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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Centralverwaltung unter Stein überwiesen worden. Das Recht der Ver-
Kündeten hierzu ist in Ur. 24 d. Bl. -- wir denken überzeugend -- dargelegt
worden. Was die preußischen Staatsmänner und Generale übereinstimmend
verlangten, die Vereinigung Sachsens mit Preußen, damit wenigstens der Haupt,
theil dieses Staates ein in sich geschlossenes kräftiges Ganze bilde, war von
Hardenberg in Paris zu fordern versäumt worden. Vergebens hatte ihn Stein
auch nachher erinnert, die sächsische Sache zum Abschluß zu bringen; sie wurde
verschleppt und gab auf diese Weise -- ähnlich wie jetzt in Schleswig-Holstein
-- der Hofpartei und der natürlichen Ungeduld in einem Theil des Volkes
Anlaß sich zu regen. Der König suchte sein vermeintliches Recht durch eine sehr
ausführliche Auseinandersetzung zu wahren, welche sein Verhalten seit Gründung
des Rheinbundes vor dem Congreß rechtfertigen sollte. In Dresden wurde
unablässig daran gearbeitet, das Volk für den gefangnen "Vater" in Bewegung
zu bringen, und die Beamten sowie viele vom Hofe abhängige Bürger bezeugten
Wirklich lebhafte Theilnahme für denselben. Die sächsischen Minister trugen dem
Kaiser Alexander bei seiner Durchreise durch die Hauptstadt die Bitte um Rück¬
gabe des Königs vor, eine Anzahl angesehener Einwohner Dresdens, Hofräthe,
Hoflieferanten u. f. w. baten bei Repnin um Erlaubniß, eine Deputation mit
dem gleichen Anliegen nach Wien zu schicken. Beide Petitionen wurden ab-
gewiesen, die Bewegung, eifrig angespornt, nahm darum nicht ab. Doch blieb
es nicht ohne Eindruck, als Repnin wiederholt andeutete, das Land werde nur
als Ganzes und mit seinen Gesetzen und Freiheiten an Preußen übergehen;
die lauten Hoffnungen, mit denen die königliche Partei auf Oestreich hinwies,
blieben unerfüllt, und die große Mehrzahl des Volkes sehnte sich nur nach einer
Entscheidung, welche den ungewissen Zustand beendigte. Nur in der Armee
kam es, wie unten gezeigt werden soll, unter dem Einfluß des Hofes zu einer
Bewegung von lange nachwirkender Bedeutung.

In dieser Lage der Dinge entschloß sich Stein zu einem entscheidenden
Schritte. Am 29. September stellte er dem Kaiser Alexander vor, daß es Zeit
sei, die Verwaltung des eroberten Landes von Rußland an Preußen übergehen
zu lassen. Der Kaiser willigte ein, und die Uebergabe wurde in einer Conferenz
von Stein, Hardenberg, Humboldt und Nesselrode förmlich beschlossen, doch so,
daß Sachsen nicht als Provinz, sondern als besonderes Königreich mit Preußen
vereinigt werde. Am 11. October ertheilte auch Castlereagh seine Zustimmung,
doch bemerkte er ausdrücklich, daß England in die Erwerbung Sachsens nicht
einwilligen könne, wenn Preußen dafür den russischen Ansprüchen in Polen
"achgebe und sich dort eine offne Grenze gefallen lasse, die zu beständiger Ab-
HSngigkeit von Rußland führen müsse. Weniger klar sprach Metternich sich aus.
Den ersten Aufforderungen Hardenbergs wich er aus, dann aber erfolgte seine
Zustimmung zur Uebernahme der Verwaltung Sachsens durch Preußen, und


Centralverwaltung unter Stein überwiesen worden. Das Recht der Ver-
Kündeten hierzu ist in Ur. 24 d. Bl. — wir denken überzeugend — dargelegt
worden. Was die preußischen Staatsmänner und Generale übereinstimmend
verlangten, die Vereinigung Sachsens mit Preußen, damit wenigstens der Haupt,
theil dieses Staates ein in sich geschlossenes kräftiges Ganze bilde, war von
Hardenberg in Paris zu fordern versäumt worden. Vergebens hatte ihn Stein
auch nachher erinnert, die sächsische Sache zum Abschluß zu bringen; sie wurde
verschleppt und gab auf diese Weise — ähnlich wie jetzt in Schleswig-Holstein
— der Hofpartei und der natürlichen Ungeduld in einem Theil des Volkes
Anlaß sich zu regen. Der König suchte sein vermeintliches Recht durch eine sehr
ausführliche Auseinandersetzung zu wahren, welche sein Verhalten seit Gründung
des Rheinbundes vor dem Congreß rechtfertigen sollte. In Dresden wurde
unablässig daran gearbeitet, das Volk für den gefangnen „Vater" in Bewegung
zu bringen, und die Beamten sowie viele vom Hofe abhängige Bürger bezeugten
Wirklich lebhafte Theilnahme für denselben. Die sächsischen Minister trugen dem
Kaiser Alexander bei seiner Durchreise durch die Hauptstadt die Bitte um Rück¬
gabe des Königs vor, eine Anzahl angesehener Einwohner Dresdens, Hofräthe,
Hoflieferanten u. f. w. baten bei Repnin um Erlaubniß, eine Deputation mit
dem gleichen Anliegen nach Wien zu schicken. Beide Petitionen wurden ab-
gewiesen, die Bewegung, eifrig angespornt, nahm darum nicht ab. Doch blieb
es nicht ohne Eindruck, als Repnin wiederholt andeutete, das Land werde nur
als Ganzes und mit seinen Gesetzen und Freiheiten an Preußen übergehen;
die lauten Hoffnungen, mit denen die königliche Partei auf Oestreich hinwies,
blieben unerfüllt, und die große Mehrzahl des Volkes sehnte sich nur nach einer
Entscheidung, welche den ungewissen Zustand beendigte. Nur in der Armee
kam es, wie unten gezeigt werden soll, unter dem Einfluß des Hofes zu einer
Bewegung von lange nachwirkender Bedeutung.

In dieser Lage der Dinge entschloß sich Stein zu einem entscheidenden
Schritte. Am 29. September stellte er dem Kaiser Alexander vor, daß es Zeit
sei, die Verwaltung des eroberten Landes von Rußland an Preußen übergehen
zu lassen. Der Kaiser willigte ein, und die Uebergabe wurde in einer Conferenz
von Stein, Hardenberg, Humboldt und Nesselrode förmlich beschlossen, doch so,
daß Sachsen nicht als Provinz, sondern als besonderes Königreich mit Preußen
vereinigt werde. Am 11. October ertheilte auch Castlereagh seine Zustimmung,
doch bemerkte er ausdrücklich, daß England in die Erwerbung Sachsens nicht
einwilligen könne, wenn Preußen dafür den russischen Ansprüchen in Polen
»achgebe und sich dort eine offne Grenze gefallen lasse, die zu beständiger Ab-
HSngigkeit von Rußland führen müsse. Weniger klar sprach Metternich sich aus.
Den ersten Aufforderungen Hardenbergs wich er aus, dann aber erfolgte seine
Zustimmung zur Uebernahme der Verwaltung Sachsens durch Preußen, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/523>, abgerufen am 28.09.2024.