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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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daß Schweden zwei bis dreimal so viel Einwohner bat als Norwegen. Sollen
vier Millionen in der Leitung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten kein größeres
Gewicht in die Wagschage werfen als anderthalb Millionen? Und wenn ihnen
irgendein noch so geringer gesetzlicher Vorrang eingeräumt wird, worin werden
die letztern bei der gründlichen Verschiedenheit in der Richtung und Denkart
beider Völker Schutz gegen Ausbeutung, widerstandlose Anwendung ihrer Mittel
zu ihnen fremden und verhaßten Zwecken finden? Diese größte und anscheinend
unüberwindliche Schwierigkeit der Unionsreform in norwegischen Augen ver¬
schwindet, sobald man sich den Bund, enger oder loser, auf Dänemark
erstreckt denkt. Die Schweden sind zwar auch Dänen und Norwegern
zusammen noch an Volkszahl überlegen, aber sie können kaum etwas da-
gegen einwenden, daß die Summe der dänischen und norwegischen Ver¬
treter in dem gemeinschaftlichen Parlament die Zahl der ihrigen übersteige.
An eine Verschwörung zweier Völker gegen das dritte ist ja nicht entfernt
ZU denken. Die Dänen nehmen politisch gesprochen zwischen Schweden und
Norwegen die ungefähre Mitte ein, was jenen eine Bürgschaft für active und
Positive Politik, diesen eine Sicherheit gegen Vergewaltigung sein mag. In
dem Maße wie die Ergebnisse des Krieges den dänischen Volksgeist empfäng¬
licher für die skandinavische Idee stimmen, in demselben Maße können sich die
Norweger leichter entschließen, auf eine centrciiisirende Unionsreform einzugehen,
in deren Hintergrund sich eine deutliche Aussicht auf den Bund aller drei Reiche
öffnet. Diesen Sinneswechsel in der sprödcrn Halbschied seiner Unterthanen
hat der König mit scharfem Blick erfaßt und alsbald die Wiederaufnahme der
verschobenen Unionsverhandlungen beschlossen. Mitten in der eisigen Kälte des
letzten Februarmonats reiste er nach Christiania hinüber -- wobei ihm noch
das Unglück wiederfuhr, mit dem Eisenbahnzüge stundenlang im Schnee stecken
zu bleiben --, um dort die norwegischen Mitglieder des schon 1862 vorgeschlagenen
Reforincomite zu ernennen; und seit mehren Wochen ist dieses nun in Stockholm
bei seiner allerdings mühseligen und weitaussehenden Arbeit.

Aber der Enkel Bernadottes begnügt sind nicht mit gleichzeitiger Betreibung
der schwedischen und der schwedisch-norwegisä'en Verfassungsreform. Er ist der
Aufgabe seines Lebens, der Verwirklichung der skandinavischen Idee, bereits
auch noch viel unmittelbarer nachgegangen, Vor jetzt ungefähr einem Jahre,
zur Zeit der londoner Konferenzen, hat er dem König von Dänemark ein
Schutz- und Trutzbündniß angeboten. Es war schon viel, daß er sich überhaupt zu
einem derartigen Anerbieten entschloß. Der König Christian und seine Umgebungen,
Deutschdänen im politischen Sinne des Worts, konnten einem "Skandinavier"
wenig Vertrauen einflößen. Aber Karl der Fünfzehnte mochte wohl darauf
rechnen, daß in jener entscheidende Krisis der Druck des kopenhagener Volkes
stark genug sein werde, um Christian den Neunten soweit skandinavisch zu com-


daß Schweden zwei bis dreimal so viel Einwohner bat als Norwegen. Sollen
vier Millionen in der Leitung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten kein größeres
Gewicht in die Wagschage werfen als anderthalb Millionen? Und wenn ihnen
irgendein noch so geringer gesetzlicher Vorrang eingeräumt wird, worin werden
die letztern bei der gründlichen Verschiedenheit in der Richtung und Denkart
beider Völker Schutz gegen Ausbeutung, widerstandlose Anwendung ihrer Mittel
zu ihnen fremden und verhaßten Zwecken finden? Diese größte und anscheinend
unüberwindliche Schwierigkeit der Unionsreform in norwegischen Augen ver¬
schwindet, sobald man sich den Bund, enger oder loser, auf Dänemark
erstreckt denkt. Die Schweden sind zwar auch Dänen und Norwegern
zusammen noch an Volkszahl überlegen, aber sie können kaum etwas da-
gegen einwenden, daß die Summe der dänischen und norwegischen Ver¬
treter in dem gemeinschaftlichen Parlament die Zahl der ihrigen übersteige.
An eine Verschwörung zweier Völker gegen das dritte ist ja nicht entfernt
ZU denken. Die Dänen nehmen politisch gesprochen zwischen Schweden und
Norwegen die ungefähre Mitte ein, was jenen eine Bürgschaft für active und
Positive Politik, diesen eine Sicherheit gegen Vergewaltigung sein mag. In
dem Maße wie die Ergebnisse des Krieges den dänischen Volksgeist empfäng¬
licher für die skandinavische Idee stimmen, in demselben Maße können sich die
Norweger leichter entschließen, auf eine centrciiisirende Unionsreform einzugehen,
in deren Hintergrund sich eine deutliche Aussicht auf den Bund aller drei Reiche
öffnet. Diesen Sinneswechsel in der sprödcrn Halbschied seiner Unterthanen
hat der König mit scharfem Blick erfaßt und alsbald die Wiederaufnahme der
verschobenen Unionsverhandlungen beschlossen. Mitten in der eisigen Kälte des
letzten Februarmonats reiste er nach Christiania hinüber — wobei ihm noch
das Unglück wiederfuhr, mit dem Eisenbahnzüge stundenlang im Schnee stecken
zu bleiben —, um dort die norwegischen Mitglieder des schon 1862 vorgeschlagenen
Reforincomite zu ernennen; und seit mehren Wochen ist dieses nun in Stockholm
bei seiner allerdings mühseligen und weitaussehenden Arbeit.

Aber der Enkel Bernadottes begnügt sind nicht mit gleichzeitiger Betreibung
der schwedischen und der schwedisch-norwegisä'en Verfassungsreform. Er ist der
Aufgabe seines Lebens, der Verwirklichung der skandinavischen Idee, bereits
auch noch viel unmittelbarer nachgegangen, Vor jetzt ungefähr einem Jahre,
zur Zeit der londoner Konferenzen, hat er dem König von Dänemark ein
Schutz- und Trutzbündniß angeboten. Es war schon viel, daß er sich überhaupt zu
einem derartigen Anerbieten entschloß. Der König Christian und seine Umgebungen,
Deutschdänen im politischen Sinne des Worts, konnten einem „Skandinavier"
wenig Vertrauen einflößen. Aber Karl der Fünfzehnte mochte wohl darauf
rechnen, daß in jener entscheidende Krisis der Druck des kopenhagener Volkes
stark genug sein werde, um Christian den Neunten soweit skandinavisch zu com-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/517>, abgerufen am 28.09.2024.