile besseren Grund hatte als Louis Philipp. Daß in den Berichten von<lb/>
Antonius und Klcopatras letzten Schicksalen mancher Zug im Interesse Octa-<lb/>
vians verfälscht worden ist, wußte man schon vor Herrn Stahr; dessen eigene<lb/>
weitere Rettungsvorschläge sind von etwas zweifelhaftem Werthe. Daß An¬<lb/>
tonius aus Ungeduld nach der Wiedervereinigung mit Kleopatra sich bei dem<lb/>
Feldzuge gegen die Parther übereilte, mag gehässige Insinuation der Gegner<lb/>
sein; daß er sich übereilte und daß diese Uebereilung sammt der Unkenntnis; des<lb/>
Terrains der wesentliche Grund des Scheiterns der Expedition gewesen ist, der<lb/>
wirkliche oder vermeintliche Verrath des Artavasdcs nur als ein untergeordnetes<lb/>
Moment hinzukam, ist aber deutlich genug. Herr Stahr enthüllt uns dagegen<lb/>
einen schwarzen Verrath, den Octavianus durch Artavasdes gesponnen habe,<lb/>
und beruft sich dafür kurzweg auf Dio, der mehre Jahre später von Ver¬<lb/>
bindungen spricht, in denen der Armenierkönig mit Octavianus gestanden<lb/>
habe; viel wahrscheinlicher schreiben sich diese aus der Zeit her, nachdem An¬<lb/>
tonius sich mit dem Mederkönige, Artavasdes Erbfeinde, alliirt hatte.<lb/>
Der die Römer tödtlich verletzende Pomp, mit dem Antonius und Kleo¬<lb/>
patra sich als neuer Dionysos und neue Isis, ihre Kinder als Könige der<lb/>
Könige proclamirten, war nach S. 161 keine sinnlose Mummerei, sondern<lb/>
ein Act von hoher politischer Bedeutung, eine der Volksreligion ihrer grie¬<lb/>
chischen und ägyptischen Unterthanen dargebrachte Huldigung. Zugegeben:<lb/>
war aber eine solche Huldigung nöthig, um sich den Gehorsam derselben zu<lb/>
erhalten? und war es der orientalische Sklaventrvß oder die römischen Legionen,<lb/>
auf denen in letzter Instanz die Hoffnung des Sieges für Antonius beruhte?<lb/>
Der politische Fehler erscheint also in der apologetischen Beleuchtung Herrn</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> ") Man wundre sich hierüber nicht! fehlt es doch nicht ein Belegen noch stärkerer Zer¬<lb/>
streutheit Herrn Stahrs. So sagt er über die Proben, die Kleopatra zur Ermittlung der<lb/>
angenehmsten Todesart in ihrer Gegenwart ein Verbrechern habe vornehmen lassen, S, 240,<lb/>
ein Dichter habe, was höchstens im Geheimen, in der Stille ihres Palastes, unter Zuziehung<lb/>
ihres Leibarztes Olympus, von Kleopatra versucht ward, um das Pathetische des Grausamen<lb/>
zu steigern, in die Öffentlichkeit des Marktes verseht; S. 242 aber wird uns erklärt: &#x201E;jene<lb/>
Tvdesvorbercitnngcn und Giftvcrsuchc waren ganz offen betrieben worden, eben weil sie wollte,<lb/>
daß ihr Gegner davon Kunde erhalte." Herr Stahr beschwert sich S. VII. über die Gedanken¬<lb/>
losigkeit seiner Vorgänger: vielleicht ist er ihnen in Fällen wie dieser zu vertrauend gefolgt.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 11* '</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] stehenden, von beiden unabhängigen Macht zu erheben. Jammerschade, das; das zwei Ziele sind, die sich einander ausschließen, so daß nothwendig ent¬ weder Kleopatra oder Herr Stahr nicht gewußt haben, was sie wollten.*) Das Bestreben des Octavianus, in der Weise, wie es Louis Philipp mit Louis Napoleon machte, den Antonius als i'-zuno 6touräi hinzustellen, der politisch unzurechnungsfähig sei, schimmert freilich aus unseren Quellen noch deutlich hervor; nicht minder gewiß aber ist es, daß Octavianus zu seinem Urtheile besseren Grund hatte als Louis Philipp. Daß in den Berichten von Antonius und Klcopatras letzten Schicksalen mancher Zug im Interesse Octa- vians verfälscht worden ist, wußte man schon vor Herrn Stahr; dessen eigene weitere Rettungsvorschläge sind von etwas zweifelhaftem Werthe. Daß An¬ tonius aus Ungeduld nach der Wiedervereinigung mit Kleopatra sich bei dem Feldzuge gegen die Parther übereilte, mag gehässige Insinuation der Gegner sein; daß er sich übereilte und daß diese Uebereilung sammt der Unkenntnis; des Terrains der wesentliche Grund des Scheiterns der Expedition gewesen ist, der wirkliche oder vermeintliche Verrath des Artavasdcs nur als ein untergeordnetes Moment hinzukam, ist aber deutlich genug. Herr Stahr enthüllt uns dagegen einen schwarzen Verrath, den Octavianus durch Artavasdes gesponnen habe, und beruft sich dafür kurzweg auf Dio, der mehre Jahre später von Ver¬ bindungen spricht, in denen der Armenierkönig mit Octavianus gestanden habe; viel wahrscheinlicher schreiben sich diese aus der Zeit her, nachdem An¬ tonius sich mit dem Mederkönige, Artavasdes Erbfeinde, alliirt hatte. Der die Römer tödtlich verletzende Pomp, mit dem Antonius und Kleo¬ patra sich als neuer Dionysos und neue Isis, ihre Kinder als Könige der Könige proclamirten, war nach S. 161 keine sinnlose Mummerei, sondern ein Act von hoher politischer Bedeutung, eine der Volksreligion ihrer grie¬ chischen und ägyptischen Unterthanen dargebrachte Huldigung. Zugegeben: war aber eine solche Huldigung nöthig, um sich den Gehorsam derselben zu erhalten? und war es der orientalische Sklaventrvß oder die römischen Legionen, auf denen in letzter Instanz die Hoffnung des Sieges für Antonius beruhte? Der politische Fehler erscheint also in der apologetischen Beleuchtung Herrn ") Man wundre sich hierüber nicht! fehlt es doch nicht ein Belegen noch stärkerer Zer¬ streutheit Herrn Stahrs. So sagt er über die Proben, die Kleopatra zur Ermittlung der angenehmsten Todesart in ihrer Gegenwart ein Verbrechern habe vornehmen lassen, S, 240, ein Dichter habe, was höchstens im Geheimen, in der Stille ihres Palastes, unter Zuziehung ihres Leibarztes Olympus, von Kleopatra versucht ward, um das Pathetische des Grausamen zu steigern, in die Öffentlichkeit des Marktes verseht; S. 242 aber wird uns erklärt: „jene Tvdesvorbercitnngcn und Giftvcrsuchc waren ganz offen betrieben worden, eben weil sie wollte, daß ihr Gegner davon Kunde erhalte." Herr Stahr beschwert sich S. VII. über die Gedanken¬ losigkeit seiner Vorgänger: vielleicht ist er ihnen in Fällen wie dieser zu vertrauend gefolgt. 11* '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/93>, abgerufen am 26.06.2024.