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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Koalition mit sich gebracht; vielmehr, wenn die eiderdänischen Organe recht
rechnen, eine kleine Mehrheit zu Gunsten des zuvor verworfenen Regierungs-
vorschlages über die Zusammensetzung des künftigen Landsthing.

Wenn der Reichsrath übrigens mit der Regierung über den neuen Reichs¬
tag einig geworden ist, der ihn und den jetzigen Reichstag zugleich ablösen
soll, dann beginnt erst die wahre Schwierigkeit der Aufgabe, Die Angelegen¬
heit gelangt alsdann vor den bestehenden Reichstag, in dessen Folkething die
Bauernfreunde herrschen und dessen Landsthing ebenfalls keine sichere Stütze
für die Absichten der Regierung bietet. Verfassungsmäßig muß der Reichstag
dreimal abstimmen, die beiden letzten Male nach erfolgter Auflösung und Neu¬
wahl. Wie leicht kann die Vereinbarung der Regierung mit dem Reichsrath
da hängen bleiben! Und sowie der Reichstag an derselben die geringste Ab¬
änderung vornimmt, muß die Sache an den Reichsrath zurückgehen, damit
auch dieser "zu seinem Rechte komme. Genug, das Ende ist noch vollkommen
unabsehbar. Fädrelandet, das Hauptorgan der Nationalpartei, hat es der Re¬
gierung hinterdrein zum Vorwurf gemacht, daß sie mit dem Reichsraths-Folkething
nicht auch gleichzeitig das Folkething des Reichstags ausgelöst habe; die Neu¬
wahlen wären dann voraussichtlich durchweg auf die nämlichen Männer gefallen,
und man hatte beide Versammlungen auf gleiche Weise zufriedenstellen können.
Wie es sich aber damit auch verhalten mag, es ist handgreiflich, daß die Wirren
auch in diesem Falle keineswegs völlig beigelegt oder abgeschnitten gewesen
wären.

Für uns sind indessen diese Verfassungskämpfe selbstverständlich weit weniger
an sich von Belang, als insofern sie auf Dänemarks Haltung nach außen hin
früher oder später übergreifen mögen. Eine bestimmte Aussicht thut sich in
dieser Richtung noch nicht auf. Allein so viel scheint klar zu sein, daß der tiefe
innere Gegensatz zwischen Kopenhagen, dem lebensvollen, bewegten Mittelpunkt
des Staates, und der Landbevölkerung, namentlich Jütlands, sich in Zukunft
auch nach außen hin mehr als bisher bemerklich machen wird. Die Bauern¬
freunde unter S. A. Hansens Führung gehen jetzt Hand in Hand mit dem
was die dänischen Patrioten Hjemmetydskeriet nennen, das "dänische Deutsch-
thum" oder die .Deutschen in Dänemark", ähnlich wie der verstorbene L. Seeger
auf dem frankfurter Abgeordnetentage kurz vor Weihnachten 1863 von den
"Dänen in Deutschland" sprach. Was aber in Frankfurt nicht viel mehr als
eine tropische Wendung, eine drastische Uebertreibung war, das hat in Kopen¬
hagen seine sehr reale Bedeutung; und wir Deutschen haben keinen Grund, in den
dänischen "Hausdeutschen" Bundesgenossen im Feindeslager, gleichsam vorgeschobene
Posten des Germanismus zu verehren. Es sind das vielmehr die dänischen Gegen¬
stücke zu dem. was bis vor Kurzem unsere Scheel-Plessens und Blomes waren
-- Männer und Familien, welche aus Privatrücksichten an dem dänisch-deutschen


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Koalition mit sich gebracht; vielmehr, wenn die eiderdänischen Organe recht
rechnen, eine kleine Mehrheit zu Gunsten des zuvor verworfenen Regierungs-
vorschlages über die Zusammensetzung des künftigen Landsthing.

Wenn der Reichsrath übrigens mit der Regierung über den neuen Reichs¬
tag einig geworden ist, der ihn und den jetzigen Reichstag zugleich ablösen
soll, dann beginnt erst die wahre Schwierigkeit der Aufgabe, Die Angelegen¬
heit gelangt alsdann vor den bestehenden Reichstag, in dessen Folkething die
Bauernfreunde herrschen und dessen Landsthing ebenfalls keine sichere Stütze
für die Absichten der Regierung bietet. Verfassungsmäßig muß der Reichstag
dreimal abstimmen, die beiden letzten Male nach erfolgter Auflösung und Neu¬
wahl. Wie leicht kann die Vereinbarung der Regierung mit dem Reichsrath
da hängen bleiben! Und sowie der Reichstag an derselben die geringste Ab¬
änderung vornimmt, muß die Sache an den Reichsrath zurückgehen, damit
auch dieser "zu seinem Rechte komme. Genug, das Ende ist noch vollkommen
unabsehbar. Fädrelandet, das Hauptorgan der Nationalpartei, hat es der Re¬
gierung hinterdrein zum Vorwurf gemacht, daß sie mit dem Reichsraths-Folkething
nicht auch gleichzeitig das Folkething des Reichstags ausgelöst habe; die Neu¬
wahlen wären dann voraussichtlich durchweg auf die nämlichen Männer gefallen,
und man hatte beide Versammlungen auf gleiche Weise zufriedenstellen können.
Wie es sich aber damit auch verhalten mag, es ist handgreiflich, daß die Wirren
auch in diesem Falle keineswegs völlig beigelegt oder abgeschnitten gewesen
wären.

