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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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dem damaligen Sachsen und dem jetzigen Schleswig-Holstein ziehen lassen
werden.

Preußen erschien auf dem wiener Congreß ohne sichere Freunde und leider
auch mit keinem bestimmten Willen. Darüber allerdings war der König mit
seinen Ministern einig, daß Preußen wieder ein mächtiger und wohlabgerun¬
deter Staat werden und daß zu diesem Zwecke möglichst viel von dem in
Deutschland eroberten Gebiete verwendet werden müsse. Viel mehr aber stand
nicht fest. Dem König fehlte für verwickelte Fragen der Staatskunst das Ver¬
ständniß und noch mehr die rasche Entschlossenheit, und Hardenberg nahm seine
Aufgabe zu leicht. Er kam nach Wien ohne klaren Plan und ohne eine rechte
Grundlage für die Ansprüche Preußens gewonnen zu haben. Die Verhältnisse
freilich waren wenig günstig und ziemlich verworren, doch konnte eine weit¬
sichtige Politik erkennen, daß in der deutschen Entschädigungsmasse Land genug
für das Bedürfniß Preußens vorhanden war, daß England kein Interesse hatte,
der Befriedigung dieses Bedürfnisses entgegenzutreten, und daß man sich darüber
vielleicht auch mit Oestreich verständigen konnte. Soviel wir aber heute wissen,
ist nach diesen Beziehungen hin nicht einmal ein ernstlicher Versuch vorläufiger
Unterhandlungen gemacht worden, und so "trieb das preußische Staatsschiff
in den Congreß weit mehr wie es die Strömung trug, als wie es der Steuer¬
mann lenkte". Diese Strömung aber wurde bald eine solche, die direct gegen
das Interesse Preußens ging, und wieder nicht ohne Schuld des Königs und
Hardenbergs, wenn auch ebenso sehr dadurch, daß Metternich und Talleyrand
ihre Intriguen gegen Preußen spielen ließen, daß das Legitimitälsvrincip sich
in die Gründe eindrängte, nach denen entschieden werden sollte, und daß Kaiser
Alexander in seiner Unterstützung der preußischen Ansprüche lauer und zuletzt
ganz unzuverlässig wurde.

Zuerst hatte es den Anschein, als bestände eine wirkliche Mittelmacht in
Europa, als wären Preußen, Oestreich und England einig genug, um Frank¬
reich niederzuhalten und die übermäßigen Ansprüche Rußlands zurückzuweisen.
Talleyrands Einmischung änderte daran zunächst nicht viel. Erst als Alexander
in einer sentimentalen Stunde die Unterstützung Friedrich Wilhelms für seine
polnischen Pläne gewann, mit denen er von den übrigen Hauptmächten zu¬
rückgewiesen worden, begannen die allerdings bereits reichlich vorhandenen Ur¬
sachen zum Zwiespalt zu wirken und die Verhältnisse sich auf unnatürliche Weise
zu verschieben. Preußen hatte sich am 6. November 1814 von seinen natür¬
lichen Verbündeten und damit von seinem eignen Vortheil abgewandt, und es
sollte bald die Folgen davon sehen.

Die sächsische Frage trat in den Vordergrund. Nach Friedrich Augusts
Wegführung von Leipzig nach Berlin war Sachsen unter die Befehle des
russischen Fürsten Repnin gestellt und wie alle eroberten deutschen Gebiete der


dem damaligen Sachsen und dem jetzigen Schleswig-Holstein ziehen lassen
werden.

Preußen erschien auf dem wiener Congreß ohne sichere Freunde und leider
auch mit keinem bestimmten Willen. Darüber allerdings war der König mit
seinen Ministern einig, daß Preußen wieder ein mächtiger und wohlabgerun¬
deter Staat werden und daß zu diesem Zwecke möglichst viel von dem in
Deutschland eroberten Gebiete verwendet werden müsse. Viel mehr aber stand
nicht fest. Dem König fehlte für verwickelte Fragen der Staatskunst das Ver¬
ständniß und noch mehr die rasche Entschlossenheit, und Hardenberg nahm seine
Aufgabe zu leicht. Er kam nach Wien ohne klaren Plan und ohne eine rechte
Grundlage für die Ansprüche Preußens gewonnen zu haben. Die Verhältnisse
freilich waren wenig günstig und ziemlich verworren, doch konnte eine weit¬
sichtige Politik erkennen, daß in der deutschen Entschädigungsmasse Land genug
für das Bedürfniß Preußens vorhanden war, daß England kein Interesse hatte,
der Befriedigung dieses Bedürfnisses entgegenzutreten, und daß man sich darüber
vielleicht auch mit Oestreich verständigen konnte. Soviel wir aber heute wissen,
ist nach diesen Beziehungen hin nicht einmal ein ernstlicher Versuch vorläufiger
Unterhandlungen gemacht worden, und so „trieb das preußische Staatsschiff
in den Congreß weit mehr wie es die Strömung trug, als wie es der Steuer¬
mann lenkte". Diese Strömung aber wurde bald eine solche, die direct gegen
das Interesse Preußens ging, und wieder nicht ohne Schuld des Königs und
Hardenbergs, wenn auch ebenso sehr dadurch, daß Metternich und Talleyrand
ihre Intriguen gegen Preußen spielen ließen, daß das Legitimitälsvrincip sich
in die Gründe eindrängte, nach denen entschieden werden sollte, und daß Kaiser
Alexander in seiner Unterstützung der preußischen Ansprüche lauer und zuletzt
ganz unzuverlässig wurde.

