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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Cäsar rechnet Mommsen den Beginn monarchischer Herrschaft in dem römischen
Staat. Die Kämpfe, welche Cäsars Ermordung folgten, die Veränderung und
Fortsetzung seiner Pläne durch den vorsichtigen Octavianus, eine lange Reihe
römischer Kaisergestalten würden eine Zahl weiterer Bände füllen. Die Kaiser¬
geschichte darf man von ihm mit Wärme fordern, obgleich er mit großer Arbeit
fast übermäßig beladen sein mag. Alle seine Leistungen, die Richtung seines wissen¬
schaftlichen Geistes, seine ganze Persönlichkeit befähigen ihn vor allen Andern zu
dieser Geschichte. Tief empfindet man den Mangel eines solchen Werkes,
welches die letzten fünf oder sechs Jahrhunderte des Alterthums im Sinne
unserer Bildung erfaßt und aus der Menge neu entdeckter Quellen öde Stcppcn-
räume unseres historischen Wissens mit grünem Leben schmückt. Was Mommsen
in solcher Arbeit für unsere Erkenntniß jener geheimnißvollen Jahrhunderte
schaffen würde, in denen der Germane zum Erben des Römers herauswuchs,
das vermag Schreiber dieser Zeilen nicht abzuschätzen. Doch darf man aueh.
maßen, wie er einige Seiten dieses historischen Dramas betrachten würde. Er
hat in der Periode, wo sich die römische Kraft aus den Ackerschollen Latinas
erhob. Rom gefaßt als die Blüthe der stammverwandten mittelitalischen Völker¬
schaften, und er hat dargestellt, wie das römische Wesen und die römische
Republik aus der Bundesgenossenschaft italischer Gemeinden unter der strengen
monarchischen Führung der Hügclstadt zur gebietenden Macht Europas emporwuchs.
Die Geschichte des römischen Kaiserstaats ist nicht mehr eine Geschichte Roms
und der Nachkommen alter Lateiner und Samniter. Denn wenige Jahrzehnte
nach der Schlacht bei Antium ist die große Mehrzahl der Bürger, die große
Mehrzahl der Soldaten nicht mehr italischen Ursprungs, die Mehrzahl der
Senatoren, bald sogar die Kaiser selbst sind Provinzialen, deren Großväter
vielleicht noch gegen römische Legionen gekämpft haben. Ja Rom ist die
große Prägstätte geworden, auf welcher unaufhörlich Fremde vom Indus und
vom Guadalquivir mit römischem Stempel und Namen versehen werden, als
Freigelassene. Adoptirte. Bürger. Schon hundert Jahre nach Augustus sind die
großen Familien der Republik verdorben und fast ausgerottet. Schon der große
Geschichtschreiber Tacitus vermag schwerlich noch seine Abstammung von dem
zähen vielästigen Holz der pcitrici sehen Cornelier nachzuweisen, der spätere
Kaiser Tacitus rühmt sich gar nicht mehr altitalischen Ursprungs, nur daß
der Geschichtschreiber unter seinen Ahnen sei. Das Römerthum ist unter¬
gegangen, aber seine Resultate: Sprache. Literatur, Recht, Heeresordnung,
Staatsverfassung formen unablässig Millionen Fremde zu Neurömern um.
Und diese Resultate des römischen Lebens treten in die engste Bundesgenossen¬
schaft mit anderen Volkswesen des Alterthums, mit semitischer, hellenischer,
ägyptischer, neidischer und afrikanischer Art und Volkskraft. Durch dieses Zu¬
sammenwirken entsteht der große Culturstaat der alten Welt. Immer neue


