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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Neben dieser blos schwedischen Verfassungsfrage ist jedoch eine andere im
Gange, welche Schweden und Norwegen zugleich betrifft. Schon lange ist auf
beiden Seiten des Kjöien eine starke Empfindung von der Unzulänglichkeit der
bestehenden Union verbreitet. Die Schweden wünschen das Band vor allen
Dingen fester gezogen, damit sie gegen auswärtige Gefahren, dergleichen sie
namentlich von Rußland ohne Unterlaß besorgen. der Hilfe Norwegens sicher
seien. Den Norwegern kommt es vorzüglich darauf an, daß ihre Gleichberechtigung
mit den Schweden als Volk und Staat gewahrt werde. Sie erachten sich be¬
schwert durch Bestimmungen wie die. daß auch ein Schwede Statthalter von
Norwegen sein könne, wenn es dem König gefalle ihn dazu auszuersehen. Diese
Bestimmung glaubte man in Christiania durch einfachen Storthingsbeschluß ab¬
ändern zu können, den der König als König von Norwegen sanctionire. oder,
falls er sein (bekanntlich blos suspcnsives) Veto dagegen einlegen wollte, durch
Wiederholten Beschluß; wogegen in Stockholm behauptet wird, dieselbe mache
einen Bestandtheil des Unionsvertrags aus, und ihre Abänderung bedürfe daher
der Zustimmung des schwedischen Ministeriums und Reichsraths. Die Streit¬
frage hat. ohne zum Austrag zu gelangen, auf beiden Seiten die Leidenschaften
gewaltig erhitzt und zahlreiche juristische oder historisch-politische Erörterungen
hervorgerufen. Dasselbe war der Fall, als Graf Anckarsvärd 18S9 in der
schwedischen Rittercurie eine innigere Verbindung beider Reiche in Anregung
brachte. Die Norweger nahmen dagegen zunächst eine entschieden ablehnende
Und feindselige Haltung ein.

Diese Haltung kann nicht überraschen, wenn man sich die verschiedene Lage
beider Völker vergegenwärtigt. Die Norweger werden durch ihre beiden stamm¬
verwandten Nachbarnationen geographisch und politisch von aller Berührung
mit der großen Welt ferngehalten. Selbst von den Schweden trennt sie ein
schwer zu überschreitendes unwirthliches Gebirge, von den Dänen die gefahr¬
volle See des Kattegat. An den Ocean,, der ikre steilabfallenden Küsten bespült,
stoßen sie ebenfalls erst da, wo es mit seiner Bedeutung als Welthandelsstraße
ein Ende hat. Keinerlei Durchfuhrverkehr berührt das Land, und selbst Ver-
gnügungs- oder Gclehrsamleitsreiscnde suchen es seiner Entlegenheit halber bei
Weitem seltner auf. als es vielleicht verdiente. In einem solchen Lande findet
das Interesse an den Welthändeln keinen natürlichen Boden. Dasselbe mußte
sich vollends abstumpfen infolge der langen Verbindung mit Dänemark,
dessen auswärtige Politik seit dem dreißigjährigen Kriege bis auf die letzten
Jahrzehnte herunter darin bestanden hat, sich jede Verwicklung in die europäischen
Händel nach Kräften vom Leibe zu halten. Ganz anders aber die Schweden.
Nächst den Franzosen giebt es kein Volk in Europa, das sich in solchem Maße
berufen glaubte eine Wcltrolle zu spielen, Cultur nach außen zu tragen, wie
das schwedische. Sein heroisches Zeitalter, das Zeitalter Gustav Adolfs und


Neben dieser blos schwedischen Verfassungsfrage ist jedoch eine andere im
Gange, welche Schweden und Norwegen zugleich betrifft. Schon lange ist auf
beiden Seiten des Kjöien eine starke Empfindung von der Unzulänglichkeit der
bestehenden Union verbreitet. Die Schweden wünschen das Band vor allen
Dingen fester gezogen, damit sie gegen auswärtige Gefahren, dergleichen sie
namentlich von Rußland ohne Unterlaß besorgen. der Hilfe Norwegens sicher
seien. Den Norwegern kommt es vorzüglich darauf an, daß ihre Gleichberechtigung
mit den Schweden als Volk und Staat gewahrt werde. Sie erachten sich be¬
schwert durch Bestimmungen wie die. daß auch ein Schwede Statthalter von
Norwegen sein könne, wenn es dem König gefalle ihn dazu auszuersehen. Diese
Bestimmung glaubte man in Christiania durch einfachen Storthingsbeschluß ab¬
ändern zu können, den der König als König von Norwegen sanctionire. oder,
falls er sein (bekanntlich blos suspcnsives) Veto dagegen einlegen wollte, durch
Wiederholten Beschluß; wogegen in Stockholm behauptet wird, dieselbe mache
einen Bestandtheil des Unionsvertrags aus, und ihre Abänderung bedürfe daher
der Zustimmung des schwedischen Ministeriums und Reichsraths. Die Streit¬
frage hat. ohne zum Austrag zu gelangen, auf beiden Seiten die Leidenschaften
gewaltig erhitzt und zahlreiche juristische oder historisch-politische Erörterungen
hervorgerufen. Dasselbe war der Fall, als Graf Anckarsvärd 18S9 in der
schwedischen Rittercurie eine innigere Verbindung beider Reiche in Anregung
brachte. Die Norweger nahmen dagegen zunächst eine entschieden ablehnende
Und feindselige Haltung ein.

