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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Wir haben bereits früher bemerkt, daß das Buch Tobie ursprünglich
griechisch geschrieben war. Dies ist wenigstens das bei weitem Wahrscheinlichste.
Zwar bringen die starken Hebraismen den Leser leicht auf die Gedanken eines
sehr wörtlich übersetzten hebräischen Originals, aber sieht man wieder, wie manche
echt griechische Ausdrücke und Wendungen (z. B. Participial- und Jnsinitivcon-
structionen) hier vorkommen, wie oft die Wortfolge eine andere ist als die
hebräische, und wie gewisse Erscheinungen, die sich in allen oder den meisten
Uebersetzungen aus dem Hebräischen zeigen, hier fehlen, so wird man jenen
Gedanken aufgeben müssen. Die Uebersetzungsfehler, welche man hier und
da hat finden wollen, verschwinden bei näherer Betrachtung in nichts. Man
muß aber zugeben, daß der Verfasser des Hebräischen kundig war. da er
(3. 17; 12, 14 f.) auf die Bedeutung des hebräischen Engclnamens Raphael
"Gott heilt" anspielt.

Bei einem griechischen Original ist die Möglichkeit einer Abfassung vor der
Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus und im tiefen Asten, an die man
gedacht hat, ganz ausgeschlossen. An einer solchen Annahme verhindert uns
übrigens auch die Unbekanntschaft mit der geographischen Lage des Schauplatzes
der Geschichte. Der Erzähler denkt sich Ninive eine Tagreise westlich vom
Tigris; wollte man diesen Irrthum auch durch die unwahrscheinliche Erklärung
Neuerer wegschaffen, daß unter dem Tigris hier ein anderer Fluß zu verstehen
sei. so bleibt doch der Fehler, daß sich der Erzähler die Entfernung zwischen
Ekbatana und Naga viel zu gering denkt. Nach dem Zusammenhang der Rede
ist sie ihm eine Tagereise groß; wollen wir aber auch zugeben, daß die An¬
nahme einer längern Reise nicht geradezu gegen den Text verstößt, so wäre es
doch widersinnig, wenn Raphael den Gabael zur Theilnahme an dem vierzehn¬
tägiger Feste aus einer Entfernung holt, die es gerade zuläßt, daß er in
Ekbatana eintrifft, als das Fest eben zu Ende ist. Da nämlich Naga von
Ekbatana auf geradem Wege etwas über ^0 Meilen entfernt ist, so wäre es
für Kameele (9,2) kaum möglich, in weniger als vierzehn Tagen den Hin-
und Rückweg zu machen, für die beiden Flchwcmderer wäre noch eine etwas
längere Zeit nöthig gewesen, und der alte Tobie hätte daher keine Ursache ge¬
habt, sich über das Ausbleiben seines Sohnes zu ängstigen, als er sich vierzehn
Tage in Ekbatana aufhält. Man sieht, der Versasser glaubte, die beiden Haupt¬
städte Mediens lägen dicht bei einander.

Die hohe Verehrung für Jerusalem, welche sich am Anfang und besonders
in den Schlußreden Tobits zeigt, das große Gewicht, welches auf die Festreise
nach der heiligen Stadt gelegt wird, sprechen für die Abfassung in einer
Jerusalem nicht allzufernen Gegend. Das Buch ist entweder in Palästina, oder
in Aegypten geschrieben. Für jenes Land, speciell Galilcia, möchte der
Umstand sprechen, daß hier Tobits ursprüngliche Heimath angegeben wird,


Wir haben bereits früher bemerkt, daß das Buch Tobie ursprünglich
griechisch geschrieben war. Dies ist wenigstens das bei weitem Wahrscheinlichste.
Zwar bringen die starken Hebraismen den Leser leicht auf die Gedanken eines
sehr wörtlich übersetzten hebräischen Originals, aber sieht man wieder, wie manche
echt griechische Ausdrücke und Wendungen (z. B. Participial- und Jnsinitivcon-
structionen) hier vorkommen, wie oft die Wortfolge eine andere ist als die
hebräische, und wie gewisse Erscheinungen, die sich in allen oder den meisten
Uebersetzungen aus dem Hebräischen zeigen, hier fehlen, so wird man jenen
Gedanken aufgeben müssen. Die Uebersetzungsfehler, welche man hier und
da hat finden wollen, verschwinden bei näherer Betrachtung in nichts. Man
muß aber zugeben, daß der Verfasser des Hebräischen kundig war. da er
(3. 17; 12, 14 f.) auf die Bedeutung des hebräischen Engclnamens Raphael
„Gott heilt" anspielt.

