Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 6) die Verhaftung vom Gerichte beschlossen werden, außer bei Gefahr
im Verzüge, wo das Gericht auch ohne jenen Antrag verhaftet, die Verhand¬
lungen alsdann aber dem Staatsanwalte mittheilt. -- Die Staatsanwaltschaft
darf nach heutigem Rechte (§ 7 der Verord. v. 3. Jan. 1849) Verhaftungen (im
Gegensatze gegen vorläufige Festnahme) nur bei den Behörden (Gericht, Polizei)
beantragen, sie selbst darf sie nur bei Gefahr im Verzüge und bei Ergreifung
auf frischer That vornehmen. Nach dem neuen EntWurfe bleibt bei der, wie
später dargestellt werden soll, bevorzugten Machtvollkommenheit der Staats¬
anwaltschaft jene wichtige Sicherung der persönlichen Freiheit gegen die Ein¬
griffe dieser Verwaltungsbeamten zweifelhaft. Denn § 37 erklärt sie -- wie
das heutige Recht nirgend -- "in ihren Amtsverrichtungen von den Ge¬
richten unabhängig." Der dem obigen § 7 der Verordnung v. 3. Jan.
1849 entsprechende § 39 des Entwurfes läßt gerade den obigen Theil jenes
§ 7 fort. (Vrgl. auch § 69.) Dagegen räumen § 38 u. 123 ff. des Ent¬
wurfs der Staatsanwaltschaft nur die Befugniß "aller ihr erforderlich scheinenden
Anträge zur Vorbereitung, Einleitung und Führung der Untersuchung" ein.
Der vorn citirte § 119. des Entwurfs läßt die Sache ebenfalls zweifelhaft.
Denn er setzt zwar unbedingt einen richterlichen Befehl als Grundlage der Un¬
tersuchungshaft voraus, doch braucht der Haftbefehl erst im Laufe des der
Verhaftung folgenden Tages dem Beschuldigten vorgelegt zu werden. Und
wie diese schon im Gesetze vom 12. Februar 1850 enthaltene Vorschrift leider
die Praxis in der Jnnehaltung eines der wichtigsten Grundrechte des Staats¬
bürgers lax gestatten ließ, ist bekannt. Eine genauere Präcisirung der hier
betheiligten Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft, entsprechend dem § 7
der Vorrede v. 3. Januar 1849 ist deshalb ebenso erforderlich für den neuen
Entwurf,'als eine Reform von § 119 desselben und § 1 des Gesetzes v. 12.
Februar 1850 dahin wünschenswert!,, daß ausdrücklich vorgeschrieben wird, der
gerichtliche Haftbefehl muß unbedingt vor der Verhaftung erlassen sein und
bei der Verhaftung, nicht später, dem Beschuldigten zugestellt werden. Das
Gesetz eines constitutionellen Staates komme eher dem einzelnen Unwürdigen
zu Gute, als daß es die persönliche Freiheit Aller zu beeinträchtigen vermag
und beeinträchtigt.

Genügt es nach dem neuen EntWurfe im Falle der Verhaftung auf Grund
eines Steckbriefes oder der Requisition eines auswärtigen Gerichtes, wenn dem
Beschuldigten eine Abschrift des Steckbriefes oder Nequisitionsschreibens zuge¬
stellt wird? Der Entwurf sagt es nicht (vrgl. dessen § 143--146).

