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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Für technische Berufsbildung ist in England ebensowenig durch umfassende
Lehranstalten gesorgt als für gelehrte. Es giebt keine gesonderten Realschulen,
keine Gewerbschulen, keine polytechnische Schule wie in Deutschland, Frankreich
und der Schweiz") und mit einziger Ausnahme der londoner Bergbauschule
auch keine eigentliche Fachschule. Wie England trotzdem seine industrielle Höhe
erreicht, erklärt Herr v. Gugler in überzeugender Weise aus dessen natürlicher
Ausstattung. Er sagt darüber:

"Wer von Haus aus wenig bemittelt ist, muß anders wirthschaften als
der Reichgeborne. Es giebt aber kein Land in Europa, welchem England nicht
durch Reichthum an den von der Natur gebotenen Hilfen weitaus überlegen
wäre. Die sorglose, verschwenderische Art, mit welcher in England so häufig
der Salinenbetrieb, die Ausbeutung der Kohlen- und Erzgruben, zuweilen selbst
die Gewinnung des Eisens durch Leute ohne ausreichende Bildung geleitet
wird, ist nur möglich, wo die Vorräthe unerschöpflich scheinen. Auch in den
Gewerben ist der Betrieb keineswegs immer rationell und sparsam. Deutsche
Chemiker waren erstaunt, als sie zur Zeit der ersten londoner Ausstellung auf
Reisen im Lande wahrnahmen, welche Werthe bei manchen chemischen Industrie¬
zweigen aus Mangel an theoretischem Wissen ungenützt verloren gingen.
Wenn mit großartige" Mitteln massenhaft producirt und leicht nach allen Theilen
der Welt abgesetzt wird, fällt immerhin ein sehr bedeutender Gewinn ab, mag
dieser auch nicht jedesmal der größtmögliche sein, während ein kleinerer und
deshalb verhältnißmäßig theuerer Betrieb überall nach sorgfältigster Ausnutzung
trachten muß." -- "Wenn bei englischen Ingenieuren der Spruch: Probiren über
Studiren ziemlich in Geltung blieb, so ist dies erklärlich, weil meist das Ca¬
pital groß und das Material wohlfeil ist. Eine unter ungünstigern Umständen
und mit beschränkten Mitteln arbeitende Industrie wird sich zwar des Experi¬
ments nie entschlagen können, müßte aber schon durch Rücksichten der Sparsam¬
keit veranlaßt werden, sich beim Experimentiren von der Theorie leiten zu lassen,
Abgesehen übrigens vom directen Probiren trägt eine Industrie die Gewähr
für den aus Erfahrung entspringenden Fortschritt um so sicherer in sich selbst
je schwunghafter sie bereits im Gange ist und je weiter man die Arbeitstheilung
führen kann. Sobald einmal ein Industriezweig eine Stufe erreicht hat, auf
welcher Erfahrungen und Beobachtungen mannigfacher Art sich häufen, muß
er rasch und rascher vorwärts kommen. Will man in einem andern, weniger
erfahrenen Lande nachkommen, so müssen zugleich die geistigen Mittel der



') Die "kolyteokuio Institution" in London ist keine Schule, sondern ein Museum, in
welchem gewerbliche Apparate und Producte ausgestellt sind.
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Für technische Berufsbildung ist in England ebensowenig durch umfassende
Lehranstalten gesorgt als für gelehrte. Es giebt keine gesonderten Realschulen,
keine Gewerbschulen, keine polytechnische Schule wie in Deutschland, Frankreich
und der Schweiz") und mit einziger Ausnahme der londoner Bergbauschule
auch keine eigentliche Fachschule. Wie England trotzdem seine industrielle Höhe
erreicht, erklärt Herr v. Gugler in überzeugender Weise aus dessen natürlicher
Ausstattung. Er sagt darüber:

„Wer von Haus aus wenig bemittelt ist, muß anders wirthschaften als
der Reichgeborne. Es giebt aber kein Land in Europa, welchem England nicht
durch Reichthum an den von der Natur gebotenen Hilfen weitaus überlegen
wäre. Die sorglose, verschwenderische Art, mit welcher in England so häufig
der Salinenbetrieb, die Ausbeutung der Kohlen- und Erzgruben, zuweilen selbst
die Gewinnung des Eisens durch Leute ohne ausreichende Bildung geleitet
wird, ist nur möglich, wo die Vorräthe unerschöpflich scheinen. Auch in den
Gewerben ist der Betrieb keineswegs immer rationell und sparsam. Deutsche
Chemiker waren erstaunt, als sie zur Zeit der ersten londoner Ausstellung auf
Reisen im Lande wahrnahmen, welche Werthe bei manchen chemischen Industrie¬
zweigen aus Mangel an theoretischem Wissen ungenützt verloren gingen.
Wenn mit großartige» Mitteln massenhaft producirt und leicht nach allen Theilen
der Welt abgesetzt wird, fällt immerhin ein sehr bedeutender Gewinn ab, mag
dieser auch nicht jedesmal der größtmögliche sein, während ein kleinerer und
deshalb verhältnißmäßig theuerer Betrieb überall nach sorgfältigster Ausnutzung
trachten muß." — „Wenn bei englischen Ingenieuren der Spruch: Probiren über
Studiren ziemlich in Geltung blieb, so ist dies erklärlich, weil meist das Ca¬
pital groß und das Material wohlfeil ist. Eine unter ungünstigern Umständen
und mit beschränkten Mitteln arbeitende Industrie wird sich zwar des Experi¬
ments nie entschlagen können, müßte aber schon durch Rücksichten der Sparsam¬
keit veranlaßt werden, sich beim Experimentiren von der Theorie leiten zu lassen,
Abgesehen übrigens vom directen Probiren trägt eine Industrie die Gewähr
für den aus Erfahrung entspringenden Fortschritt um so sicherer in sich selbst
je schwunghafter sie bereits im Gange ist und je weiter man die Arbeitstheilung
führen kann. Sobald einmal ein Industriezweig eine Stufe erreicht hat, auf
welcher Erfahrungen und Beobachtungen mannigfacher Art sich häufen, muß
er rasch und rascher vorwärts kommen. Will man in einem andern, weniger
erfahrenen Lande nachkommen, so müssen zugleich die geistigen Mittel der



') Die „kolyteokuio Institution" in London ist keine Schule, sondern ein Museum, in
welchem gewerbliche Apparate und Producte ausgestellt sind.
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[0545] Für technische Berufsbildung ist in England ebensowenig durch umfassende Lehranstalten gesorgt als für gelehrte. Es giebt keine gesonderten Realschulen, keine Gewerbschulen, keine polytechnische Schule wie in Deutschland, Frankreich und der Schweiz") und mit einziger Ausnahme der londoner Bergbauschule auch keine eigentliche Fachschule. Wie England trotzdem seine industrielle Höhe erreicht, erklärt Herr v. Gugler in überzeugender Weise aus dessen natürlicher Ausstattung. Er sagt darüber: „Wer von Haus aus wenig bemittelt ist, muß anders wirthschaften als der Reichgeborne. Es giebt aber kein Land in Europa, welchem England nicht durch Reichthum an den von der Natur gebotenen Hilfen weitaus überlegen wäre. Die sorglose, verschwenderische Art, mit welcher in England so häufig der Salinenbetrieb, die Ausbeutung der Kohlen- und Erzgruben, zuweilen selbst die Gewinnung des Eisens durch Leute ohne ausreichende Bildung geleitet wird, ist nur möglich, wo die Vorräthe unerschöpflich scheinen. Auch in den Gewerben ist der Betrieb keineswegs immer rationell und sparsam. Deutsche Chemiker waren erstaunt, als sie zur Zeit der ersten londoner Ausstellung auf Reisen im Lande wahrnahmen, welche Werthe bei manchen chemischen Industrie¬ zweigen aus Mangel an theoretischem Wissen ungenützt verloren gingen. Wenn mit großartige» Mitteln massenhaft producirt und leicht nach allen Theilen der Welt abgesetzt wird, fällt immerhin ein sehr bedeutender Gewinn ab, mag dieser auch nicht jedesmal der größtmögliche sein, während ein kleinerer und deshalb verhältnißmäßig theuerer Betrieb überall nach sorgfältigster Ausnutzung trachten muß." — „Wenn bei englischen Ingenieuren der Spruch: Probiren über Studiren ziemlich in Geltung blieb, so ist dies erklärlich, weil meist das Ca¬ pital groß und das Material wohlfeil ist. Eine unter ungünstigern Umständen und mit beschränkten Mitteln arbeitende Industrie wird sich zwar des Experi¬ ments nie entschlagen können, müßte aber schon durch Rücksichten der Sparsam¬ keit veranlaßt werden, sich beim Experimentiren von der Theorie leiten zu lassen, Abgesehen übrigens vom directen Probiren trägt eine Industrie die Gewähr für den aus Erfahrung entspringenden Fortschritt um so sicherer in sich selbst je schwunghafter sie bereits im Gange ist und je weiter man die Arbeitstheilung führen kann. Sobald einmal ein Industriezweig eine Stufe erreicht hat, auf welcher Erfahrungen und Beobachtungen mannigfacher Art sich häufen, muß er rasch und rascher vorwärts kommen. Will man in einem andern, weniger erfahrenen Lande nachkommen, so müssen zugleich die geistigen Mittel der ') Die „kolyteokuio Institution" in London ist keine Schule, sondern ein Museum, in welchem gewerbliche Apparate und Producte ausgestellt sind. 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/545>, abgerufen am 29.06.2024.