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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Ausschreitungen von den Gliedern auf sich zu lenken. In den meisten Fällen
wird die Regierung, und nicht ohne eine gewisse Berechtigung, den letzten Weg
einschlagen. Denn einem Beamten, außer im Falle der handgreiflichsten Willkür
oder Ungesetzlichkeit einen Schutz zu versagen, den man nach der Lage der Ge¬
setzgebung gewähren kann, würde die Verwaltung sehr bedenklich schwächen.
Die Regierung wird also, mag sie liberal oder conservativ sein, stets das Be¬
streben haben, ihre Befugnisse zum Schutze der Beamten ^in ausgedehntesten
Maße auszuüben; sie wird, das ist eine, man kann sagen psychologische Noth¬
wendigkeit, wo sie keine andere Wahl bat, die Willkür der Schwäche vorziehen;
sie muß. um nicht der Anarchie zu verfallen, absolutistische Tendenzen verfolgen.
Die Folge davon ist, daß auch der geringste Conflict zwischen Verwaltung und
Privaten auf dem Wege der Petition vor das Forum der großen Staatskörper
gebracht wird, daß die Verantwortlichkeit der Minister auf eine Höhe gesteigert
wird, der auch die verdienteste Popularität auf die Dauer nicht gewachsen ist;
denn es müßte wunderbar zugehen, wenn im Fall die Kammer eine Beschwerde
für begründet erklärt, die öffentliche Meinung sich nicht für die Ansicht der
Volksvertretung und gegen die der Negierung aussprechen sollte. Die Kammer
aber, selbst für den Fall, daß das Ministerium aus den Reihen ihrer Majorität
hervorgegangen sein sollte, muß als eine aus dem Volke hervorgegangene
Macht ihr cvntrolirendes Censoramt mit Strenge verwalten. Nun braucht
man nur einen Blick auf die Fülle zum großen Theil durchaus begründeter
Beschwerden, die zu allen Zeiten, auch unter dem liberalen Ministerium, bei
den Häusern des Landtages eingelaufen sind, zu werfen, um zu begreifen,
daß unter den bestehenden Verwaltungsverhäitnissen, auch wenn sie in sehr
liberalem Sinne in Anwendung gebracht werden, selbst das festeste Band
zwischen Ministerium und einer nicht völlig in den stumpfsinnigsten fran¬
zösischen Gvuvernementalismus versunkenen Kammer in wenigen Jahren ge¬
lockert werden muß. So wird die Regierung in allen Fällen, und wir haben
hier eben den glücklichen Fall einer ursprünglichen Harmonie zwischen den
Factoren der Staatsgewalt ins Auge gefaßt, an dem Uebermaß ihrer Macht-
fülle kranken; die aus der gesteigerten Centralisation beruhende Energie wird
sich nicht in einer umfassenden schöpferischen Thätigkeit, sondern nur in fort¬
dauernden, aufreibenden und abnutzendem Kampfe wider eine meist unbesiegbare
Macht bewähren können; Ausschreitungen, wie sie zu jeder Zeit und unter allen
Verhältnissen vorkommen, werden in der öffentlichen Meinung zu einer ernsten
Krankheit des Staates gesteigert werden und bei dem beständigen Andrang aller
Säfte zu dem Haupte in der That unvermeidlich zu einer ernsten Krisis in dem
Zustand des Staatskörpers führen. Wie ist diesem Uebel abzuhelfen? Nur
dadurch, daß die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ohne jede Zwischenstation
eines Competenzgcrichtshofes der Controle der ordentlichen Gerichte unterstellt


Ausschreitungen von den Gliedern auf sich zu lenken. In den meisten Fällen
wird die Regierung, und nicht ohne eine gewisse Berechtigung, den letzten Weg
einschlagen. Denn einem Beamten, außer im Falle der handgreiflichsten Willkür
oder Ungesetzlichkeit einen Schutz zu versagen, den man nach der Lage der Ge¬
setzgebung gewähren kann, würde die Verwaltung sehr bedenklich schwächen.
Die Regierung wird also, mag sie liberal oder conservativ sein, stets das Be¬
streben haben, ihre Befugnisse zum Schutze der Beamten ^in ausgedehntesten
Maße auszuüben; sie wird, das ist eine, man kann sagen psychologische Noth¬
wendigkeit, wo sie keine andere Wahl bat, die Willkür der Schwäche vorziehen;
sie muß. um nicht der Anarchie zu verfallen, absolutistische Tendenzen verfolgen.
Die Folge davon ist, daß auch der geringste Conflict zwischen Verwaltung und
Privaten auf dem Wege der Petition vor das Forum der großen Staatskörper
gebracht wird, daß die Verantwortlichkeit der Minister auf eine Höhe gesteigert
wird, der auch die verdienteste Popularität auf die Dauer nicht gewachsen ist;
denn es müßte wunderbar zugehen, wenn im Fall die Kammer eine Beschwerde
für begründet erklärt, die öffentliche Meinung sich nicht für die Ansicht der
Volksvertretung und gegen die der Negierung aussprechen sollte. Die Kammer
aber, selbst für den Fall, daß das Ministerium aus den Reihen ihrer Majorität
hervorgegangen sein sollte, muß als eine aus dem Volke hervorgegangene
Macht ihr cvntrolirendes Censoramt mit Strenge verwalten. Nun braucht
man nur einen Blick auf die Fülle zum großen Theil durchaus begründeter
Beschwerden, die zu allen Zeiten, auch unter dem liberalen Ministerium, bei
den Häusern des Landtages eingelaufen sind, zu werfen, um zu begreifen,
daß unter den bestehenden Verwaltungsverhäitnissen, auch wenn sie in sehr
liberalem Sinne in Anwendung gebracht werden, selbst das festeste Band
zwischen Ministerium und einer nicht völlig in den stumpfsinnigsten fran¬
zösischen Gvuvernementalismus versunkenen Kammer in wenigen Jahren ge¬
lockert werden muß. So wird die Regierung in allen Fällen, und wir haben
hier eben den glücklichen Fall einer ursprünglichen Harmonie zwischen den
Factoren der Staatsgewalt ins Auge gefaßt, an dem Uebermaß ihrer Macht-
fülle kranken; die aus der gesteigerten Centralisation beruhende Energie wird
sich nicht in einer umfassenden schöpferischen Thätigkeit, sondern nur in fort¬
dauernden, aufreibenden und abnutzendem Kampfe wider eine meist unbesiegbare
Macht bewähren können; Ausschreitungen, wie sie zu jeder Zeit und unter allen
Verhältnissen vorkommen, werden in der öffentlichen Meinung zu einer ernsten
Krankheit des Staates gesteigert werden und bei dem beständigen Andrang aller
Säfte zu dem Haupte in der That unvermeidlich zu einer ernsten Krisis in dem
Zustand des Staatskörpers führen. Wie ist diesem Uebel abzuhelfen? Nur
dadurch, daß die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ohne jede Zwischenstation
eines Competenzgcrichtshofes der Controle der ordentlichen Gerichte unterstellt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/500>, abgerufen am 29.06.2024.