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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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gegen den sächsischen Hof" überzeugte, daß die Gefangennahme Friedrich Augusts
nichts als ein anerkanntes Kriegsrecht, die Wegnahme seines Landes nur daS
verdiente Loos für die schweren Hindernisse sei, welche er der Befreiung
Deutschlands vom Joch der Fremdherrschaft in den Weg gelegt, und daß
Preußen , welches für diese Befreiung alles eingesetzt, recht wohl jenen Zuwachs
fordern dürfe. Bei der legitimistischen Partei in Deutschland schlugen solche
Gründe selbstverständlich nicht an; denn dieser war gerade das verhaßt, worauf
Preußen sich damals wie jetzt in Schleswig-Holstein nächst dem Recht der Er¬
oberung am meisten stützte, daß nämlich um Deutschlands und seiner Zukunft
willen ein Staat mit seinem Fürstenhaus erhöht werden und ein andres fürst-
Uches Haus sein Erbe verlieren könne.

In Wien wurde unter diesen Umständen der Plan einer Theilung Sachsens
reif. Für Preußen galt es gerade, das ganze Königreich zu erwerben, damit
der Staat in seiner langgestreckten Lage wenigstens an einer Stelle ein abge-
rundetes und wohlgeschlossenes Gebiet bilde. Auch die Rücksicht auf das sächsische
Volk verlangte, daß das Königreich in der Gemeinschaft des Rechts, der Ver¬
waltung, des Handels und Verkehrs, kurz aller öffentlichen Lebensformen auch
zusammenbleibe, und dieser Rücksicht HU Liebe hatte man bei der Uebergabe der
Verwaltung an Preußen dem Lande die Erhaltung seiner, bisherigen Rechte
und Freiheiten zugesichert. Andrerseits war es auch die Meinung Friedrich
Augusts und der Hvfpartei, daß Sachsen ungetheilt bleiben müsse, nur sollte
eS natürlich beim König bleiben; denn daß dieser sein angestammtes Recht ver¬
lieren könne, galt auf dieser Seite fast wie Gotteslästerung. Das Volk in
seiner großen Mehrheit sah, wie bemerkt, die Sache keineswegs so an. Es
wünschte keine Theilung, war aber, wie in Wien die Berichte Repnins und
selbst die Zeugnisse der sächsischen Obersten v. Carlowitz und v. Miltitz bewiesen,
der Vereinigung mit dem großen Nachbarstaat, der die Befreiung von den
Franzosen gebracht, nicht abgeneigt. Doch sprach es sich für keinen von beiden
Theilen mit Nachdruck aus; denn unter der alten Gewöhnung an die ausschlie߬
liche Fürsorge und Entscheidung der Regierung waren Gefühl und Einsicht
für den eignen Vortheil wenig entwickelt worden und der Gedanke selbst handeln
zu müssen nie aufgekommen.

Kaiser Alexander trat zwar in seinen öffentlichen Kundgebungen für den
Anspruch Preußens aus ganz Sachsen auf, privatim aber gab er deutlich zu
verstehen.daß es ihm leid thue, sich in dieser Sache durch sein Wort gebunden
zu haben. England begann sich Frankreich zu nähern. Talleyrand, Wrede
und Münster sprachen für die Theilung. Am 2. December bot Preußen in
einer Note Hardenbergs an Metternich dem König Friedrich August zur Ent-
schädigung "eine schöne Besitzung" (Besitzung das rechte Wort für die damalige
und auch jetzt in höheren Sphären noch häufig anzutreffende Auffassung vom


gegen den sächsischen Hof" überzeugte, daß die Gefangennahme Friedrich Augusts
nichts als ein anerkanntes Kriegsrecht, die Wegnahme seines Landes nur daS
verdiente Loos für die schweren Hindernisse sei, welche er der Befreiung
Deutschlands vom Joch der Fremdherrschaft in den Weg gelegt, und daß
Preußen , welches für diese Befreiung alles eingesetzt, recht wohl jenen Zuwachs
fordern dürfe. Bei der legitimistischen Partei in Deutschland schlugen solche
Gründe selbstverständlich nicht an; denn dieser war gerade das verhaßt, worauf
Preußen sich damals wie jetzt in Schleswig-Holstein nächst dem Recht der Er¬
oberung am meisten stützte, daß nämlich um Deutschlands und seiner Zukunft
willen ein Staat mit seinem Fürstenhaus erhöht werden und ein andres fürst-
Uches Haus sein Erbe verlieren könne.

