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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Mischstaat hingen, der angeblich im europäischen, in Wahrheit lediglich im
russischen Interesse so lange conservirt worden ist, als es irgend gehen wollte,
und den nun die gemeinschaftliche, wenn auch über die Theilung streitende
Arbeit des deutschen und des dänischen Nationalgeistes für alle Zeit zerrissen
hat. Wenn die Bauernfreunde sich den Beistand dieser Fraction oder Partei
in inneren Angelegenheiten gefallen lassen, so wird die Voraussetzung sein, daß
sie ihrerseits den Dienst bei Veranlassungen der auswärtigen Politik wett
machen. Ihre Haltung entspräche dann derjenigen gewisser kleiner schleswig¬
holsteinischer Kreise vor der neuesten Krise, die es kaum über sich gewinnen
konnten, nicht auf Kosten ihrer Nationalität an Dänemarks Freiheit und Gelas-
sen theilzunehmen. Und kann man sagen, dergleichen sehe einer vorzugsweise
aus Landleuten gebildeten Partei nicht ähnlich? Wir kennen ja verwandte Er¬
scheinungen auch im nördlichen Deutschland. Eine Bauernpartei ist niemals
geneigt, sich für die Unternehmungen der auswärtigen Politik zu begeistern;
ihr Blick haftet auf dem Allernächsten, sie ist conservativ im Particularismus,
zäh in Opfern und Leistungen für die großen Aufgaben des Staats. Es scheint
also durchaus nicht undenkbar, daß die bisher zu bemerkende Lauheit der dä¬
nischen Demokratie gegen den Skandinavismus -- als das heutige nationale
Programm in Dänemark wie im ganzen Norden -- demnächst in entschiedenen
und bewußten Widerstand umschlage. Nur desto eifriger freilich werden dann
die patriotischen Politiker, die Hall und Monrad, Clausen und Orla Lehmann,
Ploug und Bille, auf die Verwirklichung der skandinavischen Idee hinarbeiten,
die unter solchen Umständen neben ihrem eigentlichen Sinne und Werthe allein
auch geeignet wäre, den Staat Dänemark vor der faulen Stockung zu behüten,
in welche ihn jetzt der mit nahezu gleichen Kräften geführte Kampf zwischen
Kopenhagen und der Landbevölkerung zu versetzen droht.

Dem Triebe nach einer nordischen Union, der in diesen inneren Verhält¬
nissen Dänemarks liegt, entspricht ein gleicher Trieb in Schweden und Nor¬
wegen. Und auch dort entspringt er hauptsächlich aus Verfassungsstreitigkciten.
Die Reform der schwedischen Reichsvertretung freilich, die noch immer in Curien
der vier alten Stände besteht, scheint eher die Tendenz zu haben, das politisch
sehr aufgeweckte schwedische Volk von seinem Drange zur Bethätigung nach
außen hin abzulenken. Allein eben deswegen wetteifern jetzt König und Volk,
sie zu schleunigen Abschluß zu bringen. Die Regierung hat im vorigen Jahre
einen wohlbemessenen Reformvorschlag gemacht, den die Fortschrittspartei --
d. h. die liberale Mehrheit des Volkes und aller einzelnen Stände -- zu ihrem
Feldgeschrei erkoren hat und nun auf zahllosen Versammlungen zur Gemein¬
forderung der Massen zu machen strebt. Im kommenden Herbste wird dann
der Reichstag zu der entscheidenden Sitzung zusammentreten und. wenn alles
nach Wunsche geht, einem zeitgemäßen Nachfolger Platz machen.


Mischstaat hingen, der angeblich im europäischen, in Wahrheit lediglich im
russischen Interesse so lange conservirt worden ist, als es irgend gehen wollte,
und den nun die gemeinschaftliche, wenn auch über die Theilung streitende
Arbeit des deutschen und des dänischen Nationalgeistes für alle Zeit zerrissen
hat. Wenn die Bauernfreunde sich den Beistand dieser Fraction oder Partei
in inneren Angelegenheiten gefallen lassen, so wird die Voraussetzung sein, daß
sie ihrerseits den Dienst bei Veranlassungen der auswärtigen Politik wett
machen. Ihre Haltung entspräche dann derjenigen gewisser kleiner schleswig¬
holsteinischer Kreise vor der neuesten Krise, die es kaum über sich gewinnen
konnten, nicht auf Kosten ihrer Nationalität an Dänemarks Freiheit und Gelas-
sen theilzunehmen. Und kann man sagen, dergleichen sehe einer vorzugsweise
aus Landleuten gebildeten Partei nicht ähnlich? Wir kennen ja verwandte Er¬
scheinungen auch im nördlichen Deutschland. Eine Bauernpartei ist niemals
geneigt, sich für die Unternehmungen der auswärtigen Politik zu begeistern;
ihr Blick haftet auf dem Allernächsten, sie ist conservativ im Particularismus,
zäh in Opfern und Leistungen für die großen Aufgaben des Staats. Es scheint
also durchaus nicht undenkbar, daß die bisher zu bemerkende Lauheit der dä¬
nischen Demokratie gegen den Skandinavismus — als das heutige nationale
Programm in Dänemark wie im ganzen Norden — demnächst in entschiedenen
und bewußten Widerstand umschlage. Nur desto eifriger freilich werden dann
die patriotischen Politiker, die Hall und Monrad, Clausen und Orla Lehmann,
Ploug und Bille, auf die Verwirklichung der skandinavischen Idee hinarbeiten,
die unter solchen Umständen neben ihrem eigentlichen Sinne und Werthe allein
auch geeignet wäre, den Staat Dänemark vor der faulen Stockung zu behüten,
in welche ihn jetzt der mit nahezu gleichen Kräften geführte Kampf zwischen
Kopenhagen und der Landbevölkerung zu versetzen droht.

Dem Triebe nach einer nordischen Union, der in diesen inneren Verhält¬
nissen Dänemarks liegt, entspricht ein gleicher Trieb in Schweden und Nor¬
wegen. Und auch dort entspringt er hauptsächlich aus Verfassungsstreitigkciten.
Die Reform der schwedischen Reichsvertretung freilich, die noch immer in Curien
der vier alten Stände besteht, scheint eher die Tendenz zu haben, das politisch
sehr aufgeweckte schwedische Volk von seinem Drange zur Bethätigung nach
außen hin abzulenken. Allein eben deswegen wetteifern jetzt König und Volk,
sie zu schleunigen Abschluß zu bringen. Die Regierung hat im vorigen Jahre
einen wohlbemessenen Reformvorschlag gemacht, den die Fortschrittspartei —
d. h. die liberale Mehrheit des Volkes und aller einzelnen Stände — zu ihrem
Feldgeschrei erkoren hat und nun auf zahllosen Versammlungen zur Gemein¬
forderung der Massen zu machen strebt. Im kommenden Herbste wird dann
der Reichstag zu der entscheidenden Sitzung zusammentreten und. wenn alles
nach Wunsche geht, einem zeitgemäßen Nachfolger Platz machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/514>, abgerufen am 29.06.2024.