Mit der Wiederaufhebung des Haftbefehls beschäftigt der Ent-
wurf sich anerkennenswertherweise eingehend. Er bestimmt, der Haftbefehl
muß aufgehoben werden, wenn dessen Gründe fortfallen, besonders wenn der
Beschuldigte nach Abschluß der Voruntersuchung außer Verfolgung gesetzt wird,


§ 6) die Verhaftung vom Gerichte beschlossen werden, außer bei Gefahr
im Verzüge, wo das Gericht auch ohne jenen Antrag verhaftet, die Verhand¬
lungen alsdann aber dem Staatsanwalte mittheilt. — Die Staatsanwaltschaft
darf nach heutigem Rechte (§ 7 der Verord. v. 3. Jan. 1849) Verhaftungen (im
Gegensatze gegen vorläufige Festnahme) nur bei den Behörden (Gericht, Polizei)
beantragen, sie selbst darf sie nur bei Gefahr im Verzüge und bei Ergreifung
auf frischer That vornehmen. Nach dem neuen EntWurfe bleibt bei der, wie
später dargestellt werden soll, bevorzugten Machtvollkommenheit der Staats¬
anwaltschaft jene wichtige Sicherung der persönlichen Freiheit gegen die Ein¬
griffe dieser Verwaltungsbeamten zweifelhaft. Denn § 37 erklärt sie — wie
das heutige Recht nirgend — „in ihren Amtsverrichtungen von den Ge¬
richten unabhängig." Der dem obigen § 7 der Verordnung v. 3. Jan.
1849 entsprechende § 39 des Entwurfes läßt gerade den obigen Theil jenes
§ 7 fort. (Vrgl. auch § 69.) Dagegen räumen § 38 u. 123 ff. des Ent¬
wurfs der Staatsanwaltschaft nur die Befugniß „aller ihr erforderlich scheinenden
Anträge zur Vorbereitung, Einleitung und Führung der Untersuchung" ein.
Der vorn citirte § 119. des Entwurfs läßt die Sache ebenfalls zweifelhaft.
Denn er setzt zwar unbedingt einen richterlichen Befehl als Grundlage der Un¬
tersuchungshaft voraus, doch braucht der Haftbefehl erst im Laufe des der
Verhaftung folgenden Tages dem Beschuldigten vorgelegt zu werden. Und
wie diese schon im Gesetze vom 12. Februar 1850 enthaltene Vorschrift leider
die Praxis in der Jnnehaltung eines der wichtigsten Grundrechte des Staats¬
bürgers lax gestatten ließ, ist bekannt. Eine genauere Präcisirung der hier
betheiligten Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft, entsprechend dem § 7
der Vorrede v. 3. Januar 1849 ist deshalb ebenso erforderlich für den neuen
Entwurf,'als eine Reform von § 119 desselben und § 1 des Gesetzes v. 12.
Februar 1850 dahin wünschenswert!,, daß ausdrücklich vorgeschrieben wird, der
gerichtliche Haftbefehl muß unbedingt vor der Verhaftung erlassen sein und
bei der Verhaftung, nicht später, dem Beschuldigten zugestellt werden. Das
Gesetz eines constitutionellen Staates komme eher dem einzelnen Unwürdigen
zu Gute, als daß es die persönliche Freiheit Aller zu beeinträchtigen vermag
und beeinträchtigt.

Genügt es nach dem neuen EntWurfe im Falle der Verhaftung auf Grund
eines Steckbriefes oder der Requisition eines auswärtigen Gerichtes, wenn dem
Beschuldigten eine Abschrift des Steckbriefes oder Nequisitionsschreibens zuge¬
stellt wird? Der Entwurf sagt es nicht (vrgl. dessen § 143—146).

