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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Karls des Zwölften, liegt nicht wie bei den Dänen so weit zurück, daß die
Erinnerung mit ihrem Stachel nicht noch immer lebendig nachwirken sollte.
Der Verlust Finnlands ist bald sechzig Jahre alt, aber in Schweden wird er
empfunden, als hätte man ihn gestern erlitten. Der König, die Prinzen, Adel
und Volk träumen gleichmäßig von einer stolzen kriegerischen Zukunft; und
wenn sie die Unionsbande mit Norwegen straffer anzuziehen wünschen,, so ist
es weit weniger wegen der Gefahren, welchen sie unvermeidlich ausgesetzt
zu sein, als wegen derjenigen, welche sie im rechten Augenblick freiwillig her¬
aufzubeschwören denke". Aber eben das, den Ehrgeiz des schwedischen Volks
und seiner Führer, fürchtet der Norweger, dessen einzige politische Ideale die
des demokratischen Liberalismus sind, Freiheit und Gleichheit.

König Karl der Fünfzehnte, dem die Seele schwillt von mächtigen politischen
Entwürfen, hat bisher mit großer Klugheit vermieden, sich in dem Streite
über die Unionsreform entweder auf die schwedische oder auf die norwegische
Seite zu stellen. Er ließ in der Staatsrathssitzung von 9. April 1861 den
schwedischen Justizminister de Geer insofern die Initiative ergreifen, daß ein
Unionscomit6 von sechs Schweden und sechs Norwegern zur Vorberathung der
Sache in Vorschlag gebracht und einige Hauptpunkte für dessen Verhandlungen
bezeichnet wurden; aber als die norwegische Regierung in Christian!" dieses
Anerbieten von schwedischer Seite nicht als einen annehmbaren Ausgangspunkt
weiterer Unterhandlungen ansehen wollte, überhaupt anrieth die Sache ruhen
zu lassen, da begnügte der König sich, die Aciensiücke zu veröffentlichen, und
vertagte die Reform auf eine gelegnere Zeit. Dabei versäumte er nicht, während
er den Drang der Schweden nach einem strafferen Bande mehr als theilte, die
Norweger durch ausdrückliche Anerkennung ihrer Gleichberechtigung über seine
ferneren Plane im voraus zu beruhigen.

Die gelegenere Zeit ist nun aber in König Karls Augen erschienen. Der
deutsch-dänische Krieg des vorigen Jahres hat für ihn das Gute gehabt, die
Bevölkerung Norwegens in lebhafter, 1848--50 lange nicht so wahrgenommener
Sympathie für das kriegführende Brudervolk zu erwärmen und folglich mittel¬
bar zugleich für eine Verbesserung der schwedisch-norwegischen Bundesverfassung.
Denn nur wenn die gemeinsame Regierung sich nicht durch die Abhängigkeit von
zwei vielleicht sehr verschieden gesinnten Volksvertretungen gehemmt fühlt, wenn
ihr für eine leidlich populäre Politik die Kraft beider Reiche gleichmäßig zur
Verfügung steht, kann sie sich in Zukunft einmal des bedrängten Bruderstammcs
wirksam annehmen. Zu dieser naheliegenden, obwohl an sich schwerlich sehr
angenehmen Betrachtung gesellt sich für die Norweger eine zweite, die sie der
Unionsreform jetzt geneigter stimmen kann. Was sie dabei hauptsächlich fürchten
und in der That stets zu fürchten haben, ist Schwedens materielles und factisches
Uebergewicht, Die formale Gleichberechtigung kann die Thatsache nicht beseitigen,


Karls des Zwölften, liegt nicht wie bei den Dänen so weit zurück, daß die
Erinnerung mit ihrem Stachel nicht noch immer lebendig nachwirken sollte.
Der Verlust Finnlands ist bald sechzig Jahre alt, aber in Schweden wird er
empfunden, als hätte man ihn gestern erlitten. Der König, die Prinzen, Adel
und Volk träumen gleichmäßig von einer stolzen kriegerischen Zukunft; und
wenn sie die Unionsbande mit Norwegen straffer anzuziehen wünschen,, so ist
es weit weniger wegen der Gefahren, welchen sie unvermeidlich ausgesetzt
zu sein, als wegen derjenigen, welche sie im rechten Augenblick freiwillig her¬
aufzubeschwören denke». Aber eben das, den Ehrgeiz des schwedischen Volks
und seiner Führer, fürchtet der Norweger, dessen einzige politische Ideale die
des demokratischen Liberalismus sind, Freiheit und Gleichheit.

König Karl der Fünfzehnte, dem die Seele schwillt von mächtigen politischen
Entwürfen, hat bisher mit großer Klugheit vermieden, sich in dem Streite
über die Unionsreform entweder auf die schwedische oder auf die norwegische
Seite zu stellen. Er ließ in der Staatsrathssitzung von 9. April 1861 den
schwedischen Justizminister de Geer insofern die Initiative ergreifen, daß ein
Unionscomit6 von sechs Schweden und sechs Norwegern zur Vorberathung der
Sache in Vorschlag gebracht und einige Hauptpunkte für dessen Verhandlungen
bezeichnet wurden; aber als die norwegische Regierung in Christian!« dieses
Anerbieten von schwedischer Seite nicht als einen annehmbaren Ausgangspunkt
weiterer Unterhandlungen ansehen wollte, überhaupt anrieth die Sache ruhen
zu lassen, da begnügte der König sich, die Aciensiücke zu veröffentlichen, und
vertagte die Reform auf eine gelegnere Zeit. Dabei versäumte er nicht, während
er den Drang der Schweden nach einem strafferen Bande mehr als theilte, die
Norweger durch ausdrückliche Anerkennung ihrer Gleichberechtigung über seine
ferneren Plane im voraus zu beruhigen.

Die gelegenere Zeit ist nun aber in König Karls Augen erschienen. Der
deutsch-dänische Krieg des vorigen Jahres hat für ihn das Gute gehabt, die
Bevölkerung Norwegens in lebhafter, 1848—50 lange nicht so wahrgenommener
Sympathie für das kriegführende Brudervolk zu erwärmen und folglich mittel¬
bar zugleich für eine Verbesserung der schwedisch-norwegischen Bundesverfassung.
Denn nur wenn die gemeinsame Regierung sich nicht durch die Abhängigkeit von
zwei vielleicht sehr verschieden gesinnten Volksvertretungen gehemmt fühlt, wenn
ihr für eine leidlich populäre Politik die Kraft beider Reiche gleichmäßig zur
Verfügung steht, kann sie sich in Zukunft einmal des bedrängten Bruderstammcs
wirksam annehmen. Zu dieser naheliegenden, obwohl an sich schwerlich sehr
angenehmen Betrachtung gesellt sich für die Norweger eine zweite, die sie der
Unionsreform jetzt geneigter stimmen kann. Was sie dabei hauptsächlich fürchten
und in der That stets zu fürchten haben, ist Schwedens materielles und factisches
Uebergewicht, Die formale Gleichberechtigung kann die Thatsache nicht beseitigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/516>, abgerufen am 29.06.2024.