Für uns sind indessen diese Verfassungskämpfe selbstverständlich weit weniger
an sich von Belang, als insofern sie auf Dänemarks Haltung nach außen hin
früher oder später übergreifen mögen. Eine bestimmte Aussicht thut sich in
dieser Richtung noch nicht auf. Allein so viel scheint klar zu sein, daß der tiefe
innere Gegensatz zwischen Kopenhagen, dem lebensvollen, bewegten Mittelpunkt
des Staates, und der Landbevölkerung, namentlich Jütlands, sich in Zukunft
auch nach außen hin mehr als bisher bemerklich machen wird. Die Bauern¬
freunde unter S. A. Hansens Führung gehen jetzt Hand in Hand mit dem
was die dänischen Patrioten Hjemmetydskeriet nennen, das „dänische Deutsch-
thum" oder die .Deutschen in Dänemark", ähnlich wie der verstorbene L. Seeger
auf dem frankfurter Abgeordnetentage kurz vor Weihnachten 1863 von den
„Dänen in Deutschland" sprach. Was aber in Frankfurt nicht viel mehr als
eine tropische Wendung, eine drastische Uebertreibung war, das hat in Kopen¬
hagen seine sehr reale Bedeutung; und wir Deutschen haben keinen Grund, in den
dänischen „Hausdeutschen" Bundesgenossen im Feindeslager, gleichsam vorgeschobene
Posten des Germanismus zu verehren. Es sind das vielmehr die dänischen Gegen¬
stücke zu dem. was bis vor Kurzem unsere Scheel-Plessens und Blomes waren
— Männer und Familien, welche aus Privatrücksichten an dem dänisch-deutschen


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[0513] Koalition mit sich gebracht; vielmehr, wenn die eiderdänischen Organe recht rechnen, eine kleine Mehrheit zu Gunsten des zuvor verworfenen Regierungs- vorschlages über die Zusammensetzung des künftigen Landsthing. Wenn der Reichsrath übrigens mit der Regierung über den neuen Reichs¬ tag einig geworden ist, der ihn und den jetzigen Reichstag zugleich ablösen soll, dann beginnt erst die wahre Schwierigkeit der Aufgabe, Die Angelegen¬ heit gelangt alsdann vor den bestehenden Reichstag, in dessen Folkething die Bauernfreunde herrschen und dessen Landsthing ebenfalls keine sichere Stütze für die Absichten der Regierung bietet. Verfassungsmäßig muß der Reichstag dreimal abstimmen, die beiden letzten Male nach erfolgter Auflösung und Neu¬ wahl. Wie leicht kann die Vereinbarung der Regierung mit dem Reichsrath da hängen bleiben! Und sowie der Reichstag an derselben die geringste Ab¬ änderung vornimmt, muß die Sache an den Reichsrath zurückgehen, damit auch dieser "zu seinem Rechte komme. Genug, das Ende ist noch vollkommen unabsehbar. Fädrelandet, das Hauptorgan der Nationalpartei, hat es der Re¬ gierung hinterdrein zum Vorwurf gemacht, daß sie mit dem Reichsraths-Folkething nicht auch gleichzeitig das Folkething des Reichstags ausgelöst habe; die Neu¬ wahlen wären dann voraussichtlich durchweg auf die nämlichen Männer gefallen, und man hatte beide Versammlungen auf gleiche Weise zufriedenstellen können. Wie es sich aber damit auch verhalten mag, es ist handgreiflich, daß die Wirren auch in diesem Falle keineswegs völlig beigelegt oder abgeschnitten gewesen wären. Für uns sind indessen diese Verfassungskämpfe selbstverständlich weit weniger an sich von Belang, als insofern sie auf Dänemarks Haltung nach außen hin früher oder später übergreifen mögen. Eine bestimmte Aussicht thut sich in dieser Richtung noch nicht auf. Allein so viel scheint klar zu sein, daß der tiefe innere Gegensatz zwischen Kopenhagen, dem lebensvollen, bewegten Mittelpunkt des Staates, und der Landbevölkerung, namentlich Jütlands, sich in Zukunft auch nach außen hin mehr als bisher bemerklich machen wird. Die Bauern¬ freunde unter S. A. Hansens Führung gehen jetzt Hand in Hand mit dem was die dänischen Patrioten Hjemmetydskeriet nennen, das „dänische Deutsch- thum" oder die .Deutschen in Dänemark", ähnlich wie der verstorbene L. Seeger auf dem frankfurter Abgeordnetentage kurz vor Weihnachten 1863 von den „Dänen in Deutschland" sprach. Was aber in Frankfurt nicht viel mehr als eine tropische Wendung, eine drastische Uebertreibung war, das hat in Kopen¬ hagen seine sehr reale Bedeutung; und wir Deutschen haben keinen Grund, in den dänischen „Hausdeutschen" Bundesgenossen im Feindeslager, gleichsam vorgeschobene Posten des Germanismus zu verehren. Es sind das vielmehr die dänischen Gegen¬ stücke zu dem. was bis vor Kurzem unsere Scheel-Plessens und Blomes waren — Männer und Familien, welche aus Privatrücksichten an dem dänisch-deutschen 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/513>, abgerufen am 12.12.2024.