Mit der Wiederaufhebung des Haftbefehls beschäftigt der Ent-
wurf sich anerkennenswertherweise eingehend. Er bestimmt, der Haftbefehl
muß aufgehoben werden, wenn dessen Gründe fortfallen, besonders wenn der
Beschuldigte nach Abschluß der Voruntersuchung außer Verfolgung gesetzt wird,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282882"/>
          <p xml:id="ID_257" prev="#ID_256"> § 6) die Verhaftung vom Gerichte beschlossen werden, außer bei Gefahr<lb/>
im Verzüge, wo das Gericht auch ohne jenen Antrag verhaftet, die Verhand¬<lb/>
lungen alsdann aber dem Staatsanwalte mittheilt. &#x2014; Die Staatsanwaltschaft<lb/>
darf nach heutigem Rechte (§ 7 der Verord. v. 3. Jan. 1849) Verhaftungen (im<lb/>
Gegensatze gegen vorläufige Festnahme) nur bei den Behörden (Gericht, Polizei)<lb/>
beantragen, sie selbst darf sie nur bei Gefahr im Verzüge und bei Ergreifung<lb/>
auf frischer That vornehmen. Nach dem neuen EntWurfe bleibt bei der, wie<lb/>
später dargestellt werden soll, bevorzugten Machtvollkommenheit der Staats¬<lb/>
anwaltschaft jene wichtige Sicherung der persönlichen Freiheit gegen die Ein¬<lb/>
griffe dieser Verwaltungsbeamten zweifelhaft. Denn § 37 erklärt sie &#x2014; wie<lb/>
das heutige Recht nirgend &#x2014; &#x201E;in ihren Amtsverrichtungen von den Ge¬<lb/>
richten unabhängig." Der dem obigen § 7 der Verordnung v. 3. Jan.<lb/>
1849 entsprechende § 39 des Entwurfes läßt gerade den obigen Theil jenes<lb/>
§ 7 fort. (Vrgl. auch § 69.) Dagegen räumen § 38 u. 123 ff. des Ent¬<lb/>
wurfs der Staatsanwaltschaft nur die Befugniß &#x201E;aller ihr erforderlich scheinenden<lb/>
Anträge zur Vorbereitung, Einleitung und Führung der Untersuchung" ein.<lb/>
Der vorn citirte § 119. des Entwurfs läßt die Sache ebenfalls zweifelhaft.<lb/>
Denn er setzt zwar unbedingt einen richterlichen Befehl als Grundlage der Un¬<lb/>
tersuchungshaft voraus, doch braucht der Haftbefehl erst im Laufe des der<lb/>
Verhaftung folgenden Tages dem Beschuldigten vorgelegt zu werden. Und<lb/>
wie diese schon im Gesetze vom 12. Februar 1850 enthaltene Vorschrift leider<lb/>
die Praxis in der Jnnehaltung eines der wichtigsten Grundrechte des Staats¬<lb/>
bürgers lax gestatten ließ, ist bekannt. Eine genauere Präcisirung der hier<lb/>
betheiligten Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft, entsprechend dem § 7<lb/>
der Vorrede v. 3. Januar 1849 ist deshalb ebenso erforderlich für den neuen<lb/>
Entwurf,'als eine Reform von § 119 desselben und § 1 des Gesetzes v. 12.<lb/>
Februar 1850 dahin wünschenswert!,, daß ausdrücklich vorgeschrieben wird, der<lb/>
gerichtliche Haftbefehl muß unbedingt vor der Verhaftung erlassen sein und<lb/>
bei der Verhaftung, nicht später, dem Beschuldigten zugestellt werden. Das<lb/>
Gesetz eines constitutionellen Staates komme eher dem einzelnen Unwürdigen<lb/>
zu Gute, als daß es die persönliche Freiheit Aller zu beeinträchtigen vermag<lb/>
und beeinträchtigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_258"> Genügt es nach dem neuen EntWurfe im Falle der Verhaftung auf Grund<lb/>
eines Steckbriefes oder der Requisition eines auswärtigen Gerichtes, wenn dem<lb/>
Beschuldigten eine Abschrift des Steckbriefes oder Nequisitionsschreibens zuge¬<lb/>
stellt wird? Der Entwurf sagt es nicht (vrgl. dessen § 143&#x2014;146).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_259" next="#ID_260"> Mit der Wiederaufhebung des Haftbefehls beschäftigt der Ent-<lb/>
