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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Drumann -- in dem Benehmen des Antonius gegen die edle Octavia bloße
niedrige Untreue eines wankelmüthigen und blasirten Wüstlings sehen. Wenn
Antonius, meint Herr Stahr, drei Jahre friedlich an Octavias Seite gelebt,
so sei das nicht zu verwundern gewesen, da Antonius überhaupt immer unter
dem Pantoffel gestanden und selbst neben einer Fulvia ausgehalten habe; zwar
Antonius sei nicht blind für ihre Tugenden gewesen, wohl aber habe Octavia
kein Verständniß für die geniale Liederlichkeit ihres Gemahls gehabt, mit einem
Worte, sie sei zu tugendhaft für ihn gewesen (S. 126): so sei denn, als
Antonius die Octavia treulos verließ, nur geschehen, was geschehen mußte.
Eine seltsame Rettung! Wir sind in der That in Verlegenheit, ob wir Herrn
Stahr mehr bedauern sollen, daß er bei seinem Streben zu retten gerade auf
Kleopatra und Antonius verfallen mußte, oder das unglückliche Paar, daß es
gerade von Herrn Stahr gerettet werden mußte.

Nicht jeden schuf Mutter Natur zum Historiker, nicht jeden zum Advocaten;
es wäre Grausamkeit, gerade von Herrn Stahr zu verlangen, daß er hätte
beides sein sollen. Er ist vor allem Stilist und wollte wohl auch hier vor
allem einen stilistischen Triumph feiern. An Blumen fehlt es seiner Darstellung
nicht. Ein alter Dichter, wir glauben Lucan, hat Kleopatra die Helena am
Nil genannt; diese Phrase hat Herrn Stahr zur Nachahmung begeistert, Antonius
ist ihm Rinaldo in den Zaubergärten Armidens, beide Vergleiche werden das
ganze Buch hindurch fast Seite für Seite wiederholt: wenn der Leser an diesem
Todthetzen Eines Gedankens weniger Gefallen empfindet als der Verfasser, so
ist das des Lesers eigne Schuld. Daß ,der Stil schlaff und schlottrig ist und
mehr den Ton des Feuilletons als den der Geschichtschreibung anschlägt, wird
geschickte Berechnung sein, um im Leser einen harmonischen Eindruck hervorzu¬
rufen: schlaff und schlotterig sind ja auch die von Herrn Stahr gezeichneten
Charaktere; nur stilistische Pedanten werden an dem Sultan Mithndates oder
an der Tageslöwin Cytheris Anstoß nehmen. Hören wir lieber, wie ergreifend
Herr Stahr S. 214 die Schlacht bei Antium zu schildern weiß: "Kein Rauch
des Geschützfeuers hüllte, wie in unseren Tagen, das grause Schauspiel in
seine dunklen Schleier, sondern der helle Tag beschien den fürchterlichen Kampf!"
Bedauerlich! Noch bedauerlicher aber, daß wir uns den Genuß dieser Pracht¬
stelle durch den schon genannten Untertertianer mit der Bemerkung vergällen
lassen mußten, es wäre noch viel mehr zum Erstaunen gewesen, wenn man
sich 31 vor Christus bei nachtschlafender Zeit mit Kanonen beschossen hätte.
Unser junger Freund ist eben eine prosaische Natur! Was für ein verstocktes
Gemüth muß das sein, das bei so schönen Stellen wie S. 29 unempfindlich
bleibt! Da wird Kleopatra eingeführt als "das Weib, das als die Königin
dieses wilden Carnevals die romantische Personification desselben in ihrem eignen
Leben darstellen sollte, wie ihr Ausgang den düstern Aschermittwoch desselben


Drumann — in dem Benehmen des Antonius gegen die edle Octavia bloße
niedrige Untreue eines wankelmüthigen und blasirten Wüstlings sehen. Wenn
Antonius, meint Herr Stahr, drei Jahre friedlich an Octavias Seite gelebt,
so sei das nicht zu verwundern gewesen, da Antonius überhaupt immer unter
dem Pantoffel gestanden und selbst neben einer Fulvia ausgehalten habe; zwar
Antonius sei nicht blind für ihre Tugenden gewesen, wohl aber habe Octavia
kein Verständniß für die geniale Liederlichkeit ihres Gemahls gehabt, mit einem
Worte, sie sei zu tugendhaft für ihn gewesen (S. 126): so sei denn, als
Antonius die Octavia treulos verließ, nur geschehen, was geschehen mußte.
Eine seltsame Rettung! Wir sind in der That in Verlegenheit, ob wir Herrn
Stahr mehr bedauern sollen, daß er bei seinem Streben zu retten gerade auf
Kleopatra und Antonius verfallen mußte, oder das unglückliche Paar, daß es
gerade von Herrn Stahr gerettet werden mußte.

