Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bekanntlich war dies vormalige deutsche Ordensland, das alte Herzogthum Preu¬
ßen, seit 1525 ein polnisches Erblehn. Nun erlangte der große Kurfürst Frie¬
drich Wilhelm von Brandenburg durch Artikel V des Vertrags zu Welau,
19. September 1657, von der Krone Polen die Befreiung von der Lehnshoheit
und die Souveränetät in Preußen, aber nur für sich und seine ehelichen männ¬
lichen Descendenten. Dabei wird in dem folgenden Artikel VI ausdrücklich
vorbehalten, daß daraus keine xerpötua, toucti MguMo folgen soll, sondern
wenn die kurfürstliche Linie erlischt, so tritt das alte Recht des Königs und
der Republik Polen (das supreiuum äominium) wieder in Kraft, und die bran¬
denburgisch-fränkischen Agnaten von Kulmbach (Bayreuth) und Ansbach sollen,
wenn sie zur Succession (zum clomimuin utile) zugelassen werden, das Herzog¬
thum Preußen wieder in der früheren Weise von Polen zu Lehn nehmen (Pfef-
fingers Vitriarius illustr^of. Bd. II. S. 929).

Diese Clausel ist für Ostpreußen endgiltig durch den völligen Umsturz des
polnischen Reichs beseitigt worden; bekanntlich sind auch die beiden fränkischen
Nebenlinien ausgestorben, und nur das kurfürstlich königliche Haus blüht fort.
Dagegen für Schleswig und die sonderburger Linie hat dasselbe Rechtsverhält¬
niß bis auf die neueste Zeit unverändert fortbestanden*).

Was ist nun die praktische Consequenz? Die gottorpische Linie hat ihren
Antheil an Schleswig durch Verzicht und Tausch aufgegeben, die königliche Linie
ist ausgestorben; damit wurden die Souveränctätsdiplome von 1658 hinfällig.
Ging es nun nach dem alten Schleswig-holsteinischen Staatsrecht, so mußte nach'
dem Tode des Königshcrzogs Friedrich des Siebenten der nächstberechtigte Son¬
derburger, also Herzog Friedrich, das Herzogthum Schleswig wieder von Däne¬
mark zu Lehn nehmen; ebenso nach ihm alle Augustenburger und Glücksburgcr.
Ob die Gottorper, wenn sie nach dem Erlöschen der sonderburger Linie an die
Reihe kämen, wieder auf das Diplom von 1658 für den alt-gottorpischen An¬
theil zurückgreifen dürften, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sobald das
oldenburgische Gesammtbaus erloschen wäre, müßte Schleswig als erledigtes
Lehn an die Krone Dänemark zurückfallen.

König Christian der Neunte von Dänemark hatte also bei seiner Thron¬
besteigung zwar keinen gerechten Anspruch auf den Besitz, aber doch jedenfalls
die Lehnshoheit (Suzeränetät) und das Heimfallsrecht über Schleswig. Diese
Rechte hat er durch den wiener Frieden auf die alliirten deutschen Großmächte
übertragen. Das Recht des Heimfalls kann für spätere Eventualitäten von
Wichtigkeit werden; daß die Suzeränetät einen Anhalt bietet für eine Ordnung



") Noch 181S wurde durch Artikel XVIII. der wiener Congreßacte für die Preußische
Ober- und Niederlausttz das Lehnsverhältniß zur böhmischen Krone ausgehoben, jedoch nur
für so lange, als das regierende preußische Königshaus fortblüht.

Bekanntlich war dies vormalige deutsche Ordensland, das alte Herzogthum Preu¬
ßen, seit 1525 ein polnisches Erblehn. Nun erlangte der große Kurfürst Frie¬
drich Wilhelm von Brandenburg durch Artikel V des Vertrags zu Welau,
19. September 1657, von der Krone Polen die Befreiung von der Lehnshoheit
und die Souveränetät in Preußen, aber nur für sich und seine ehelichen männ¬
lichen Descendenten. Dabei wird in dem folgenden Artikel VI ausdrücklich
vorbehalten, daß daraus keine xerpötua, toucti MguMo folgen soll, sondern
wenn die kurfürstliche Linie erlischt, so tritt das alte Recht des Königs und
der Republik Polen (das supreiuum äominium) wieder in Kraft, und die bran¬
denburgisch-fränkischen Agnaten von Kulmbach (Bayreuth) und Ansbach sollen,
wenn sie zur Succession (zum clomimuin utile) zugelassen werden, das Herzog¬
thum Preußen wieder in der früheren Weise von Polen zu Lehn nehmen (Pfef-
fingers Vitriarius illustr^of. Bd. II. S. 929).

