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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Namen einschneiden dürfen; denn jede Schule ist stolz, wenn sie in diesen
Schnitzereien die Namen berühmter Männer aufweisen kann. Besondere Schul¬
zimmer für jede einzelne Classe (englisch: form) giebt es nur in Rugby und
auch hier erst seit Arnolds Zeit. In der Regel sind mehre Klassen in einem
großen Saale vereinigt, wo sie getrennte Gruppen von Bänken, je mit einem
Katheder, bilden. Der Rector kann von einem höhern Katheder den ganzen
Raum überblicken. Nur zuweilen werden diese Gruppen durch Herablassen
von Zwischenvorhängen einigermaßen geschieden. In den lateinischen Lectionen
wird großer Werth auf die Anfertigung von Versen gelegt, und zwar beginnt
die Uebung hierin damit, daß der Schüler die Ausgabe erhält, beliebige lateinische
Worte zu einem richtig klingenden Verse aneinanderzufädeln, der keinerlei Sinn
zu haben braucht, sondern nur die Regeln des Gradus ad Parnassum nicht ver¬
letzen darf. Deshalb heißt die erste Classe, die zur Fabrikation von Versen
angehalten wird, im Jargon der Schule "Nonsenso" (Unsinn), die nächsthöhere,
wo schon Sinn im Spiel verlangt wird. "Lense".

Von den neueren Gymnasien ist das in London befindliche mit KingS
College verbundene das bedeutendste. Es hat neun Classen und zerfällt von
der zweiten derselben an in zwei Parallelabtheilungen: eine classische (äivision
ok olassies) und eine Realabtheilung (äivision ok moclorn Instruktion). Die
Nealabtheilung setzt zwar das Lateinische bis in die oberste Classe fort, lehrt
aber kein Griechisch, sondern statt dessen Physik, Chemie, Zeichnen und höhere
Mathematik. Auch mit London Universtty College ist ein eignes Gymnasium
verbunden, die "Mior Ldiooi^ , die gleichfalls eine Nealabtheilung hat, aber
nicht soweit wie die Kings College School geht, da ihre Zöglinge früher in
das College selbst übertreten. Beide letztgenannte Schulen kennen das Er¬
ziehungsmittel der körperlichen Strafen nicht, und dasselbe gilt von den meisten
andern neueren Gymnasien. Eine der besuchtesten londoner Schulen ist die 1834
von der Gemeinde der Altstadt auf Grund einer alten Stiftung erneuerte, Gym¬
nasium, Realschule und Bürgerschule zugleich umfassende ,Mo ok Lonclon
Lelwol".

Die Studien sind in England nicht blos an den Universitäten, sondern
auch an den Gymnasien sehr kostspielig. Man rechnet für die nothwendigen
Ausgaben des Studenten in Oxford 300 Pfd. Se., also 2000 Thaler jährlich,
in Cambridge 260, in London 200, in Durham 160 Pfd. Se., also immer
noch 1000 Thaler unsres Geldes. An den großen Gymnasien werden die
Kosten für das Nothwendige auf 100 bis 200 Pfd. Se. zu veranschlagen sein,
da das Schulgeld allein schon 10 bis 26 Pfd. Se. beträgt und für die Pension
bei einem Lehrer in Eton 120 Pfd. Se. gezahlt werden.

Um so höher ist der Werth einer Anstalt, welche auch Knaben aus den


Grenzboten II. 1865. 65

Namen einschneiden dürfen; denn jede Schule ist stolz, wenn sie in diesen
Schnitzereien die Namen berühmter Männer aufweisen kann. Besondere Schul¬
zimmer für jede einzelne Classe (englisch: form) giebt es nur in Rugby und
auch hier erst seit Arnolds Zeit. In der Regel sind mehre Klassen in einem
großen Saale vereinigt, wo sie getrennte Gruppen von Bänken, je mit einem
Katheder, bilden. Der Rector kann von einem höhern Katheder den ganzen
Raum überblicken. Nur zuweilen werden diese Gruppen durch Herablassen
von Zwischenvorhängen einigermaßen geschieden. In den lateinischen Lectionen
wird großer Werth auf die Anfertigung von Versen gelegt, und zwar beginnt
die Uebung hierin damit, daß der Schüler die Ausgabe erhält, beliebige lateinische
Worte zu einem richtig klingenden Verse aneinanderzufädeln, der keinerlei Sinn
zu haben braucht, sondern nur die Regeln des Gradus ad Parnassum nicht ver¬
letzen darf. Deshalb heißt die erste Classe, die zur Fabrikation von Versen
angehalten wird, im Jargon der Schule „Nonsenso" (Unsinn), die nächsthöhere,
wo schon Sinn im Spiel verlangt wird. „Lense".