wurf sich anerkennenswertherweise eingehend. Er bestimmt, der Haftbefehl<lb/>
muß aufgehoben werden, wenn dessen Gründe fortfallen, besonders wenn der<lb/>
Beschuldigte nach Abschluß der Voruntersuchung außer Verfolgung gesetzt wird,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] § 6) die Verhaftung vom Gerichte beschlossen werden, außer bei Gefahr im Verzüge, wo das Gericht auch ohne jenen Antrag verhaftet, die Verhand¬ lungen alsdann aber dem Staatsanwalte mittheilt. — Die Staatsanwaltschaft darf nach heutigem Rechte (§ 7 der Verord. v. 3. Jan. 1849) Verhaftungen (im Gegensatze gegen vorläufige Festnahme) nur bei den Behörden (Gericht, Polizei) beantragen, sie selbst darf sie nur bei Gefahr im Verzüge und bei Ergreifung auf frischer That vornehmen. Nach dem neuen EntWurfe bleibt bei der, wie später dargestellt werden soll, bevorzugten Machtvollkommenheit der Staats¬ anwaltschaft jene wichtige Sicherung der persönlichen Freiheit gegen die Ein¬ griffe dieser Verwaltungsbeamten zweifelhaft. Denn § 37 erklärt sie — wie das heutige Recht nirgend — „in ihren Amtsverrichtungen von den Ge¬ richten unabhängig." Der dem obigen § 7 der Verordnung v. 3. Jan. 1849 entsprechende § 39 des Entwurfes läßt gerade den obigen Theil jenes § 7 fort. (Vrgl. auch § 69.) Dagegen räumen § 38 u. 123 ff. des Ent¬ wurfs der Staatsanwaltschaft nur die Befugniß „aller ihr erforderlich scheinenden Anträge zur Vorbereitung, Einleitung und Führung der Untersuchung" ein. Der vorn citirte § 119. des Entwurfs läßt die Sache ebenfalls zweifelhaft. Denn er setzt zwar unbedingt einen richterlichen Befehl als Grundlage der Un¬ tersuchungshaft voraus, doch braucht der Haftbefehl erst im Laufe des der Verhaftung folgenden Tages dem Beschuldigten vorgelegt zu werden. Und wie diese schon im Gesetze vom 12. Februar 1850 enthaltene Vorschrift leider die Praxis in der Jnnehaltung eines der wichtigsten Grundrechte des Staats¬ bürgers lax gestatten ließ, ist bekannt. Eine genauere Präcisirung der hier betheiligten Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft, entsprechend dem § 7 der Vorrede v. 3. Januar 1849 ist deshalb ebenso erforderlich für den neuen Entwurf,'als eine Reform von § 119 desselben und § 1 des Gesetzes v. 12. Februar 1850 dahin wünschenswert!,, daß ausdrücklich vorgeschrieben wird, der gerichtliche Haftbefehl muß unbedingt vor der Verhaftung erlassen sein und bei der Verhaftung, nicht später, dem Beschuldigten zugestellt werden. Das Gesetz eines constitutionellen Staates komme eher dem einzelnen Unwürdigen zu Gute, als daß es die persönliche Freiheit Aller zu beeinträchtigen vermag und beeinträchtigt. Genügt es nach dem neuen EntWurfe im Falle der Verhaftung auf Grund eines Steckbriefes oder der Requisition eines auswärtigen Gerichtes, wenn dem Beschuldigten eine Abschrift des Steckbriefes oder Nequisitionsschreibens zuge¬ stellt wird? Der Entwurf sagt es nicht (vrgl. dessen § 143—146). Mit der Wiederaufhebung des Haftbefehls beschäftigt der Ent- wurf sich anerkennenswertherweise eingehend. Er bestimmt, der Haftbefehl muß aufgehoben werden, wenn dessen Gründe fortfallen, besonders wenn der Beschuldigte nach Abschluß der Voruntersuchung außer Verfolgung gesetzt wird,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/85>, abgerufen am 12.12.2024.