Diese Clausel ist für Ostpreußen endgiltig durch den völligen Umsturz des
polnischen Reichs beseitigt worden; bekanntlich sind auch die beiden fränkischen
Nebenlinien ausgestorben, und nur das kurfürstlich königliche Haus blüht fort.
Dagegen für Schleswig und die sonderburger Linie hat dasselbe Rechtsverhält¬
niß bis auf die neueste Zeit unverändert fortbestanden*).

Was ist nun die praktische Consequenz? Die gottorpische Linie hat ihren
Antheil an Schleswig durch Verzicht und Tausch aufgegeben, die königliche Linie
ist ausgestorben; damit wurden die Souveränctätsdiplome von 1658 hinfällig.
Ging es nun nach dem alten Schleswig-holsteinischen Staatsrecht, so mußte nach'
dem Tode des Königshcrzogs Friedrich des Siebenten der nächstberechtigte Son¬
derburger, also Herzog Friedrich, das Herzogthum Schleswig wieder von Däne¬
mark zu Lehn nehmen; ebenso nach ihm alle Augustenburger und Glücksburgcr.
Ob die Gottorper, wenn sie nach dem Erlöschen der sonderburger Linie an die
Reihe kämen, wieder auf das Diplom von 1658 für den alt-gottorpischen An¬
theil zurückgreifen dürften, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sobald das
oldenburgische Gesammtbaus erloschen wäre, müßte Schleswig als erledigtes
Lehn an die Krone Dänemark zurückfallen.

König Christian der Neunte von Dänemark hatte also bei seiner Thron¬
besteigung zwar keinen gerechten Anspruch auf den Besitz, aber doch jedenfalls
die Lehnshoheit (Suzeränetät) und das Heimfallsrecht über Schleswig. Diese
Rechte hat er durch den wiener Frieden auf die alliirten deutschen Großmächte
übertragen. Das Recht des Heimfalls kann für spätere Eventualitäten von
Wichtigkeit werden; daß die Suzeränetät einen Anhalt bietet für eine Ordnung



