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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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drücklich hervorgehoben und von Betrug überhaupt getrennt wird, ist ebenso
wenig abzusehen, als, warum in merkwürdigem Gegensatze gegen § 247 des
Strafgesetzbuches gerade die gewinnsüchtige Absicht der Urkundenfälschung betont
wird. (Doch nicht gegenüber dem "zum Schaden Anderer?") Dafür ist die
Logik der alten Criminalordnung besser, welche aus der Natur obiger Ver¬
gehen die Nothwendigkeit der Untersuchungshaft herleitet, nicht, wie der neue
Entwurf, daraus, daß Urkundenfälscher, Diebe, Betrüger und Hehler stets fliehen
oder die Wahrheit verdunkeln. Aber eben, weil letzterer Grund hinfällig ist,
die Strenge der Criminalordnung andererseits sich aus ihrer Zeit erklärt,
müssen wir nun doch einmal gegenwärtige Menschen dringend verlangen, daß
nicht mit bestimmten Vergehen von vornherein die Haft unrettbar verknüpft
werde, nun gar mit den obigen, alltäglichsten, unzählbaren, "dem täglichen Brote"
der Criminalrichter. Der milderndeZusatz "außer, wenn die Besorgnis? der Fluchtoder
Verdunklung durch besondere Umstände ausgeschlossen erscheint." legt den Richtern
nur um so dringender die so fast ausnahmlose Regel nahe. Denn "besondere
Umstände" sind eben Umstände nicht alltäglicher Art, die ovigen Vergehen aber sind
fast allstündliche. Und wenn bisher die hierher gehörige Vorschrift der Criminal¬
ordnung nicht zu verzweifelter Härte gegen die Staatsangehörigen führte (man
denke, daß es sich ja hierbei um die vorläufige Haft vor der Untersuchung
handelt), so lag das in der praktischen Ausführung jener Vorschrift, welche
wegen ihres Alters eine nur milde, maßvolle Anwendung verlangte; lebt diese
Vorschrift aber in dem Gesetze der Gegenwart wieder auf, so fordert sie von
den Richtern die strengste Verwirklichung. Nun. dann mögen wir unsre Leiber
rüsten; dieser Satz des neuen Entwurfes fällt aber, oder wir bekommen noch
eine Reorganisation, die der Gefängnißbauten und des Gefängnißwesens.

Doch dies ist noch nicht der Höhepunkt der Strenge des Entwurfs.
Unmittelbar nach obiger Bestimmung heißt es: "In andern Strafsachen ist
unter der nämlichen Maßgabe die Gefahr der Flucht stets dann als begrün¬
det anzusehen, wenn der Beschuldigte nach Lage des gegebenen Falles' voraus-
sichtlich eine längere als einjährige Gefängnißstrafe zu erwarten hat, oder
wenn seine Verurt Heilung zu einer sechsmonatlichen oder längeren
G efängnißstrase, wenn auch noch nicht rechtskräftig erfolgt ist."
Der erstere Satz entspricht dem oben citirten § 208 der Criminalordnung
in seiner zweiten Hälfte, und von ihm gilt, was oben über die Untersuchungs¬
haft bei den speci alisirten Verbrechen gesagt wurde, die Gegenwart bedingt
nicht eine Erneuerung, sondern durchgreifende Milderung der alten Haftgrund
Sätze. Auch ist hier ebenfalls die Logik der Criminalordnung eine bessere,
mindestens eine aufrichtigere; denn sie folgert nicht aus der mehr als einjährigen
Gefängnißstrafe unbedingt die Gefahr der Flucht. -- So weit aber verstieg
sich selbst die Criminalordnung von 1805 nicht, daß sie die Flucht besorgte


drücklich hervorgehoben und von Betrug überhaupt getrennt wird, ist ebenso
wenig abzusehen, als, warum in merkwürdigem Gegensatze gegen § 247 des
Strafgesetzbuches gerade die gewinnsüchtige Absicht der Urkundenfälschung betont
wird. (Doch nicht gegenüber dem „zum Schaden Anderer?") Dafür ist die
Logik der alten Criminalordnung besser, welche aus der Natur obiger Ver¬
gehen die Nothwendigkeit der Untersuchungshaft herleitet, nicht, wie der neue
Entwurf, daraus, daß Urkundenfälscher, Diebe, Betrüger und Hehler stets fliehen
oder die Wahrheit verdunkeln. Aber eben, weil letzterer Grund hinfällig ist,
die Strenge der Criminalordnung andererseits sich aus ihrer Zeit erklärt,
müssen wir nun doch einmal gegenwärtige Menschen dringend verlangen, daß
nicht mit bestimmten Vergehen von vornherein die Haft unrettbar verknüpft
werde, nun gar mit den obigen, alltäglichsten, unzählbaren, „dem täglichen Brote"
der Criminalrichter. Der milderndeZusatz „außer, wenn die Besorgnis? der Fluchtoder
Verdunklung durch besondere Umstände ausgeschlossen erscheint." legt den Richtern
nur um so dringender die so fast ausnahmlose Regel nahe. Denn „besondere
Umstände" sind eben Umstände nicht alltäglicher Art, die ovigen Vergehen aber sind
fast allstündliche. Und wenn bisher die hierher gehörige Vorschrift der Criminal¬
ordnung nicht zu verzweifelter Härte gegen die Staatsangehörigen führte (man
denke, daß es sich ja hierbei um die vorläufige Haft vor der Untersuchung
handelt), so lag das in der praktischen Ausführung jener Vorschrift, welche
wegen ihres Alters eine nur milde, maßvolle Anwendung verlangte; lebt diese
Vorschrift aber in dem Gesetze der Gegenwart wieder auf, so fordert sie von
den Richtern die strengste Verwirklichung. Nun. dann mögen wir unsre Leiber
rüsten; dieser Satz des neuen Entwurfes fällt aber, oder wir bekommen noch
eine Reorganisation, die der Gefängnißbauten und des Gefängnißwesens.

Doch dies ist noch nicht der Höhepunkt der Strenge des Entwurfs.
Unmittelbar nach obiger Bestimmung heißt es: „In andern Strafsachen ist
unter der nämlichen Maßgabe die Gefahr der Flucht stets dann als begrün¬
det anzusehen, wenn der Beschuldigte nach Lage des gegebenen Falles' voraus-
sichtlich eine längere als einjährige Gefängnißstrafe zu erwarten hat, oder
wenn seine Verurt Heilung zu einer sechsmonatlichen oder längeren
G efängnißstrase, wenn auch noch nicht rechtskräftig erfolgt ist."
Der erstere Satz entspricht dem oben citirten § 208 der Criminalordnung
in seiner zweiten Hälfte, und von ihm gilt, was oben über die Untersuchungs¬
haft bei den speci alisirten Verbrechen gesagt wurde, die Gegenwart bedingt
nicht eine Erneuerung, sondern durchgreifende Milderung der alten Haftgrund
Sätze. Auch ist hier ebenfalls die Logik der Criminalordnung eine bessere,
mindestens eine aufrichtigere; denn sie folgert nicht aus der mehr als einjährigen
Gefängnißstrafe unbedingt die Gefahr der Flucht. — So weit aber verstieg
sich selbst die Criminalordnung von 1805 nicht, daß sie die Flucht besorgte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/80>, abgerufen am 26.06.2024.