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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Völker werden in diese Culturbewegung hineingezogen und fördern den
Proceß der Umformung und der Neubildung, bis zuletzt das Barbaren-
thum, zumal der Germanen, im westlichen Rom so massenhaft etablirt ist,
daß es die alten Staatsformen, die aus dem Ende der Römerzeit über¬
kommen sind, zerstört.

In dieser Universalmonarchie des Alterthums haben lange die Persön¬
lichkeiten der Kaiser vorzugsweise den Geschichtschreiber beschäftigt, Tugenden
und Laster dieser Repräsentanten des Staats, der Anekdotenkram ihrer Höfe,
bestimmte das Urtheil über Werth und Unwerth ihrer Regierungen. Erst in
dem großen Werke Gibbons ist die Kaisergcschichte zu einer Geschichte des
antiken Staates geworden, so weit die mangelhaften Detailuntcrsuchungen
seiner Zeit dies gestatteten. Und doch liegt für diese Jahrhunderte das Haupt¬
interesse keinesweges in den Characteren der Kaiser, den Entleibungen der Senatoren
und den Scandalgeschichten der Höfe, sondern weit mehr in den stillen Fortschritten,
welche Cultur und Behagen der Individuen durch Jahrhunderte selbst während
arger Mißrcgierung machten. Denn die Kaiserzeit ist zugleich die Periode des
Alterthums, wo alle die Millionen, welche an der alten Cultur einen Theil
hatten, durch Jahrhunderte ein Glück des Daseins genossen, das in der Welt
ganz neu war. den Segen der Civilisation, Frieden, strenges Recht, geordnete
Staatsverhältnisse, eine bis dahin unerhörte Sicherheit des Lebens. Sie waren
Schützlinge oder Bürger eines großen Staats geworden, sie hausten oder fuhren fried¬
lich bis an das Ende ihrer Welt, viele Millionen Einzelne lebten ein thätiges und be¬
scheidenes Dasein vom Euphrat bis zu den Säulen des Herkules, in besserem Beha¬
gen als in irgend einem Jahrhundert der Republik, in irgend einem früheren Jahr¬
hundert des Menschengeschlechts. Der Werth des einzelnen Lebens war auch
damals noch beträchtlich geringer als jetzt, und nicht jeder Lebende genoß den
Vorzug, als Person betrachtet zu werden, um deren Recht und Gedeihen sich
der Staat kümmerte; aber wie unvollständig das Gesetz ihn schützte, der Völker¬
mord , der verwüstende Krieg der Nachbarstädte und Stämme hatte in dem
großen Reiche aufgehört. Der Beamte des Kaisers drückte ihn, die Lasten
waren hoch und die Bestechungen mochten zuweilen einen beträchtlichen Theil
seines erworbenen Capitals in Anspruch nehmen, aber fast die ganze bekannte
Erde war ein offenes Gebiet für seine Waaren, und Gelegenheit zu Erwerb
war dem Thatkräftigen reichlich geboten. Während die Häupter, welche hoch
aus der Menge ragten, durch den Argwohn und die Habsucht der Herrschenden
gefährdet wurden, während hoher Adel, hoher Sinn, ungewöhnlicher Reich¬
thum in der Nähe des Hofes ihren Besitzern tödtliche Gefahren bereiteten,
hatten auch lasterhafte Kaiser, so lange der Wahnsinn ihnen nicht das Urtheil
ganz verderbte, dringende Veranlassung, in ihrem weiten Gebiet Gesetz,
Ordnung, Sicherheit und Wohlstand der großen Menge zu fördern.


Völker werden in diese Culturbewegung hineingezogen und fördern den
Proceß der Umformung und der Neubildung, bis zuletzt das Barbaren-
thum, zumal der Germanen, im westlichen Rom so massenhaft etablirt ist,
daß es die alten Staatsformen, die aus dem Ende der Römerzeit über¬
kommen sind, zerstört.

In dieser Universalmonarchie des Alterthums haben lange die Persön¬
lichkeiten der Kaiser vorzugsweise den Geschichtschreiber beschäftigt, Tugenden
und Laster dieser Repräsentanten des Staats, der Anekdotenkram ihrer Höfe,
bestimmte das Urtheil über Werth und Unwerth ihrer Regierungen. Erst in
dem großen Werke Gibbons ist die Kaisergcschichte zu einer Geschichte des
antiken Staates geworden, so weit die mangelhaften Detailuntcrsuchungen
seiner Zeit dies gestatteten. Und doch liegt für diese Jahrhunderte das Haupt¬
interesse keinesweges in den Characteren der Kaiser, den Entleibungen der Senatoren
und den Scandalgeschichten der Höfe, sondern weit mehr in den stillen Fortschritten,
welche Cultur und Behagen der Individuen durch Jahrhunderte selbst während
arger Mißrcgierung machten. Denn die Kaiserzeit ist zugleich die Periode des
Alterthums, wo alle die Millionen, welche an der alten Cultur einen Theil
hatten, durch Jahrhunderte ein Glück des Daseins genossen, das in der Welt
ganz neu war. den Segen der Civilisation, Frieden, strenges Recht, geordnete
Staatsverhältnisse, eine bis dahin unerhörte Sicherheit des Lebens. Sie waren
Schützlinge oder Bürger eines großen Staats geworden, sie hausten oder fuhren fried¬
lich bis an das Ende ihrer Welt, viele Millionen Einzelne lebten ein thätiges und be¬
scheidenes Dasein vom Euphrat bis zu den Säulen des Herkules, in besserem Beha¬
gen als in irgend einem Jahrhundert der Republik, in irgend einem früheren Jahr¬
hundert des Menschengeschlechts. Der Werth des einzelnen Lebens war auch
damals noch beträchtlich geringer als jetzt, und nicht jeder Lebende genoß den
Vorzug, als Person betrachtet zu werden, um deren Recht und Gedeihen sich
der Staat kümmerte; aber wie unvollständig das Gesetz ihn schützte, der Völker¬
mord , der verwüstende Krieg der Nachbarstädte und Stämme hatte in dem
großen Reiche aufgehört. Der Beamte des Kaisers drückte ihn, die Lasten
waren hoch und die Bestechungen mochten zuweilen einen beträchtlichen Theil
seines erworbenen Capitals in Anspruch nehmen, aber fast die ganze bekannte
Erde war ein offenes Gebiet für seine Waaren, und Gelegenheit zu Erwerb
war dem Thatkräftigen reichlich geboten. Während die Häupter, welche hoch
aus der Menge ragten, durch den Argwohn und die Habsucht der Herrschenden
gefährdet wurden, während hoher Adel, hoher Sinn, ungewöhnlicher Reich¬
thum in der Nähe des Hofes ihren Besitzern tödtliche Gefahren bereiteten,
hatten auch lasterhafte Kaiser, so lange der Wahnsinn ihnen nicht das Urtheil
ganz verderbte, dringende Veranlassung, in ihrem weiten Gebiet Gesetz,
Ordnung, Sicherheit und Wohlstand der großen Menge zu fördern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/74>, abgerufen am 26.06.2024.