Zuerst hatte es den Anschein, als bestände eine wirkliche Mittelmacht in
Europa, als wären Preußen, Oestreich und England einig genug, um Frank¬
reich niederzuhalten und die übermäßigen Ansprüche Rußlands zurückzuweisen.
Talleyrands Einmischung änderte daran zunächst nicht viel. Erst als Alexander
in einer sentimentalen Stunde die Unterstützung Friedrich Wilhelms für seine
polnischen Pläne gewann, mit denen er von den übrigen Hauptmächten zu¬
rückgewiesen worden, begannen die allerdings bereits reichlich vorhandenen Ur¬
sachen zum Zwiespalt zu wirken und die Verhältnisse sich auf unnatürliche Weise
zu verschieben. Preußen hatte sich am 6. November 1814 von seinen natür¬
lichen Verbündeten und damit von seinem eignen Vortheil abgewandt, und es
sollte bald die Folgen davon sehen.

Die sächsische Frage trat in den Vordergrund. Nach Friedrich Augusts
Wegführung von Leipzig nach Berlin war Sachsen unter die Befehle des
russischen Fürsten Repnin gestellt und wie alle eroberten deutschen Gebiete der


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[0522] dem damaligen Sachsen und dem jetzigen Schleswig-Holstein ziehen lassen werden. Preußen erschien auf dem wiener Congreß ohne sichere Freunde und leider auch mit keinem bestimmten Willen. Darüber allerdings war der König mit seinen Ministern einig, daß Preußen wieder ein mächtiger und wohlabgerun¬ deter Staat werden und daß zu diesem Zwecke möglichst viel von dem in Deutschland eroberten Gebiete verwendet werden müsse. Viel mehr aber stand nicht fest. Dem König fehlte für verwickelte Fragen der Staatskunst das Ver¬ ständniß und noch mehr die rasche Entschlossenheit, und Hardenberg nahm seine Aufgabe zu leicht. Er kam nach Wien ohne klaren Plan und ohne eine rechte Grundlage für die Ansprüche Preußens gewonnen zu haben. Die Verhältnisse freilich waren wenig günstig und ziemlich verworren, doch konnte eine weit¬ sichtige Politik erkennen, daß in der deutschen Entschädigungsmasse Land genug für das Bedürfniß Preußens vorhanden war, daß England kein Interesse hatte, der Befriedigung dieses Bedürfnisses entgegenzutreten, und daß man sich darüber vielleicht auch mit Oestreich verständigen konnte. Soviel wir aber heute wissen, ist nach diesen Beziehungen hin nicht einmal ein ernstlicher Versuch vorläufiger Unterhandlungen gemacht worden, und so „trieb das preußische Staatsschiff in den Congreß weit mehr wie es die Strömung trug, als wie es der Steuer¬ mann lenkte". Diese Strömung aber wurde bald eine solche, die direct gegen das Interesse Preußens ging, und wieder nicht ohne Schuld des Königs und Hardenbergs, wenn auch ebenso sehr dadurch, daß Metternich und Talleyrand ihre Intriguen gegen Preußen spielen ließen, daß das Legitimitälsvrincip sich in die Gründe eindrängte, nach denen entschieden werden sollte, und daß Kaiser Alexander in seiner Unterstützung der preußischen Ansprüche lauer und zuletzt ganz unzuverlässig wurde. Zuerst hatte es den Anschein, als bestände eine wirkliche Mittelmacht in Europa, als wären Preußen, Oestreich und England einig genug, um Frank¬ reich niederzuhalten und die übermäßigen Ansprüche Rußlands zurückzuweisen. Talleyrands Einmischung änderte daran zunächst nicht viel. Erst als Alexander in einer sentimentalen Stunde die Unterstützung Friedrich Wilhelms für seine polnischen Pläne gewann, mit denen er von den übrigen Hauptmächten zu¬ rückgewiesen worden, begannen die allerdings bereits reichlich vorhandenen Ur¬ sachen zum Zwiespalt zu wirken und die Verhältnisse sich auf unnatürliche Weise zu verschieben. Preußen hatte sich am 6. November 1814 von seinen natür¬ lichen Verbündeten und damit von seinem eignen Vortheil abgewandt, und es sollte bald die Folgen davon sehen. Die sächsische Frage trat in den Vordergrund. Nach Friedrich Augusts Wegführung von Leipzig nach Berlin war Sachsen unter die Befehle des russischen Fürsten Repnin gestellt und wie alle eroberten deutschen Gebiete der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/522>, abgerufen am 29.06.2024.