") Noch 181S wurde durch Artikel XVIII. der wiener Congreßacte für die Preußische
Ober- und Niederlausttz das Lehnsverhältniß zur böhmischen Krone ausgehoben, jedoch nur
für so lange, als das regierende preußische Königshaus fortblüht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282849"/>
          <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> Bekanntlich war dies vormalige deutsche Ordensland, das alte Herzogthum Preu¬<lb/>
ßen, seit 1525 ein polnisches Erblehn. Nun erlangte der große Kurfürst Frie¬<lb/>
drich Wilhelm von Brandenburg durch Artikel V des Vertrags zu Welau,<lb/>
19. September 1657, von der Krone Polen die Befreiung von der Lehnshoheit<lb/>
und die Souveränetät in Preußen, aber nur für sich und seine ehelichen männ¬<lb/>
lichen Descendenten. Dabei wird in dem folgenden Artikel VI ausdrücklich<lb/>
vorbehalten, daß daraus keine xerpötua, toucti MguMo folgen soll, sondern<lb/>
wenn die kurfürstliche Linie erlischt, so tritt das alte Recht des Königs und<lb/>
der Republik Polen (das supreiuum äominium) wieder in Kraft, und die bran¬<lb/>
denburgisch-fränkischen Agnaten von Kulmbach (Bayreuth) und Ansbach sollen,<lb/>
wenn sie zur Succession (zum clomimuin utile) zugelassen werden, das Herzog¬<lb/>
thum Preußen wieder in der früheren Weise von Polen zu Lehn nehmen (Pfef-<lb/>
fingers Vitriarius illustr^of. Bd. II. S. 929).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Diese Clausel ist für Ostpreußen endgiltig durch den völligen Umsturz des<lb/>
polnischen Reichs beseitigt worden; bekanntlich sind auch die beiden fränkischen<lb/>
Nebenlinien ausgestorben, und nur das kurfürstlich königliche Haus blüht fort.<lb/>
Dagegen für Schleswig und die sonderburger Linie hat dasselbe Rechtsverhält¬<lb/>
niß bis auf die neueste Zeit unverändert fortbestanden*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Was ist nun die praktische Consequenz? Die gottorpische Linie hat ihren<lb/>
Antheil an Schleswig durch Verzicht und Tausch aufgegeben, die königliche Linie<lb/>
ist ausgestorben; damit wurden die Souveränctätsdiplome von 1658 hinfällig.<lb/>
Ging es nun nach dem alten Schleswig-holsteinischen Staatsrecht, so mußte nach'<lb/>
dem Tode des Königshcrzogs Friedrich des Siebenten der nächstberechtigte Son¬<lb/>
derburger, also Herzog Friedrich, das Herzogthum Schleswig wieder von Däne¬<lb/>
mark zu Lehn nehmen; ebenso nach ihm alle Augustenburger und Glücksburgcr.<lb/>
Ob die Gottorper, wenn sie nach dem Erlöschen der sonderburger Linie an die<lb/>
Reihe kämen, wieder auf das Diplom von 1658 für den alt-gottorpischen An¬<lb/>
theil zurückgreifen dürften, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sobald das<lb/>
oldenburgische Gesammtbaus erloschen wäre, müßte Schleswig als erledigtes<lb/>
Lehn an die Krone Dänemark zurückfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158" next="#ID_159"> König Christian der Neunte von Dänemark hatte also bei seiner Thron¬<lb/>
besteigung zwar keinen gerechten Anspruch auf den Besitz, aber doch jedenfalls<lb/>
die Lehnshoheit (Suzeränetät) und das Heimfallsrecht über Schleswig. Diese<lb/>
Rechte hat er durch den wiener Frieden auf die alliirten deutschen Großmächte<lb/>
übertragen. Das Recht des Heimfalls kann für spätere Eventualitäten von<lb/>
Wichtigkeit werden; daß die Suzeränetät einen Anhalt bietet für eine Ordnung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> ") Noch 181S wurde durch Artikel XVIII. der wiener Congreßacte für die Preußische<lb/>
Ober- und Niederlausttz das Lehnsverhältniß zur böhmischen Krone ausgehoben, jedoch nur<lb/>
für so lange, als das regierende preußische Königshaus fortblüht.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] Bekanntlich war dies vormalige deutsche Ordensland, das alte Herzogthum Preu¬ ßen, seit 1525 ein polnisches Erblehn. Nun erlangte der große Kurfürst Frie¬ drich Wilhelm von Brandenburg durch Artikel V des Vertrags zu Welau, 19. September 1657, von der Krone Polen die Befreiung von der Lehnshoheit und die Souveränetät in Preußen, aber nur für sich und seine ehelichen männ¬ lichen Descendenten. Dabei wird in dem folgenden Artikel VI ausdrücklich vorbehalten, daß daraus keine xerpötua, toucti MguMo folgen soll, sondern wenn die kurfürstliche Linie erlischt, so tritt das alte Recht des Königs und der Republik Polen (das supreiuum äominium) wieder in Kraft, und die bran¬ denburgisch-fränkischen Agnaten von Kulmbach (Bayreuth) und Ansbach sollen, wenn sie zur Succession (zum clomimuin utile) zugelassen werden, das Herzog¬ thum Preußen wieder in der früheren Weise von Polen zu Lehn nehmen (Pfef- fingers Vitriarius illustr^of. Bd. II. S. 929). Diese Clausel ist für Ostpreußen endgiltig durch den völligen Umsturz des polnischen Reichs beseitigt worden; bekanntlich sind auch die beiden fränkischen Nebenlinien ausgestorben, und nur das kurfürstlich königliche Haus blüht fort. Dagegen für Schleswig und die sonderburger Linie hat dasselbe Rechtsverhält¬ niß bis auf die neueste Zeit unverändert fortbestanden*). Was ist nun die praktische Consequenz? Die gottorpische Linie hat ihren Antheil an Schleswig durch Verzicht und Tausch aufgegeben, die königliche Linie ist ausgestorben; damit wurden die Souveränctätsdiplome von 1658 hinfällig. Ging es nun nach dem alten Schleswig-holsteinischen Staatsrecht, so mußte nach' dem Tode des Königshcrzogs Friedrich des Siebenten der nächstberechtigte Son¬ derburger, also Herzog Friedrich, das Herzogthum Schleswig wieder von Däne¬ mark zu Lehn nehmen; ebenso nach ihm alle Augustenburger und Glücksburgcr. Ob die Gottorper, wenn sie nach dem Erlöschen der sonderburger Linie an die Reihe kämen, wieder auf das Diplom von 1658 für den alt-gottorpischen An¬ theil zurückgreifen dürften, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls sobald das oldenburgische Gesammtbaus erloschen wäre, müßte Schleswig als erledigtes Lehn an die Krone Dänemark zurückfallen. König Christian der Neunte von Dänemark hatte also bei seiner Thron¬ besteigung zwar keinen gerechten Anspruch auf den Besitz, aber doch jedenfalls die Lehnshoheit (Suzeränetät) und das Heimfallsrecht über Schleswig. Diese Rechte hat er durch den wiener Frieden auf die alliirten deutschen Großmächte übertragen. Das Recht des Heimfalls kann für spätere Eventualitäten von Wichtigkeit werden; daß die Suzeränetät einen Anhalt bietet für eine Ordnung ") Noch 181S wurde durch Artikel XVIII. der wiener Congreßacte für die Preußische Ober- und Niederlausttz das Lehnsverhältniß zur böhmischen Krone ausgehoben, jedoch nur für so lange, als das regierende preußische Königshaus fortblüht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/52
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/52>, abgerufen am 26.06.2024.