Grenzvoten II. 186S. 9

Cäsar rechnet Mommsen den Beginn monarchischer Herrschaft in dem römischen
Staat. Die Kämpfe, welche Cäsars Ermordung folgten, die Veränderung und
Fortsetzung seiner Pläne durch den vorsichtigen Octavianus, eine lange Reihe
römischer Kaisergestalten würden eine Zahl weiterer Bände füllen. Die Kaiser¬
geschichte darf man von ihm mit Wärme fordern, obgleich er mit großer Arbeit
fast übermäßig beladen sein mag. Alle seine Leistungen, die Richtung seines wissen¬
schaftlichen Geistes, seine ganze Persönlichkeit befähigen ihn vor allen Andern zu
dieser Geschichte. Tief empfindet man den Mangel eines solchen Werkes,
welches die letzten fünf oder sechs Jahrhunderte des Alterthums im Sinne
unserer Bildung erfaßt und aus der Menge neu entdeckter Quellen öde Stcppcn-
räume unseres historischen Wissens mit grünem Leben schmückt. Was Mommsen
in solcher Arbeit für unsere Erkenntniß jener geheimnißvollen Jahrhunderte
schaffen würde, in denen der Germane zum Erben des Römers herauswuchs,
das vermag Schreiber dieser Zeilen nicht abzuschätzen. Doch darf man aueh.
maßen, wie er einige Seiten dieses historischen Dramas betrachten würde. Er
hat in der Periode, wo sich die römische Kraft aus den Ackerschollen Latinas
erhob. Rom gefaßt als die Blüthe der stammverwandten mittelitalischen Völker¬
schaften, und er hat dargestellt, wie das römische Wesen und die römische
Republik aus der Bundesgenossenschaft italischer Gemeinden unter der strengen
monarchischen Führung der Hügclstadt zur gebietenden Macht Europas emporwuchs.
Die Geschichte des römischen Kaiserstaats ist nicht mehr eine Geschichte Roms
und der Nachkommen alter Lateiner und Samniter. Denn wenige Jahrzehnte
nach der Schlacht bei Antium ist die große Mehrzahl der Bürger, die große
Mehrzahl der Soldaten nicht mehr italischen Ursprungs, die Mehrzahl der
Senatoren, bald sogar die Kaiser selbst sind Provinzialen, deren Großväter
vielleicht noch gegen römische Legionen gekämpft haben. Ja Rom ist die
große Prägstätte geworden, auf welcher unaufhörlich Fremde vom Indus und
vom Guadalquivir mit römischem Stempel und Namen versehen werden, als
Freigelassene. Adoptirte. Bürger. Schon hundert Jahre nach Augustus sind die
großen Familien der Republik verdorben und fast ausgerottet. Schon der große
Geschichtschreiber Tacitus vermag schwerlich noch seine Abstammung von dem
zähen vielästigen Holz der pcitrici sehen Cornelier nachzuweisen, der spätere
Kaiser Tacitus rühmt sich gar nicht mehr altitalischen Ursprungs, nur daß
der Geschichtschreiber unter seinen Ahnen sei. Das Römerthum ist unter¬
gegangen, aber seine Resultate: Sprache. Literatur, Recht, Heeresordnung,
Staatsverfassung formen unablässig Millionen Fremde zu Neurömern um.
Und diese Resultate des römischen Lebens treten in die engste Bundesgenossen¬
schaft mit anderen Volkswesen des Alterthums, mit semitischer, hellenischer,
ägyptischer, neidischer und afrikanischer Art und Volkskraft. Durch dieses Zu¬
sammenwirken entsteht der große Culturstaat der alten Welt. Immer neue


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[0073] Cäsar rechnet Mommsen den Beginn monarchischer Herrschaft in dem römischen Staat. Die Kämpfe, welche Cäsars Ermordung folgten, die Veränderung und Fortsetzung seiner Pläne durch den vorsichtigen Octavianus, eine lange Reihe römischer Kaisergestalten würden eine Zahl weiterer Bände füllen. Die Kaiser¬ geschichte darf man von ihm mit Wärme fordern, obgleich er mit großer Arbeit fast übermäßig beladen sein mag. Alle seine Leistungen, die Richtung seines wissen¬ schaftlichen Geistes, seine ganze Persönlichkeit befähigen ihn vor allen Andern zu dieser Geschichte. Tief empfindet man den Mangel eines solchen Werkes, welches die letzten fünf oder sechs Jahrhunderte des Alterthums im Sinne unserer Bildung erfaßt und aus der Menge neu entdeckter Quellen öde Stcppcn- räume unseres historischen Wissens mit grünem Leben schmückt. Was Mommsen in solcher Arbeit für unsere Erkenntniß jener geheimnißvollen Jahrhunderte schaffen würde, in denen der Germane zum Erben des Römers herauswuchs, das vermag Schreiber dieser Zeilen nicht abzuschätzen. Doch darf man aueh. maßen, wie er einige Seiten dieses historischen Dramas betrachten würde. Er hat in der Periode, wo sich die römische Kraft aus den Ackerschollen Latinas erhob. Rom gefaßt als die Blüthe der stammverwandten mittelitalischen Völker¬ schaften, und er hat dargestellt, wie das römische Wesen und die römische Republik aus der Bundesgenossenschaft italischer Gemeinden unter der strengen monarchischen Führung der Hügclstadt zur gebietenden Macht Europas emporwuchs. Die Geschichte des römischen Kaiserstaats ist nicht mehr eine Geschichte Roms und der Nachkommen alter Lateiner und Samniter. Denn wenige Jahrzehnte nach der Schlacht bei Antium ist die große Mehrzahl der Bürger, die große Mehrzahl der Soldaten nicht mehr italischen Ursprungs, die Mehrzahl der Senatoren, bald sogar die Kaiser selbst sind Provinzialen, deren Großväter vielleicht noch gegen römische Legionen gekämpft haben. Ja Rom ist die große Prägstätte geworden, auf welcher unaufhörlich Fremde vom Indus und vom Guadalquivir mit römischem Stempel und Namen versehen werden, als Freigelassene. Adoptirte. Bürger. Schon hundert Jahre nach Augustus sind die großen Familien der Republik verdorben und fast ausgerottet. Schon der große Geschichtschreiber Tacitus vermag schwerlich noch seine Abstammung von dem zähen vielästigen Holz der pcitrici sehen Cornelier nachzuweisen, der spätere Kaiser Tacitus rühmt sich gar nicht mehr altitalischen Ursprungs, nur daß der Geschichtschreiber unter seinen Ahnen sei. Das Römerthum ist unter¬ gegangen, aber seine Resultate: Sprache. Literatur, Recht, Heeresordnung, Staatsverfassung formen unablässig Millionen Fremde zu Neurömern um. Und diese Resultate des römischen Lebens treten in die engste Bundesgenossen¬ schaft mit anderen Volkswesen des Alterthums, mit semitischer, hellenischer, ägyptischer, neidischer und afrikanischer Art und Volkskraft. Durch dieses Zu¬ sammenwirken entsteht der große Culturstaat der alten Welt. Immer neue Grenzvoten II. 186S. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/73>, abgerufen am 26.06.2024.