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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Und dies stille Gedeihen der Mehrzahl war auch für die späte Folgezeit nicht
resultatlos. Daß der eingewanderte Handwerker in Paris und Köln hämmerte,
daß der iberische Kaufmann auf seinen Frachtschiffen sicher von Gades nach
Alexandrien fuhr, daß römische Landstraßen. Colonien. römische Sprache und
römisches Recht von der Atlantis bis zum Pontus durch Jahrhunderte friedlich
herrschten, diese Erfolge des römischen Kaiserreichs sind auch die Grundlagen
geworden, auf denen die praktische Tüchtigkeit der neueren Völker den Riesen¬
bau ihres Wohlstandes und ihrer Industrie errichten konnte. Für Handel und
Verkehr der Nationen, für Handwerk und Erfindungen sind die Jahrhunderte
von Octavianus bis Theodorich eine Zeit gewaltiger Fortbildung, der auch wir
zahllose Einzelheiten verdanken, welche unser Leben erfüllen. Oft verdarben
Gewaltthaten der Regierungen, Bedrückung, Münzverschlechterung, zeitweise den
Wohlstand ganzer Länderstrecken, zuletzt verwüsteten Schwärme barbarischer Krieger
eine Provinz nach der andern. Aber die große Ausdehnung und die Bedeutung,
welche Verkehr und Production in den ersten Jahrhunderten des Weltreiches
erlangt hatten, bewahrten das weite Becken des Mittelmeers noch in der
schlechtesten Zeit vor völligem Untergang des praktischen Erwerbes und der
industriellen Thätigkeit. Lange nachdem die Kunst des Bildhauers verlernt
hatte die reinen Formen griechischer Schönheit wiederzugeben, vervollkommneten
sich die Handgriffe in den Werkstätten der Handarbeiter, welche dem Bedürfniß
des täglichen Lebens dienten. Die Kraft des Wassers wurde grade in der
spätern Kaiserzeit für Maschinenarbeiten reichlicher benutzt, die Webstuhle ver¬
fertigten die kunstvollsten Gewebe grade zu der Zeit, in welcher Altilas
Krieger begehrlich auf die Fäden des Goldstoffes blickten. Der Einfluß, welchen
die alte Cultur auf die einbrechenden Barbarenhaufen ausübte, ist vorzugs¬
weise der intensiven Verbreitung antiker Industrie in den südlichen Ländern
Europas zuzuschreiben, welche die Kaiserzeit möglich machte. Denn die emsige Ar¬
beit der zahllosen Kleinen wurde durch die Völkerwanderung gestört und verringert,
zu keiner Zeit ganz unmöglich gemacht. Die Culturpflanzen, Obstbäume, Garten-
blumen Italiens wanderten in die Klostergarten deutscher Mönche und in die Hof¬
güter Karls des Großen. Die Töpfer, Tischler, Weber, Maurer. Steinmetzen,
die Schreiber der Handschriften und die Händler mit den Wollstoffen Galliens und
den Seidengeweben Kleinasiens saßen und zogen in den Wohnstätten der
fremden Eroberer umher, unter Gothen, Langobarden, Franken. Wie groß der
Rückschritt war. den einzelne Industriezweige machten, die Elemente ihrer Technik
haben sich fast in jedem erhalten, und mit ihnen die Tüchtigkeit und die Be¬
dürfnisse, denen sie dienten und welche sie erregten. So kam es. daß die
praktische antike Bildung in unsre Zeit dauern konnte. Hätte kein Cäsar
Gallien und Spanien unterworfen, hätten die Legionen römischer Kaiser nicht
drei Jahrhunderte lang den einheitlich eingerichteten Culturstaat gegen den


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Und dies stille Gedeihen der Mehrzahl war auch für die späte Folgezeit nicht
resultatlos. Daß der eingewanderte Handwerker in Paris und Köln hämmerte,
daß der iberische Kaufmann auf seinen Frachtschiffen sicher von Gades nach
Alexandrien fuhr, daß römische Landstraßen. Colonien. römische Sprache und
römisches Recht von der Atlantis bis zum Pontus durch Jahrhunderte friedlich
herrschten, diese Erfolge des römischen Kaiserreichs sind auch die Grundlagen
geworden, auf denen die praktische Tüchtigkeit der neueren Völker den Riesen¬
bau ihres Wohlstandes und ihrer Industrie errichten konnte. Für Handel und
Verkehr der Nationen, für Handwerk und Erfindungen sind die Jahrhunderte
von Octavianus bis Theodorich eine Zeit gewaltiger Fortbildung, der auch wir
zahllose Einzelheiten verdanken, welche unser Leben erfüllen. Oft verdarben
Gewaltthaten der Regierungen, Bedrückung, Münzverschlechterung, zeitweise den
Wohlstand ganzer Länderstrecken, zuletzt verwüsteten Schwärme barbarischer Krieger
eine Provinz nach der andern. Aber die große Ausdehnung und die Bedeutung,
welche Verkehr und Production in den ersten Jahrhunderten des Weltreiches
erlangt hatten, bewahrten das weite Becken des Mittelmeers noch in der
schlechtesten Zeit vor völligem Untergang des praktischen Erwerbes und der
industriellen Thätigkeit. Lange nachdem die Kunst des Bildhauers verlernt
hatte die reinen Formen griechischer Schönheit wiederzugeben, vervollkommneten
sich die Handgriffe in den Werkstätten der Handarbeiter, welche dem Bedürfniß
des täglichen Lebens dienten. Die Kraft des Wassers wurde grade in der
spätern Kaiserzeit für Maschinenarbeiten reichlicher benutzt, die Webstuhle ver¬
fertigten die kunstvollsten Gewebe grade zu der Zeit, in welcher Altilas
Krieger begehrlich auf die Fäden des Goldstoffes blickten. Der Einfluß, welchen
die alte Cultur auf die einbrechenden Barbarenhaufen ausübte, ist vorzugs¬
weise der intensiven Verbreitung antiker Industrie in den südlichen Ländern
Europas zuzuschreiben, welche die Kaiserzeit möglich machte. Denn die emsige Ar¬
beit der zahllosen Kleinen wurde durch die Völkerwanderung gestört und verringert,
zu keiner Zeit ganz unmöglich gemacht. Die Culturpflanzen, Obstbäume, Garten-
blumen Italiens wanderten in die Klostergarten deutscher Mönche und in die Hof¬
güter Karls des Großen. Die Töpfer, Tischler, Weber, Maurer. Steinmetzen,
die Schreiber der Handschriften und die Händler mit den Wollstoffen Galliens und
den Seidengeweben Kleinasiens saßen und zogen in den Wohnstätten der
fremden Eroberer umher, unter Gothen, Langobarden, Franken. Wie groß der
Rückschritt war. den einzelne Industriezweige machten, die Elemente ihrer Technik
haben sich fast in jedem erhalten, und mit ihnen die Tüchtigkeit und die Be¬
dürfnisse, denen sie dienten und welche sie erregten. So kam es. daß die
praktische antike Bildung in unsre Zeit dauern konnte. Hätte kein Cäsar
Gallien und Spanien unterworfen, hätten die Legionen römischer Kaiser nicht
drei Jahrhunderte lang den einheitlich eingerichteten Culturstaat gegen den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/75>, abgerufen am 12.12.2024.