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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Staate) in den ehemaligen Bisthümern Münster und Paderborn mit 350,000
katholischen Einwohnern. Am 10. December erwiderte Metternich, daß Kaiser
Franz die Einverleibung ganz Sachsens in Preußen nicht zugestehen könne;
Grundsätze, Familienbande, Grenz- und Nachbarverhältnisse hinderten ihn daran.
Nur etwa ein Fünftel Sachsens sollte preußisch werden. Hardenberg drückte
darüber sein Erstaunen aus und legte dann die Sache Alexander vor. Dieser
sagte, es sei Zeit, das letzte Wort zu sprechen und versprach energische Unter¬
stützung Preußens. Auf beiden Seiten gewannen Gedanken an einen Krieg
um Polen und Sachsen mehr und mehr Macht. Talleyrands Saaten reiften
zur Ernte. Am 19. December richtete er an Metternich und Castlereagh eine
Note, die im Gewände der Staatsschrift dieselben Redensarten enthielt, mit
denen er bisher gewisse Diplomaten des Congresses, besonders die mittelstaat¬
lichen, entzückt: nur Eifer für die geheiligten Grundsätze des öffentlichen Rechts
beseele Frankreich, es sei nicht gut, daß Preußen in Deutschland zu mächtig
werde, Könige könnten nicht gerichtet werden u. tgi. in. Castlereagh lockte er
mit dem Versprechen von 300,000 französischen Bajonneten zur Wiederherstellung
Polens. Am 29. December verlangte jener Zuziehung Talleyrands zu den
gemeinsamen Conferenzen, und als dies von Preußen und Rußland abgelehnt
wurde, schlössen England, Oestreich und Frankreich am 3. Januar 1816 das
bekannte geheime "Vertheidigungsbündniß zur Ausführung des pariser Friedens"
gegen Preußen und Rußland, dem später Bayern, Hannover und Holland bei¬
traten. Dasselbe war eine entschiedene Treulosigkeit Englands und Oestreichs,
sonst aber nicht so gefährlich, als es in der Regel aufgefaßt wird. Von An-
griffsplanen war darin nicht die Rede, auch hieße es von Castlereaghs und
Metternichs Fähigkeiten zu gering denken, wenn man annehmen wollte, daß
sie mit Frankreich in einen Offensivkrieg hätten gehen wollen, mit einem so
unzuverlässigen Bundesgenossen, der nach Preußens Besiegung allen seinen
Einfluß in Deutschland wiedergewonnen hätte. In Wirklichkeit kam es nicht
einmal zu einer Verständigung der drei Verbündeten über die schwebenden Ver-
theilungsfragen, vielmehr zeigte sich bald, daß Castlereagh nicht einmal so weit
zu gehen gesonnen war als Metternich, und mit Anfang des neuen Jahres
nahmen die Verhandlungen des Congresses allmälig eine friedlichere Wendung.
Zuerst verständigte man sich über die polnische Frage, und als Alexander nun
seine Ansprüche in dieser Sache gesichert sah, begann er in seiner Unterstützung
der preußischen auf Sachsen noch mehr als bisher zu wanken. Dagegen stellte
sich Castlereagh jetzt wieder günstiger für Preußen, und so brachte Metternich
auf Hardenbergs Note vom 12. Januar, welche die Einverleibung von ganz
Sachsen festhielt, am 28. einen neuen Theilungsplan ein, der nicht mehr
blos ein Fünftel, sondern fast die Hälfte des Königreichs anbot. Noch wurde
Über Torgau und Leipzig verhandelt, dann gab Preußen nach. Am 8. Februar


Staate) in den ehemaligen Bisthümern Münster und Paderborn mit 350,000
katholischen Einwohnern. Am 10. December erwiderte Metternich, daß Kaiser
Franz die Einverleibung ganz Sachsens in Preußen nicht zugestehen könne;
Grundsätze, Familienbande, Grenz- und Nachbarverhältnisse hinderten ihn daran.
Nur etwa ein Fünftel Sachsens sollte preußisch werden. Hardenberg drückte
darüber sein Erstaunen aus und legte dann die Sache Alexander vor. Dieser
sagte, es sei Zeit, das letzte Wort zu sprechen und versprach energische Unter¬
stützung Preußens. Auf beiden Seiten gewannen Gedanken an einen Krieg
um Polen und Sachsen mehr und mehr Macht. Talleyrands Saaten reiften
zur Ernte. Am 19. December richtete er an Metternich und Castlereagh eine
Note, die im Gewände der Staatsschrift dieselben Redensarten enthielt, mit
denen er bisher gewisse Diplomaten des Congresses, besonders die mittelstaat¬
lichen, entzückt: nur Eifer für die geheiligten Grundsätze des öffentlichen Rechts
beseele Frankreich, es sei nicht gut, daß Preußen in Deutschland zu mächtig
werde, Könige könnten nicht gerichtet werden u. tgi. in. Castlereagh lockte er
mit dem Versprechen von 300,000 französischen Bajonneten zur Wiederherstellung
Polens. Am 29. December verlangte jener Zuziehung Talleyrands zu den
gemeinsamen Conferenzen, und als dies von Preußen und Rußland abgelehnt
wurde, schlössen England, Oestreich und Frankreich am 3. Januar 1816 das
bekannte geheime „Vertheidigungsbündniß zur Ausführung des pariser Friedens"
gegen Preußen und Rußland, dem später Bayern, Hannover und Holland bei¬
traten. Dasselbe war eine entschiedene Treulosigkeit Englands und Oestreichs,
sonst aber nicht so gefährlich, als es in der Regel aufgefaßt wird. Von An-
griffsplanen war darin nicht die Rede, auch hieße es von Castlereaghs und
Metternichs Fähigkeiten zu gering denken, wenn man annehmen wollte, daß
sie mit Frankreich in einen Offensivkrieg hätten gehen wollen, mit einem so
unzuverlässigen Bundesgenossen, der nach Preußens Besiegung allen seinen
Einfluß in Deutschland wiedergewonnen hätte. In Wirklichkeit kam es nicht
einmal zu einer Verständigung der drei Verbündeten über die schwebenden Ver-
theilungsfragen, vielmehr zeigte sich bald, daß Castlereagh nicht einmal so weit
zu gehen gesonnen war als Metternich, und mit Anfang des neuen Jahres
nahmen die Verhandlungen des Congresses allmälig eine friedlichere Wendung.