Bei einem griechischen Original ist die Möglichkeit einer Abfassung vor der
Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus und im tiefen Asten, an die man
gedacht hat, ganz ausgeschlossen. An einer solchen Annahme verhindert uns
übrigens auch die Unbekanntschaft mit der geographischen Lage des Schauplatzes
der Geschichte. Der Erzähler denkt sich Ninive eine Tagreise westlich vom
Tigris; wollte man diesen Irrthum auch durch die unwahrscheinliche Erklärung
Neuerer wegschaffen, daß unter dem Tigris hier ein anderer Fluß zu verstehen
sei. so bleibt doch der Fehler, daß sich der Erzähler die Entfernung zwischen
Ekbatana und Naga viel zu gering denkt. Nach dem Zusammenhang der Rede
ist sie ihm eine Tagereise groß; wollen wir aber auch zugeben, daß die An¬
nahme einer längern Reise nicht geradezu gegen den Text verstößt, so wäre es
doch widersinnig, wenn Raphael den Gabael zur Theilnahme an dem vierzehn¬
tägiger Feste aus einer Entfernung holt, die es gerade zuläßt, daß er in
Ekbatana eintrifft, als das Fest eben zu Ende ist. Da nämlich Naga von
Ekbatana auf geradem Wege etwas über ^0 Meilen entfernt ist, so wäre es
für Kameele (9,2) kaum möglich, in weniger als vierzehn Tagen den Hin-
und Rückweg zu machen, für die beiden Flchwcmderer wäre noch eine etwas
längere Zeit nöthig gewesen, und der alte Tobie hätte daher keine Ursache ge¬
habt, sich über das Ausbleiben seines Sohnes zu ängstigen, als er sich vierzehn
Tage in Ekbatana aufhält. Man sieht, der Versasser glaubte, die beiden Haupt¬
städte Mediens lägen dicht bei einander.

Die hohe Verehrung für Jerusalem, welche sich am Anfang und besonders
in den Schlußreden Tobits zeigt, das große Gewicht, welches auf die Festreise
nach der heiligen Stadt gelegt wird, sprechen für die Abfassung in einer
Jerusalem nicht allzufernen Gegend. Das Buch ist entweder in Palästina, oder
in Aegypten geschrieben. Für jenes Land, speciell Galilcia, möchte der
Umstand sprechen, daß hier Tobits ursprüngliche Heimath angegeben wird,


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[0491] Wir haben bereits früher bemerkt, daß das Buch Tobie ursprünglich griechisch geschrieben war. Dies ist wenigstens das bei weitem Wahrscheinlichste. Zwar bringen die starken Hebraismen den Leser leicht auf die Gedanken eines sehr wörtlich übersetzten hebräischen Originals, aber sieht man wieder, wie manche echt griechische Ausdrücke und Wendungen (z. B. Participial- und Jnsinitivcon- structionen) hier vorkommen, wie oft die Wortfolge eine andere ist als die hebräische, und wie gewisse Erscheinungen, die sich in allen oder den meisten Uebersetzungen aus dem Hebräischen zeigen, hier fehlen, so wird man jenen Gedanken aufgeben müssen. Die Uebersetzungsfehler, welche man hier und da hat finden wollen, verschwinden bei näherer Betrachtung in nichts. Man muß aber zugeben, daß der Verfasser des Hebräischen kundig war. da er (3. 17; 12, 14 f.) auf die Bedeutung des hebräischen Engclnamens Raphael „Gott heilt" anspielt. Bei einem griechischen Original ist die Möglichkeit einer Abfassung vor der Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus und im tiefen Asten, an die man gedacht hat, ganz ausgeschlossen. An einer solchen Annahme verhindert uns übrigens auch die Unbekanntschaft mit der geographischen Lage des Schauplatzes der Geschichte. Der Erzähler denkt sich Ninive eine Tagreise westlich vom Tigris; wollte man diesen Irrthum auch durch die unwahrscheinliche Erklärung Neuerer wegschaffen, daß unter dem Tigris hier ein anderer Fluß zu verstehen sei. so bleibt doch der Fehler, daß sich der Erzähler die Entfernung zwischen Ekbatana und Naga viel zu gering denkt. Nach dem Zusammenhang der Rede ist sie ihm eine Tagereise groß; wollen wir aber auch zugeben, daß die An¬ nahme einer längern Reise nicht geradezu gegen den Text verstößt, so wäre es doch widersinnig, wenn Raphael den Gabael zur Theilnahme an dem vierzehn¬ tägiger Feste aus einer Entfernung holt, die es gerade zuläßt, daß er in Ekbatana eintrifft, als das Fest eben zu Ende ist. Da nämlich Naga von Ekbatana auf geradem Wege etwas über ^0 Meilen entfernt ist, so wäre es für Kameele (9,2) kaum möglich, in weniger als vierzehn Tagen den Hin- und Rückweg zu machen, für die beiden Flchwcmderer wäre noch eine etwas längere Zeit nöthig gewesen, und der alte Tobie hätte daher keine Ursache ge¬ habt, sich über das Ausbleiben seines Sohnes zu ängstigen, als er sich vierzehn Tage in Ekbatana aufhält. Man sieht, der Versasser glaubte, die beiden Haupt¬ städte Mediens lägen dicht bei einander. Die hohe Verehrung für Jerusalem, welche sich am Anfang und besonders in den Schlußreden Tobits zeigt, das große Gewicht, welches auf die Festreise nach der heiligen Stadt gelegt wird, sprechen für die Abfassung in einer Jerusalem nicht allzufernen Gegend. Das Buch ist entweder in Palästina, oder in Aegypten geschrieben. Für jenes Land, speciell Galilcia, möchte der Umstand sprechen, daß hier Tobits ursprüngliche Heimath angegeben wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/491>, abgerufen am 29.06.2024.