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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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bleiben wolle, worauf die Obersten v. Zezschwitz und v^ Leyser entgegneten,
diese Aufforderung sei so lange ungesetzlich, als die Einwilligung des Königs
nicht vorliege. Die Aufregung nahm zu. Unter den sächsischen Offizieren trat
deutlich eine Spaltung hervor: ein Theil wollte in preußische Dienste treten,
der andere nicht. Immer bedenklicher wurde die Stimmung der letzteren,
namentlich unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen. Napoleon war wieder
in Paris, der König von Sachsen erhob von Preßburg aus öffentlich und
feierlich Einspruch gegen die Theilung. Sächsische und östreichische Agenten er-
schienen im Lager, um die Truppen noch mehr aufzuregen. Bewohner von
Huy forderten das Gardegrenadierbataillon beim Durchmarsch auf, zu Napoleon
überzugehen. Der Moniteur sprach von der Achtung Napoleons für Friedrich
August, von der Anhänglichkeit der Sachsen an Frankreich, von ihrem
Preußenhaß.

In der ersten Woche des März traten die ehemals sächsischen Generale
v. Thielmann, v. Ryssel der Erste und v. Brause aus dem russischen Dienst,
dem sie seit dem Herbst 1813 angehört hatten, in den preußischen über, und
Ryssel erhielt das Commando über die Sachsen, aber ohne ihr Vertrauen zu
besitzen, da vielen sein Uebergang bei Leipzig mißfallen hatte.

Inzwischen hatte der König Friedrich Wilhelm durch Verfügungen vom 19. und
21. März die vorbereitenden Maßregeln für die Theilung des sächsischen Staates
und Heeres angeordnet. Die Offiziere sollten sich nach freier Wahl entscheiden,
die gemeinen Mannschaften nach der Zugehörigkeit ihres Heimathsortes vertheilt
werden, doch sollte die Verfügung geheim bleiben, bis der König von Sachsen
in die Ausführung gewilligt habe. Gleichwohl kam die Kunde davon nach
Lüttich, und unter einem Theil der Offiziere fand eine Verabredung statt, nach
welcher der Uebertritt in den preußischen Dienst als Bruch des dem König von
Sachsen geleisteten Eides betrachtet werden sollte. Derselbe konnte sich ja
wieder als Alliirten Napoleons ansehen, und als preußische Offiziere konnten
sie dann in den Fall kommen, gegen den Verbündeten der sächsischen Majestät
fechten zu müssen. Bei der Infanterie wurde auch die Mannschaft gegen die
Theilung aufgewiegelt, beim Gardebataillon soll sogar Geld vertheilt worden
sein. Die Offiziere der Reiterei und der Artillerie bewiesen bessere Zucht und
Einsicht, zogen die Mannschaften nicht in den Streit und suchten ihr Ansehen
zu behaupten.

Am 19. April kam Blücher in Lüttich an. mit ihm Gneisenau und die
übrigen Herren vom preußischen Hauptquartier, sonst aber nur zwölf Ordonnanzen,
so daß die Stadt nur von> sächsischen Truppen, dem Gardebataillon und zwei
Grenadierbataillonen besetzt war. Weitere drei Bataillone Sachsen standen in
der Nachbarschaft. Blücher verstand die schwierige Lage der sächsischen Armee
und war bemüht, sich Vertrauen zu verschaffen. Bald nack) seiner Ankunft --


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bleiben wolle, worauf die Obersten v. Zezschwitz und v^ Leyser entgegneten,
diese Aufforderung sei so lange ungesetzlich, als die Einwilligung des Königs
nicht vorliege. Die Aufregung nahm zu. Unter den sächsischen Offizieren trat
deutlich eine Spaltung hervor: ein Theil wollte in preußische Dienste treten,
der andere nicht. Immer bedenklicher wurde die Stimmung der letzteren,
namentlich unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen. Napoleon war wieder
in Paris, der König von Sachsen erhob von Preßburg aus öffentlich und
feierlich Einspruch gegen die Theilung. Sächsische und östreichische Agenten er-
schienen im Lager, um die Truppen noch mehr aufzuregen. Bewohner von
Huy forderten das Gardegrenadierbataillon beim Durchmarsch auf, zu Napoleon
überzugehen. Der Moniteur sprach von der Achtung Napoleons für Friedrich
August, von der Anhänglichkeit der Sachsen an Frankreich, von ihrem
Preußenhaß.

In der ersten Woche des März traten die ehemals sächsischen Generale
v. Thielmann, v. Ryssel der Erste und v. Brause aus dem russischen Dienst,
dem sie seit dem Herbst 1813 angehört hatten, in den preußischen über, und
Ryssel erhielt das Commando über die Sachsen, aber ohne ihr Vertrauen zu
besitzen, da vielen sein Uebergang bei Leipzig mißfallen hatte.

Inzwischen hatte der König Friedrich Wilhelm durch Verfügungen vom 19. und
21. März die vorbereitenden Maßregeln für die Theilung des sächsischen Staates
und Heeres angeordnet. Die Offiziere sollten sich nach freier Wahl entscheiden,
die gemeinen Mannschaften nach der Zugehörigkeit ihres Heimathsortes vertheilt
werden, doch sollte die Verfügung geheim bleiben, bis der König von Sachsen
in die Ausführung gewilligt habe. Gleichwohl kam die Kunde davon nach
Lüttich, und unter einem Theil der Offiziere fand eine Verabredung statt, nach
welcher der Uebertritt in den preußischen Dienst als Bruch des dem König von
Sachsen geleisteten Eides betrachtet werden sollte. Derselbe konnte sich ja
wieder als Alliirten Napoleons ansehen, und als preußische Offiziere konnten
sie dann in den Fall kommen, gegen den Verbündeten der sächsischen Majestät
fechten zu müssen. Bei der Infanterie wurde auch die Mannschaft gegen die
Theilung aufgewiegelt, beim Gardebataillon soll sogar Geld vertheilt worden
sein. Die Offiziere der Reiterei und der Artillerie bewiesen bessere Zucht und
Einsicht, zogen die Mannschaften nicht in den Streit und suchten ihr Ansehen
zu behaupten.

Am 19. April kam Blücher in Lüttich an. mit ihm Gneisenau und die
übrigen Herren vom preußischen Hauptquartier, sonst aber nur zwölf Ordonnanzen,
so daß die Stadt nur von> sächsischen Truppen, dem Gardebataillon und zwei
Grenadierbataillonen besetzt war. Weitere drei Bataillone Sachsen standen in
der Nachbarschaft. Blücher verstand die schwierige Lage der sächsischen Armee
und war bemüht, sich Vertrauen zu verschaffen. Bald nack) seiner Ankunft —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/529>, abgerufen am 29.06.2024.