In Wien wurde unter diesen Umständen der Plan einer Theilung Sachsens
reif. Für Preußen galt es gerade, das ganze Königreich zu erwerben, damit
der Staat in seiner langgestreckten Lage wenigstens an einer Stelle ein abge-
rundetes und wohlgeschlossenes Gebiet bilde. Auch die Rücksicht auf das sächsische
Volk verlangte, daß das Königreich in der Gemeinschaft des Rechts, der Ver¬
waltung, des Handels und Verkehrs, kurz aller öffentlichen Lebensformen auch
zusammenbleibe, und dieser Rücksicht HU Liebe hatte man bei der Uebergabe der
Verwaltung an Preußen dem Lande die Erhaltung seiner, bisherigen Rechte
und Freiheiten zugesichert. Andrerseits war es auch die Meinung Friedrich
Augusts und der Hvfpartei, daß Sachsen ungetheilt bleiben müsse, nur sollte
eS natürlich beim König bleiben; denn daß dieser sein angestammtes Recht ver¬
lieren könne, galt auf dieser Seite fast wie Gotteslästerung. Das Volk in
seiner großen Mehrheit sah, wie bemerkt, die Sache keineswegs so an. Es
wünschte keine Theilung, war aber, wie in Wien die Berichte Repnins und
selbst die Zeugnisse der sächsischen Obersten v. Carlowitz und v. Miltitz bewiesen,
der Vereinigung mit dem großen Nachbarstaat, der die Befreiung von den
Franzosen gebracht, nicht abgeneigt. Doch sprach es sich für keinen von beiden
Theilen mit Nachdruck aus; denn unter der alten Gewöhnung an die ausschlie߬
liche Fürsorge und Entscheidung der Regierung waren Gefühl und Einsicht
für den eignen Vortheil wenig entwickelt worden und der Gedanke selbst handeln
zu müssen nie aufgekommen.

Kaiser Alexander trat zwar in seinen öffentlichen Kundgebungen für den
Anspruch Preußens aus ganz Sachsen auf, privatim aber gab er deutlich zu
verstehen.daß es ihm leid thue, sich in dieser Sache durch sein Wort gebunden
zu haben. England begann sich Frankreich zu nähern. Talleyrand, Wrede
und Münster sprachen für die Theilung. Am 2. December bot Preußen in
einer Note Hardenbergs an Metternich dem König Friedrich August zur Ent-
schädigung „eine schöne Besitzung" (Besitzung das rechte Wort für die damalige
und auch jetzt in höheren Sphären noch häufig anzutreffende Auffassung vom


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[0525] gegen den sächsischen Hof" überzeugte, daß die Gefangennahme Friedrich Augusts nichts als ein anerkanntes Kriegsrecht, die Wegnahme seines Landes nur daS verdiente Loos für die schweren Hindernisse sei, welche er der Befreiung Deutschlands vom Joch der Fremdherrschaft in den Weg gelegt, und daß Preußen , welches für diese Befreiung alles eingesetzt, recht wohl jenen Zuwachs fordern dürfe. Bei der legitimistischen Partei in Deutschland schlugen solche Gründe selbstverständlich nicht an; denn dieser war gerade das verhaßt, worauf Preußen sich damals wie jetzt in Schleswig-Holstein nächst dem Recht der Er¬ oberung am meisten stützte, daß nämlich um Deutschlands und seiner Zukunft willen ein Staat mit seinem Fürstenhaus erhöht werden und ein andres fürst- Uches Haus sein Erbe verlieren könne. In Wien wurde unter diesen Umständen der Plan einer Theilung Sachsens reif. Für Preußen galt es gerade, das ganze Königreich zu erwerben, damit der Staat in seiner langgestreckten Lage wenigstens an einer Stelle ein abge- rundetes und wohlgeschlossenes Gebiet bilde. Auch die Rücksicht auf das sächsische Volk verlangte, daß das Königreich in der Gemeinschaft des Rechts, der Ver¬ waltung, des Handels und Verkehrs, kurz aller öffentlichen Lebensformen auch zusammenbleibe, und dieser Rücksicht HU Liebe hatte man bei der Uebergabe der Verwaltung an Preußen dem Lande die Erhaltung seiner, bisherigen Rechte und Freiheiten zugesichert. Andrerseits war es auch die Meinung Friedrich Augusts und der Hvfpartei, daß Sachsen ungetheilt bleiben müsse, nur sollte eS natürlich beim König bleiben; denn daß dieser sein angestammtes Recht ver¬ lieren könne, galt auf dieser Seite fast wie Gotteslästerung. Das Volk in seiner großen Mehrheit sah, wie bemerkt, die Sache keineswegs so an. Es wünschte keine Theilung, war aber, wie in Wien die Berichte Repnins und selbst die Zeugnisse der sächsischen Obersten v. Carlowitz und v. Miltitz bewiesen, der Vereinigung mit dem großen Nachbarstaat, der die Befreiung von den Franzosen gebracht, nicht abgeneigt. Doch sprach es sich für keinen von beiden Theilen mit Nachdruck aus; denn unter der alten Gewöhnung an die ausschlie߬ liche Fürsorge und Entscheidung der Regierung waren Gefühl und Einsicht für den eignen Vortheil wenig entwickelt worden und der Gedanke selbst handeln zu müssen nie aufgekommen. Kaiser Alexander trat zwar in seinen öffentlichen Kundgebungen für den Anspruch Preußens aus ganz Sachsen auf, privatim aber gab er deutlich zu verstehen.daß es ihm leid thue, sich in dieser Sache durch sein Wort gebunden zu haben. England begann sich Frankreich zu nähern. Talleyrand, Wrede und Münster sprachen für die Theilung. Am 2. December bot Preußen in einer Note Hardenbergs an Metternich dem König Friedrich August zur Ent- schädigung „eine schöne Besitzung" (Besitzung das rechte Wort für die damalige und auch jetzt in höheren Sphären noch häufig anzutreffende Auffassung vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/525>, abgerufen am 29.06.2024.