Zuerst verständigte man sich über die polnische Frage, und als Alexander nun
seine Ansprüche in dieser Sache gesichert sah, begann er in seiner Unterstützung
der preußischen auf Sachsen noch mehr als bisher zu wanken. Dagegen stellte
sich Castlereagh jetzt wieder günstiger für Preußen, und so brachte Metternich
auf Hardenbergs Note vom 12. Januar, welche die Einverleibung von ganz
Sachsen festhielt, am 28. einen neuen Theilungsplan ein, der nicht mehr
blos ein Fünftel, sondern fast die Hälfte des Königreichs anbot. Noch wurde
Über Torgau und Leipzig verhandelt, dann gab Preußen nach. Am 8. Februar


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[0526] Staate) in den ehemaligen Bisthümern Münster und Paderborn mit 350,000 katholischen Einwohnern. Am 10. December erwiderte Metternich, daß Kaiser Franz die Einverleibung ganz Sachsens in Preußen nicht zugestehen könne; Grundsätze, Familienbande, Grenz- und Nachbarverhältnisse hinderten ihn daran. Nur etwa ein Fünftel Sachsens sollte preußisch werden. Hardenberg drückte darüber sein Erstaunen aus und legte dann die Sache Alexander vor. Dieser sagte, es sei Zeit, das letzte Wort zu sprechen und versprach energische Unter¬ stützung Preußens. Auf beiden Seiten gewannen Gedanken an einen Krieg um Polen und Sachsen mehr und mehr Macht. Talleyrands Saaten reiften zur Ernte. Am 19. December richtete er an Metternich und Castlereagh eine Note, die im Gewände der Staatsschrift dieselben Redensarten enthielt, mit denen er bisher gewisse Diplomaten des Congresses, besonders die mittelstaat¬ lichen, entzückt: nur Eifer für die geheiligten Grundsätze des öffentlichen Rechts beseele Frankreich, es sei nicht gut, daß Preußen in Deutschland zu mächtig werde, Könige könnten nicht gerichtet werden u. tgi. in. Castlereagh lockte er mit dem Versprechen von 300,000 französischen Bajonneten zur Wiederherstellung Polens. Am 29. December verlangte jener Zuziehung Talleyrands zu den gemeinsamen Conferenzen, und als dies von Preußen und Rußland abgelehnt wurde, schlössen England, Oestreich und Frankreich am 3. Januar 1816 das bekannte geheime „Vertheidigungsbündniß zur Ausführung des pariser Friedens" gegen Preußen und Rußland, dem später Bayern, Hannover und Holland bei¬ traten. Dasselbe war eine entschiedene Treulosigkeit Englands und Oestreichs, sonst aber nicht so gefährlich, als es in der Regel aufgefaßt wird. Von An- griffsplanen war darin nicht die Rede, auch hieße es von Castlereaghs und Metternichs Fähigkeiten zu gering denken, wenn man annehmen wollte, daß sie mit Frankreich in einen Offensivkrieg hätten gehen wollen, mit einem so unzuverlässigen Bundesgenossen, der nach Preußens Besiegung allen seinen Einfluß in Deutschland wiedergewonnen hätte. In Wirklichkeit kam es nicht einmal zu einer Verständigung der drei Verbündeten über die schwebenden Ver- theilungsfragen, vielmehr zeigte sich bald, daß Castlereagh nicht einmal so weit zu gehen gesonnen war als Metternich, und mit Anfang des neuen Jahres nahmen die Verhandlungen des Congresses allmälig eine friedlichere Wendung. Zuerst verständigte man sich über die polnische Frage, und als Alexander nun seine Ansprüche in dieser Sache gesichert sah, begann er in seiner Unterstützung der preußischen auf Sachsen noch mehr als bisher zu wanken. Dagegen stellte sich Castlereagh jetzt wieder günstiger für Preußen, und so brachte Metternich auf Hardenbergs Note vom 12. Januar, welche die Einverleibung von ganz Sachsen festhielt, am 28. einen neuen Theilungsplan ein, der nicht mehr blos ein Fünftel, sondern fast die Hälfte des Königreichs anbot. Noch wurde Über Torgau und Leipzig verhandelt, dann gab Preußen nach. Am 8. Februar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/526>, abgerufen am 29.06.2024.