Nicht jeden schuf Mutter Natur zum Historiker, nicht jeden zum Advocaten;
es wäre Grausamkeit, gerade von Herrn Stahr zu verlangen, daß er hätte
beides sein sollen. Er ist vor allem Stilist und wollte wohl auch hier vor
allem einen stilistischen Triumph feiern. An Blumen fehlt es seiner Darstellung
nicht. Ein alter Dichter, wir glauben Lucan, hat Kleopatra die Helena am
Nil genannt; diese Phrase hat Herrn Stahr zur Nachahmung begeistert, Antonius
ist ihm Rinaldo in den Zaubergärten Armidens, beide Vergleiche werden das
ganze Buch hindurch fast Seite für Seite wiederholt: wenn der Leser an diesem
Todthetzen Eines Gedankens weniger Gefallen empfindet als der Verfasser, so
ist das des Lesers eigne Schuld. Daß ,der Stil schlaff und schlottrig ist und
mehr den Ton des Feuilletons als den der Geschichtschreibung anschlägt, wird
geschickte Berechnung sein, um im Leser einen harmonischen Eindruck hervorzu¬
rufen: schlaff und schlotterig sind ja auch die von Herrn Stahr gezeichneten
Charaktere; nur stilistische Pedanten werden an dem Sultan Mithndates oder
an der Tageslöwin Cytheris Anstoß nehmen. Hören wir lieber, wie ergreifend
Herr Stahr S. 214 die Schlacht bei Antium zu schildern weiß: „Kein Rauch
des Geschützfeuers hüllte, wie in unseren Tagen, das grause Schauspiel in
seine dunklen Schleier, sondern der helle Tag beschien den fürchterlichen Kampf!"
Bedauerlich! Noch bedauerlicher aber, daß wir uns den Genuß dieser Pracht¬
stelle durch den schon genannten Untertertianer mit der Bemerkung vergällen
lassen mußten, es wäre noch viel mehr zum Erstaunen gewesen, wenn man
sich 31 vor Christus bei nachtschlafender Zeit mit Kanonen beschossen hätte.
Unser junger Freund ist eben eine prosaische Natur! Was für ein verstocktes
Gemüth muß das sein, das bei so schönen Stellen wie S. 29 unempfindlich
bleibt! Da wird Kleopatra eingeführt als „das Weib, das als die Königin
dieses wilden Carnevals die romantische Personification desselben in ihrem eignen
Leben darstellen sollte, wie ihr Ausgang den düstern Aschermittwoch desselben


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[0095] Drumann — in dem Benehmen des Antonius gegen die edle Octavia bloße niedrige Untreue eines wankelmüthigen und blasirten Wüstlings sehen. Wenn Antonius, meint Herr Stahr, drei Jahre friedlich an Octavias Seite gelebt, so sei das nicht zu verwundern gewesen, da Antonius überhaupt immer unter dem Pantoffel gestanden und selbst neben einer Fulvia ausgehalten habe; zwar Antonius sei nicht blind für ihre Tugenden gewesen, wohl aber habe Octavia kein Verständniß für die geniale Liederlichkeit ihres Gemahls gehabt, mit einem Worte, sie sei zu tugendhaft für ihn gewesen (S. 126): so sei denn, als Antonius die Octavia treulos verließ, nur geschehen, was geschehen mußte. Eine seltsame Rettung! Wir sind in der That in Verlegenheit, ob wir Herrn Stahr mehr bedauern sollen, daß er bei seinem Streben zu retten gerade auf Kleopatra und Antonius verfallen mußte, oder das unglückliche Paar, daß es gerade von Herrn Stahr gerettet werden mußte. Nicht jeden schuf Mutter Natur zum Historiker, nicht jeden zum Advocaten; es wäre Grausamkeit, gerade von Herrn Stahr zu verlangen, daß er hätte beides sein sollen. Er ist vor allem Stilist und wollte wohl auch hier vor allem einen stilistischen Triumph feiern. An Blumen fehlt es seiner Darstellung nicht. Ein alter Dichter, wir glauben Lucan, hat Kleopatra die Helena am Nil genannt; diese Phrase hat Herrn Stahr zur Nachahmung begeistert, Antonius ist ihm Rinaldo in den Zaubergärten Armidens, beide Vergleiche werden das ganze Buch hindurch fast Seite für Seite wiederholt: wenn der Leser an diesem Todthetzen Eines Gedankens weniger Gefallen empfindet als der Verfasser, so ist das des Lesers eigne Schuld. Daß ,der Stil schlaff und schlottrig ist und mehr den Ton des Feuilletons als den der Geschichtschreibung anschlägt, wird geschickte Berechnung sein, um im Leser einen harmonischen Eindruck hervorzu¬ rufen: schlaff und schlotterig sind ja auch die von Herrn Stahr gezeichneten Charaktere; nur stilistische Pedanten werden an dem Sultan Mithndates oder an der Tageslöwin Cytheris Anstoß nehmen. Hören wir lieber, wie ergreifend Herr Stahr S. 214 die Schlacht bei Antium zu schildern weiß: „Kein Rauch des Geschützfeuers hüllte, wie in unseren Tagen, das grause Schauspiel in seine dunklen Schleier, sondern der helle Tag beschien den fürchterlichen Kampf!" Bedauerlich! Noch bedauerlicher aber, daß wir uns den Genuß dieser Pracht¬ stelle durch den schon genannten Untertertianer mit der Bemerkung vergällen lassen mußten, es wäre noch viel mehr zum Erstaunen gewesen, wenn man sich 31 vor Christus bei nachtschlafender Zeit mit Kanonen beschossen hätte. Unser junger Freund ist eben eine prosaische Natur! Was für ein verstocktes Gemüth muß das sein, das bei so schönen Stellen wie S. 29 unempfindlich bleibt! Da wird Kleopatra eingeführt als „das Weib, das als die Königin dieses wilden Carnevals die romantische Personification desselben in ihrem eignen Leben darstellen sollte, wie ihr Ausgang den düstern Aschermittwoch desselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/95>, abgerufen am 26.06.2024.