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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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der Schrift über den alexandrinischen Krieg behandelt. Ueber steine Uebersetzungs-
fehler wird man Wohl thun rasch hinwegznlescn, z. B. wenn S. 128 "^>" vom
Lebensalter des Octavian verstanden, oder wenn S, 96 r^"/-xc>v, "co^-xov
Tr^aV/como^ durch "tragisches, komisches Gesicht" wiedergegeben wird. Freilich
konnte unser Untertertianer hier eine Regung kindlicher Bosheit nicht unter¬
drücken und meinte, ein solches (juicl xro <Mo sei bei einem alten Philologen
eigentlich tragikomisch.

Doch lassen wir die Zergliederung des gelehrten Beiwerks den Splitter-
ricl'dem von Profession; wir werden hier Rücksichten der Menschlichkeit walten
lassen, an den Verfasser nur den Maßstab eines gebildeten Dilettanten legen
und uns unter diesem Gesichtspunkte seine Rettung von Kleopatra und An-
tonius etwas näher ansehen. Da thut es uns nun wahrhaft wehe, das;
S. 125 der Recensent, der etwa nicht einsehe, daß Herr Stahr nicht rechtfertigen,
sondern nur erklären wolle, schon im Voraus ein Schiefohr genannt wird.
Wir bitten Herrn Stahr inständig, doch ja mit uns nicht zu hart ins Gericht
zu gehen - wir können wahrhaftig nichts dafür, daß uns sein Buch nun einmal
ganz den Eindruck eines Advocatenplaidoyers hinterlassen hat.

Leider ist es für den Richter ebenso mißlich wie für den Advocaten, wenn
er Actenstücke, die für den Ausgang des Processes von entscheidenden Einfluß
sind, gar nicht kennt, wie das Herrn Stahr S. 89 passirt ist. Die Vergiftung
des jüngern Ptolemäus durch seine Schwester Kleopatra weist er "bei dem
Völliger Schweigen aller alten geschichtlichen Zeugnisse" als eine böswillige
Erfindung sehr später Zeit zurück, und übersieht, daß schon Josephus dasselbe
wie Porphyrius berichtet, daß letzterer zu unseren vorzüglichsten Quellen gehört,
und daß Dio freilich fälschlich den Ptolemäus mit Arsinoe zugleich ermordet
werden läßt, begreiflicherweise aber darum doch nicht als Entlastungszeuge auf¬
geführt werden kann, Übersicht endlich, daß alle übrigen Zeugen nur darum
von der Mordthat schweigen, weil außer jenen drei überhaupt niemand eine
Nachricht über den Tod des Ptolemäus aufbewahrt hat. Noch mißlicher ist es,
wenn wir denselben Vertheidiger hier indignirt sehen, wie man seiner Clientin
ein solches Verbrechen habe zutrauen können, der nur zwei Seiten vorher in
der Lage war, den notorischen, durch nichts zu beschönigenden Schwestermord,
den Kleopatra an Arsinoe beging, berichten zu müssen.

Indeß die moderne Geschichtschreibung ertheilt ja unschwer ihren Helden
Dispens von den Gesetzen der bürgerlichen Moral, vorausgesetzt, daß sie nur
wirklich die Träger höherer politischer oder sonstiger Ideen gewesen sind. Das
soll denn auch bei Kleopatra der Fall gewesen sein: wir erfahren durch Herrn
Stahr S. 46, daß ihr Ziel gewesen sei. an der Seite des römischen Siegers
die Weltherrschaft zu theilen, und S. 183. daß ihr ganzer Ehrgeiz sich darauf
gerichtet habe, das Reich ihrer Ahnen zu einer zwischen den Parthern und Rom


der Schrift über den alexandrinischen Krieg behandelt. Ueber steine Uebersetzungs-
fehler wird man Wohl thun rasch hinwegznlescn, z. B. wenn S. 128 «^>« vom
Lebensalter des Octavian verstanden, oder wenn S, 96 r^«/-xc>v, «co^-xov
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konnte unser Untertertianer hier eine Regung kindlicher Bosheit nicht unter¬
drücken und meinte, ein solches (juicl xro <Mo sei bei einem alten Philologen
eigentlich tragikomisch.

Doch lassen wir die Zergliederung des gelehrten Beiwerks den Splitter-
ricl'dem von Profession; wir werden hier Rücksichten der Menschlichkeit walten
lassen, an den Verfasser nur den Maßstab eines gebildeten Dilettanten legen
und uns unter diesem Gesichtspunkte seine Rettung von Kleopatra und An-
tonius etwas näher ansehen. Da thut es uns nun wahrhaft wehe, das;
S. 125 der Recensent, der etwa nicht einsehe, daß Herr Stahr nicht rechtfertigen,
sondern nur erklären wolle, schon im Voraus ein Schiefohr genannt wird.
Wir bitten Herrn Stahr inständig, doch ja mit uns nicht zu hart ins Gericht
zu gehen - wir können wahrhaftig nichts dafür, daß uns sein Buch nun einmal
ganz den Eindruck eines Advocatenplaidoyers hinterlassen hat.

Leider ist es für den Richter ebenso mißlich wie für den Advocaten, wenn
er Actenstücke, die für den Ausgang des Processes von entscheidenden Einfluß
sind, gar nicht kennt, wie das Herrn Stahr S. 89 passirt ist. Die Vergiftung
des jüngern Ptolemäus durch seine Schwester Kleopatra weist er „bei dem
Völliger Schweigen aller alten geschichtlichen Zeugnisse" als eine böswillige
Erfindung sehr später Zeit zurück, und übersieht, daß schon Josephus dasselbe
wie Porphyrius berichtet, daß letzterer zu unseren vorzüglichsten Quellen gehört,
und daß Dio freilich fälschlich den Ptolemäus mit Arsinoe zugleich ermordet
werden läßt, begreiflicherweise aber darum doch nicht als Entlastungszeuge auf¬
geführt werden kann, Übersicht endlich, daß alle übrigen Zeugen nur darum
von der Mordthat schweigen, weil außer jenen drei überhaupt niemand eine
Nachricht über den Tod des Ptolemäus aufbewahrt hat. Noch mißlicher ist es,
wenn wir denselben Vertheidiger hier indignirt sehen, wie man seiner Clientin
ein solches Verbrechen habe zutrauen können, der nur zwei Seiten vorher in
der Lage war, den notorischen, durch nichts zu beschönigenden Schwestermord,
den Kleopatra an Arsinoe beging, berichten zu müssen.

Indeß die moderne Geschichtschreibung ertheilt ja unschwer ihren Helden
Dispens von den Gesetzen der bürgerlichen Moral, vorausgesetzt, daß sie nur
wirklich die Träger höherer politischer oder sonstiger Ideen gewesen sind. Das
soll denn auch bei Kleopatra der Fall gewesen sein: wir erfahren durch Herrn
Stahr S. 46, daß ihr Ziel gewesen sei. an der Seite des römischen Siegers
die Weltherrschaft zu theilen, und S. 183. daß ihr ganzer Ehrgeiz sich darauf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/92>, abgerufen am 26.06.2024.