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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ist das Erfordernis; der Cautionsberechtigung am fühlbarsten) rechtfertige sich selbst.
"Gegenüber einer Strafe, die so empfindliche Folgen für die bürgerliche Existenz
des Verurtheilten hat, (eben deshalb!) muß der Verlust einer noch so hohen
Geldsumme stets als geringeres Uebel erscheinen." Der weitere Zusatz mildert
in seinen wiederholten Schranken den herben Mißstand nicht. Es heißt da,
die Kaution sei ja zulässig, wenn nur die Anklage auf Zuchthausstrafe laute.
Aber sie ist wieder unzulässig, sobald eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit der
Vermtheilung vorhanden ist." Welch eine Milde, welch' ein sicherer Maßstab!
Der neue Entwurf, der, wie wir sehen werden, den Staatsanwalt als eine
Säule des Strafprocesses ansieht, glaubt doch selbst nicht an eine häufige Un-
wahrscheinlichkeit der Verurtheilung gegenüber der Anklage? Und noch mensch¬
licher stellt sich der Zusatz, selbst bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Ver¬
urteilung würde, wo mildernde Umstände erlaubt sind, der Richter zu erwägen
haben, ob die Annahme solcher Milderungsgründe "mit Recht erwartet werden
kann". -- Durch die Härte dieses Cautionsrechtentwurfs steigen die obigen
Grundsätze der verschärften Untersuchungshaft erheblich und wird ihre Ableh¬
nung um so mehr rathsam, zu nothwendig.

Die weiteren, theilweise im Wesen der Kaution begründeten Vorschriften
übergehen wir. Sie verliert selbst ihre beschränkte Wirkung schon, wenn "Um¬
stände eintreten, welche die Verhaftung doch erforderlich machen." Darin liegt
der Satz, eine Kaution hilft nichts, verhaftet wird jeder. Sie verfällt 1) bei
Flucht des Beschuldigten, 2) bei Contumaz in der Hauptverhandlung. 3) wenn
er "eine andere Aufforderung zur persönlichen Gestellung nicht rechtzeitig be¬
folgt," -- bei 2. u. 3. falls nicht Naturbegebenheiten oder andere unabwend¬
bare Zufälle, welche eine vorgängige Anzeige oder Bescheinigung nicht zuließen,
das Erscheinen hinderten, wenn der Verhinderte in 10 Tagen danach dies
anzeigt. -- Wir behalten lieber § 224--236 unsrer guten Criminalordnung
von 1806.

Neben diesen Normen würde selbstverständlich der Art. 84 der Verfassungs¬
urkunde bestehen bleiben, laut welchem kein Mitglied einer Kammer ohne deren
Genehmigung während der Sitzungsperiode wegen einer strafbaren Handlung
zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden kann, außer wenn es bei Aus¬
übung der That oder im Laufe des folgenden Tages nach derselben ergriffen
wird. Höchst wünschenswert!) erscheint es, diesen Artikel an der systematisch
nöthigen Stelle einer neuen Strafproceßordnung einzuverleiben, damit die
Verfassungsurkunde sich auch äußerlich als geltendes Recht darstelle und jeder
tendenziösen Beiseitsetzung ihrer wichtigen Bestimmungen, zumal durch die
Staatsanwaltschaften, vorgebeugt werde.

Nur auf Antrag des Staatsanwalts kann nach dem neuen Ent¬
würfe (§ 71) wie im bisherigen Strafprocesse (Verord. v. 3. Januar 1849


ist das Erfordernis; der Cautionsberechtigung am fühlbarsten) rechtfertige sich selbst.
„Gegenüber einer Strafe, die so empfindliche Folgen für die bürgerliche Existenz
des Verurtheilten hat, (eben deshalb!) muß der Verlust einer noch so hohen
Geldsumme stets als geringeres Uebel erscheinen." Der weitere Zusatz mildert
in seinen wiederholten Schranken den herben Mißstand nicht. Es heißt da,
die Kaution sei ja zulässig, wenn nur die Anklage auf Zuchthausstrafe laute.
Aber sie ist wieder unzulässig, sobald eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit der
Vermtheilung vorhanden ist." Welch eine Milde, welch' ein sicherer Maßstab!
Der neue Entwurf, der, wie wir sehen werden, den Staatsanwalt als eine
Säule des Strafprocesses ansieht, glaubt doch selbst nicht an eine häufige Un-
wahrscheinlichkeit der Verurtheilung gegenüber der Anklage? Und noch mensch¬
licher stellt sich der Zusatz, selbst bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Ver¬
urteilung würde, wo mildernde Umstände erlaubt sind, der Richter zu erwägen
haben, ob die Annahme solcher Milderungsgründe „mit Recht erwartet werden
kann". — Durch die Härte dieses Cautionsrechtentwurfs steigen die obigen
Grundsätze der verschärften Untersuchungshaft erheblich und wird ihre Ableh¬
nung um so mehr rathsam, zu nothwendig.

Die weiteren, theilweise im Wesen der Kaution begründeten Vorschriften
übergehen wir. Sie verliert selbst ihre beschränkte Wirkung schon, wenn „Um¬
stände eintreten, welche die Verhaftung doch erforderlich machen." Darin liegt
der Satz, eine Kaution hilft nichts, verhaftet wird jeder. Sie verfällt 1) bei
Flucht des Beschuldigten, 2) bei Contumaz in der Hauptverhandlung. 3) wenn
er „eine andere Aufforderung zur persönlichen Gestellung nicht rechtzeitig be¬
folgt," — bei 2. u. 3. falls nicht Naturbegebenheiten oder andere unabwend¬
bare Zufälle, welche eine vorgängige Anzeige oder Bescheinigung nicht zuließen,
das Erscheinen hinderten, wenn der Verhinderte in 10 Tagen danach dies
anzeigt. — Wir behalten lieber § 224—236 unsrer guten Criminalordnung
von 1806.

Neben diesen Normen würde selbstverständlich der Art. 84 der Verfassungs¬
urkunde bestehen bleiben, laut welchem kein Mitglied einer Kammer ohne deren
Genehmigung während der Sitzungsperiode wegen einer strafbaren Handlung
zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden kann, außer wenn es bei Aus¬
übung der That oder im Laufe des folgenden Tages nach derselben ergriffen
wird. Höchst wünschenswert!) erscheint es, diesen Artikel an der systematisch
nöthigen Stelle einer neuen Strafproceßordnung einzuverleiben, damit die
Verfassungsurkunde sich auch äußerlich als geltendes Recht darstelle und jeder
tendenziösen Beiseitsetzung ihrer wichtigen Bestimmungen, zumal durch die
Staatsanwaltschaften, vorgebeugt werde.

Nur auf Antrag des Staatsanwalts kann nach dem neuen Ent¬
würfe (§ 71) wie im bisherigen Strafprocesse (Verord. v. 3. Januar 1849


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/84>, abgerufen am 12.12.2024.