Diese Haltung kann nicht überraschen, wenn man sich die verschiedene Lage
beider Völker vergegenwärtigt. Die Norweger werden durch ihre beiden stamm¬
verwandten Nachbarnationen geographisch und politisch von aller Berührung
mit der großen Welt ferngehalten. Selbst von den Schweden trennt sie ein
schwer zu überschreitendes unwirthliches Gebirge, von den Dänen die gefahr¬
volle See des Kattegat. An den Ocean,, der ikre steilabfallenden Küsten bespült,
stoßen sie ebenfalls erst da, wo es mit seiner Bedeutung als Welthandelsstraße
ein Ende hat. Keinerlei Durchfuhrverkehr berührt das Land, und selbst Ver-
gnügungs- oder Gclehrsamleitsreiscnde suchen es seiner Entlegenheit halber bei
Weitem seltner auf. als es vielleicht verdiente. In einem solchen Lande findet
das Interesse an den Welthändeln keinen natürlichen Boden. Dasselbe mußte
sich vollends abstumpfen infolge der langen Verbindung mit Dänemark,
dessen auswärtige Politik seit dem dreißigjährigen Kriege bis auf die letzten
Jahrzehnte herunter darin bestanden hat, sich jede Verwicklung in die europäischen
Händel nach Kräften vom Leibe zu halten. Ganz anders aber die Schweden.
Nächst den Franzosen giebt es kein Volk in Europa, das sich in solchem Maße
berufen glaubte eine Wcltrolle zu spielen, Cultur nach außen zu tragen, wie
das schwedische. Sein heroisches Zeitalter, das Zeitalter Gustav Adolfs und


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[0515] Neben dieser blos schwedischen Verfassungsfrage ist jedoch eine andere im Gange, welche Schweden und Norwegen zugleich betrifft. Schon lange ist auf beiden Seiten des Kjöien eine starke Empfindung von der Unzulänglichkeit der bestehenden Union verbreitet. Die Schweden wünschen das Band vor allen Dingen fester gezogen, damit sie gegen auswärtige Gefahren, dergleichen sie namentlich von Rußland ohne Unterlaß besorgen. der Hilfe Norwegens sicher seien. Den Norwegern kommt es vorzüglich darauf an, daß ihre Gleichberechtigung mit den Schweden als Volk und Staat gewahrt werde. Sie erachten sich be¬ schwert durch Bestimmungen wie die. daß auch ein Schwede Statthalter von Norwegen sein könne, wenn es dem König gefalle ihn dazu auszuersehen. Diese Bestimmung glaubte man in Christiania durch einfachen Storthingsbeschluß ab¬ ändern zu können, den der König als König von Norwegen sanctionire. oder, falls er sein (bekanntlich blos suspcnsives) Veto dagegen einlegen wollte, durch Wiederholten Beschluß; wogegen in Stockholm behauptet wird, dieselbe mache einen Bestandtheil des Unionsvertrags aus, und ihre Abänderung bedürfe daher der Zustimmung des schwedischen Ministeriums und Reichsraths. Die Streit¬ frage hat. ohne zum Austrag zu gelangen, auf beiden Seiten die Leidenschaften gewaltig erhitzt und zahlreiche juristische oder historisch-politische Erörterungen hervorgerufen. Dasselbe war der Fall, als Graf Anckarsvärd 18S9 in der schwedischen Rittercurie eine innigere Verbindung beider Reiche in Anregung brachte. Die Norweger nahmen dagegen zunächst eine entschieden ablehnende Und feindselige Haltung ein. Diese Haltung kann nicht überraschen, wenn man sich die verschiedene Lage beider Völker vergegenwärtigt. Die Norweger werden durch ihre beiden stamm¬ verwandten Nachbarnationen geographisch und politisch von aller Berührung mit der großen Welt ferngehalten. Selbst von den Schweden trennt sie ein schwer zu überschreitendes unwirthliches Gebirge, von den Dänen die gefahr¬ volle See des Kattegat. An den Ocean,, der ikre steilabfallenden Küsten bespült, stoßen sie ebenfalls erst da, wo es mit seiner Bedeutung als Welthandelsstraße ein Ende hat. Keinerlei Durchfuhrverkehr berührt das Land, und selbst Ver- gnügungs- oder Gclehrsamleitsreiscnde suchen es seiner Entlegenheit halber bei Weitem seltner auf. als es vielleicht verdiente. In einem solchen Lande findet das Interesse an den Welthändeln keinen natürlichen Boden. Dasselbe mußte sich vollends abstumpfen infolge der langen Verbindung mit Dänemark, dessen auswärtige Politik seit dem dreißigjährigen Kriege bis auf die letzten Jahrzehnte herunter darin bestanden hat, sich jede Verwicklung in die europäischen Händel nach Kräften vom Leibe zu halten. Ganz anders aber die Schweden. Nächst den Franzosen giebt es kein Volk in Europa, das sich in solchem Maße berufen glaubte eine Wcltrolle zu spielen, Cultur nach außen zu tragen, wie das schwedische. Sein heroisches Zeitalter, das Zeitalter Gustav Adolfs und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/515>, abgerufen am 29.06.2024.