Von den neueren Gymnasien ist das in London befindliche mit KingS
College verbundene das bedeutendste. Es hat neun Classen und zerfällt von
der zweiten derselben an in zwei Parallelabtheilungen: eine classische (äivision
ok olassies) und eine Realabtheilung (äivision ok moclorn Instruktion). Die
Nealabtheilung setzt zwar das Lateinische bis in die oberste Classe fort, lehrt
aber kein Griechisch, sondern statt dessen Physik, Chemie, Zeichnen und höhere
Mathematik. Auch mit London Universtty College ist ein eignes Gymnasium
verbunden, die „Mior Ldiooi^ , die gleichfalls eine Nealabtheilung hat, aber
nicht soweit wie die Kings College School geht, da ihre Zöglinge früher in
das College selbst übertreten. Beide letztgenannte Schulen kennen das Er¬
ziehungsmittel der körperlichen Strafen nicht, und dasselbe gilt von den meisten
andern neueren Gymnasien. Eine der besuchtesten londoner Schulen ist die 1834
von der Gemeinde der Altstadt auf Grund einer alten Stiftung erneuerte, Gym¬
nasium, Realschule und Bürgerschule zugleich umfassende ,Mo ok Lonclon
Lelwol".

Die Studien sind in England nicht blos an den Universitäten, sondern
auch an den Gymnasien sehr kostspielig. Man rechnet für die nothwendigen
Ausgaben des Studenten in Oxford 300 Pfd. Se., also 2000 Thaler jährlich,
in Cambridge 260, in London 200, in Durham 160 Pfd. Se., also immer
noch 1000 Thaler unsres Geldes. An den großen Gymnasien werden die
Kosten für das Nothwendige auf 100 bis 200 Pfd. Se. zu veranschlagen sein,
da das Schulgeld allein schon 10 bis 26 Pfd. Se. beträgt und für die Pension
bei einem Lehrer in Eton 120 Pfd. Se. gezahlt werden.

Um so höher ist der Werth einer Anstalt, welche auch Knaben aus den


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[0543] Namen einschneiden dürfen; denn jede Schule ist stolz, wenn sie in diesen Schnitzereien die Namen berühmter Männer aufweisen kann. Besondere Schul¬ zimmer für jede einzelne Classe (englisch: form) giebt es nur in Rugby und auch hier erst seit Arnolds Zeit. In der Regel sind mehre Klassen in einem großen Saale vereinigt, wo sie getrennte Gruppen von Bänken, je mit einem Katheder, bilden. Der Rector kann von einem höhern Katheder den ganzen Raum überblicken. Nur zuweilen werden diese Gruppen durch Herablassen von Zwischenvorhängen einigermaßen geschieden. In den lateinischen Lectionen wird großer Werth auf die Anfertigung von Versen gelegt, und zwar beginnt die Uebung hierin damit, daß der Schüler die Ausgabe erhält, beliebige lateinische Worte zu einem richtig klingenden Verse aneinanderzufädeln, der keinerlei Sinn zu haben braucht, sondern nur die Regeln des Gradus ad Parnassum nicht ver¬ letzen darf. Deshalb heißt die erste Classe, die zur Fabrikation von Versen angehalten wird, im Jargon der Schule „Nonsenso" (Unsinn), die nächsthöhere, wo schon Sinn im Spiel verlangt wird. „Lense". Von den neueren Gymnasien ist das in London befindliche mit KingS College verbundene das bedeutendste. Es hat neun Classen und zerfällt von der zweiten derselben an in zwei Parallelabtheilungen: eine classische (äivision ok olassies) und eine Realabtheilung (äivision ok moclorn Instruktion). Die Nealabtheilung setzt zwar das Lateinische bis in die oberste Classe fort, lehrt aber kein Griechisch, sondern statt dessen Physik, Chemie, Zeichnen und höhere Mathematik. Auch mit London Universtty College ist ein eignes Gymnasium verbunden, die „Mior Ldiooi^ , die gleichfalls eine Nealabtheilung hat, aber nicht soweit wie die Kings College School geht, da ihre Zöglinge früher in das College selbst übertreten. Beide letztgenannte Schulen kennen das Er¬ ziehungsmittel der körperlichen Strafen nicht, und dasselbe gilt von den meisten andern neueren Gymnasien. Eine der besuchtesten londoner Schulen ist die 1834 von der Gemeinde der Altstadt auf Grund einer alten Stiftung erneuerte, Gym¬ nasium, Realschule und Bürgerschule zugleich umfassende ,Mo ok Lonclon Lelwol". Die Studien sind in England nicht blos an den Universitäten, sondern auch an den Gymnasien sehr kostspielig. Man rechnet für die nothwendigen Ausgaben des Studenten in Oxford 300 Pfd. Se., also 2000 Thaler jährlich, in Cambridge 260, in London 200, in Durham 160 Pfd. Se., also immer noch 1000 Thaler unsres Geldes. An den großen Gymnasien werden die Kosten für das Nothwendige auf 100 bis 200 Pfd. Se. zu veranschlagen sein, da das Schulgeld allein schon 10 bis 26 Pfd. Se. beträgt und für die Pension bei einem Lehrer in Eton 120 Pfd. Se. gezahlt werden. Um so höher ist der Werth einer Anstalt, welche auch Knaben aus den Grenzboten II. 1865. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/543>, abgerufen am 29.06.2024.