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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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zuletzt, am 22. October, erklärte er sich über die eigentliche Besitznahme des
Landes dahin, daß es zwar für Preußen besser sein werde, wenn es sich mit
einem Theile desselben begnüge, daß Oestreich sich aber nicht widersetzen werde,
wenn die vollständige Einverleibung um der Herstellung Preußens willen durch¬
aus nothwendig erscheine; nur müsse Oestreich dann darauf bestehen, daß Mainz
und die Mciiniinie zu Süddeutschland käme, und daß Preußen seine Besitzungen
nicht auf das südliche Moselufer ausdehne. Diese Note war nicht sehr er¬
mutigend, dennoch wäre, da England noch fest zu Preußen hielt, ein be¬
friedigendes Abkommen über die sächsische Angelegenheit zwischen den beiden
Mächten und Oestreich wohl noch zu erreichen gewesen. Das Resultat jener
gefühlvollen Stunde am 6. November zerstörte diese Möglichkeit, indem es
gegen die von Castlereagh gestellte Bedingung verstieß. England hörte von
jetzt an auf, Preußen in der sächsischen Frage zu unterstützen. Oestreich nahm
am 11. November schon in einer Unterredung zwischen Castlereagh, Hardenberg
und Metternich die kurz zuvor zugestandn? Abtretung ganz Sachsens zurück,
verlangte für den König wenigstens eine halbe Million Einwohner nebst Dres¬
den und schlug die Besetzung von Mainz durch östreichische und bayerische
Truppen vor. Bald fand auch Talleyrand Gelegenheit, gewichtiger als bisher
für Sachsens König aufzutreten.

Inzwischen war die Verwaltung Sachsens an Preußen übergangen. Die
nach Wien kommenden Berichte von dem Eindruck, den diese Maßregel gemacht,
dienten dazu, die ungünstige Stimmung, die dort gegen Preußen herrschte, zu
vermehren, ihr wenigstens einen neuen Vorwand zum Widerstand gegen die
Einverleibung zu liefern. Friedrich Wilhelm hatte der Sache nur ungern zu¬
gestimmt und sich geweigert, an die Spitze der Verwaltung seinen Bruder
Wilhelm zu stellen, der hier sehr an Platze gewesen wäre. Der Prinz hatte
im Befreiungskriege rühmlich mitgefochten, seine Gemahlin sich mit Eifer an
der Thätigkeit der deutschen Frauen für die Krieger betheiligt, beiden stand der
Ruf reiner und milder Gemüther zur Seite; sie hätten die Dresdner am besten
mit der neuen Ordnung der Dinge versöhnt. Statt des Prinzen aber schickte
man den Minister v. Reck, und dieser hatte gleich zu Anfang das Ungeschick
und den Uebermuth, aus einer Anzahl von höheren Stellen die sächsischen
Männer, die unter Repnin die Geschäfte mit Sachkunde und redlichem Eifer
geleitet, auszuscheiden und an ihre Posten preußische Beamte zu setzen, die
weder die Menschen noch die Verhältnisse kannten. Machte dies mit Recht
böses Blut, so hatten die großentheils äußerst plumpen und gemeinen Angriffe,
die in Betreff der sächsischen Sache von der in München erscheinenden "Aleman-
ma", von dem bayerischen Geheimrath v. Arelim und von dem göttinger
Professor Sartorius gegen Preußen gerichtet wurden, in Sachsen nur schwachen
Erfolg. Es gab hier gar nicht Wenige, die Niebub,rs Schrift "Preußens Recht


zuletzt, am 22. October, erklärte er sich über die eigentliche Besitznahme des
Landes dahin, daß es zwar für Preußen besser sein werde, wenn es sich mit
einem Theile desselben begnüge, daß Oestreich sich aber nicht widersetzen werde,
wenn die vollständige Einverleibung um der Herstellung Preußens willen durch¬
aus nothwendig erscheine; nur müsse Oestreich dann darauf bestehen, daß Mainz
und die Mciiniinie zu Süddeutschland käme, und daß Preußen seine Besitzungen
nicht auf das südliche Moselufer ausdehne. Diese Note war nicht sehr er¬
mutigend, dennoch wäre, da England noch fest zu Preußen hielt, ein be¬
friedigendes Abkommen über die sächsische Angelegenheit zwischen den beiden
Mächten und Oestreich wohl noch zu erreichen gewesen. Das Resultat jener
gefühlvollen Stunde am 6. November zerstörte diese Möglichkeit, indem es
gegen die von Castlereagh gestellte Bedingung verstieß. England hörte von
jetzt an auf, Preußen in der sächsischen Frage zu unterstützen. Oestreich nahm
am 11. November schon in einer Unterredung zwischen Castlereagh, Hardenberg
und Metternich die kurz zuvor zugestandn? Abtretung ganz Sachsens zurück,
verlangte für den König wenigstens eine halbe Million Einwohner nebst Dres¬
den und schlug die Besetzung von Mainz durch östreichische und bayerische
Truppen vor. Bald fand auch Talleyrand Gelegenheit, gewichtiger als bisher
für Sachsens König aufzutreten.

Inzwischen war die Verwaltung Sachsens an Preußen übergangen. Die
nach Wien kommenden Berichte von dem Eindruck, den diese Maßregel gemacht,
dienten dazu, die ungünstige Stimmung, die dort gegen Preußen herrschte, zu
vermehren, ihr wenigstens einen neuen Vorwand zum Widerstand gegen die
Einverleibung zu liefern. Friedrich Wilhelm hatte der Sache nur ungern zu¬
gestimmt und sich geweigert, an die Spitze der Verwaltung seinen Bruder
Wilhelm zu stellen, der hier sehr an Platze gewesen wäre. Der Prinz hatte
im Befreiungskriege rühmlich mitgefochten, seine Gemahlin sich mit Eifer an
der Thätigkeit der deutschen Frauen für die Krieger betheiligt, beiden stand der
Ruf reiner und milder Gemüther zur Seite; sie hätten die Dresdner am besten
mit der neuen Ordnung der Dinge versöhnt. Statt des Prinzen aber schickte
man den Minister v. Reck, und dieser hatte gleich zu Anfang das Ungeschick
und den Uebermuth, aus einer Anzahl von höheren Stellen die sächsischen
Männer, die unter Repnin die Geschäfte mit Sachkunde und redlichem Eifer
geleitet, auszuscheiden und an ihre Posten preußische Beamte zu setzen, die
weder die Menschen noch die Verhältnisse kannten. Machte dies mit Recht
böses Blut, so hatten die großentheils äußerst plumpen und gemeinen Angriffe,
die in Betreff der sächsischen Sache von der in München erscheinenden „Aleman-
ma", von dem bayerischen Geheimrath v. Arelim und von dem göttinger
Professor Sartorius gegen Preußen gerichtet wurden, in Sachsen nur schwachen
Erfolg. Es gab hier gar nicht Wenige, die Niebub,rs Schrift „Preußens Recht


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[0524] zuletzt, am 22. October, erklärte er sich über die eigentliche Besitznahme des Landes dahin, daß es zwar für Preußen besser sein werde, wenn es sich mit einem Theile desselben begnüge, daß Oestreich sich aber nicht widersetzen werde, wenn die vollständige Einverleibung um der Herstellung Preußens willen durch¬ aus nothwendig erscheine; nur müsse Oestreich dann darauf bestehen, daß Mainz und die Mciiniinie zu Süddeutschland käme, und daß Preußen seine Besitzungen nicht auf das südliche Moselufer ausdehne. Diese Note war nicht sehr er¬ mutigend, dennoch wäre, da England noch fest zu Preußen hielt, ein be¬ friedigendes Abkommen über die sächsische Angelegenheit zwischen den beiden Mächten und Oestreich wohl noch zu erreichen gewesen. Das Resultat jener gefühlvollen Stunde am 6. November zerstörte diese Möglichkeit, indem es gegen die von Castlereagh gestellte Bedingung verstieß. England hörte von jetzt an auf, Preußen in der sächsischen Frage zu unterstützen. Oestreich nahm am 11. November schon in einer Unterredung zwischen Castlereagh, Hardenberg und Metternich die kurz zuvor zugestandn? Abtretung ganz Sachsens zurück, verlangte für den König wenigstens eine halbe Million Einwohner nebst Dres¬ den und schlug die Besetzung von Mainz durch östreichische und bayerische Truppen vor. Bald fand auch Talleyrand Gelegenheit, gewichtiger als bisher für Sachsens König aufzutreten. Inzwischen war die Verwaltung Sachsens an Preußen übergangen. Die nach Wien kommenden Berichte von dem Eindruck, den diese Maßregel gemacht, dienten dazu, die ungünstige Stimmung, die dort gegen Preußen herrschte, zu vermehren, ihr wenigstens einen neuen Vorwand zum Widerstand gegen die Einverleibung zu liefern. Friedrich Wilhelm hatte der Sache nur ungern zu¬ gestimmt und sich geweigert, an die Spitze der Verwaltung seinen Bruder Wilhelm zu stellen, der hier sehr an Platze gewesen wäre. Der Prinz hatte im Befreiungskriege rühmlich mitgefochten, seine Gemahlin sich mit Eifer an der Thätigkeit der deutschen Frauen für die Krieger betheiligt, beiden stand der Ruf reiner und milder Gemüther zur Seite; sie hätten die Dresdner am besten mit der neuen Ordnung der Dinge versöhnt. Statt des Prinzen aber schickte man den Minister v. Reck, und dieser hatte gleich zu Anfang das Ungeschick und den Uebermuth, aus einer Anzahl von höheren Stellen die sächsischen Männer, die unter Repnin die Geschäfte mit Sachkunde und redlichem Eifer geleitet, auszuscheiden und an ihre Posten preußische Beamte zu setzen, die weder die Menschen noch die Verhältnisse kannten. Machte dies mit Recht böses Blut, so hatten die großentheils äußerst plumpen und gemeinen Angriffe, die in Betreff der sächsischen Sache von der in München erscheinenden „Aleman- ma", von dem bayerischen Geheimrath v. Arelim und von dem göttinger Professor Sartorius gegen Preußen gerichtet wurden, in Sachsen nur schwachen Erfolg. Es gab hier gar nicht Wenige, die Niebub,rs Schrift „Preußens Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/524>, abgerufen am 29.06.2024.