Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Doch ist die Sprache des Originals, sowie die Wahrscheinlichkeit, daß das Buch
den Tobie als Trost und Muster für Juden im Auslande aufstellt, gegen eine
solche Annahme. Das Wahrscheinlichste ist demnach, daß der Verfasser in
Aegypten schrieb. Hierzu stimmt auch die Verbannung des bösen Geistes in
die "obersten Gegenden Aegyptens", die verrufnen Gebirge im Süden. Vielleicht
ließe sich auch die finanzielle Stellung Tvbits und Achiachars am Hofe zu Ninive
mit der einflußreichen Stellung vergleichen, welche jüdische Geldmänner unter
den Ptolema'ern einnahmen. Auch ist zu beachten, daß die handelnden Personen
durchgängig in sehr guten Vermögensverhältnissen leben, was auch wohl am
besten auf ägyptischen Ursprung paßt. Daß sie in allen Geschäftsangelegen-
heiten sehr pünktlich und sorgfältig verfahren, ist dagegen ein allgemein jüdischer
Zug. Auch aus der entwickelten Geisterlehre möchte ich keinen bestimmten Schluß
auf die Abfassung ziehn, da sich diese in den Jahrhunderten vor Christus aller
Orten, wo Juden wohnten, finden konnte. Ebensowenig folgt natürlich aus der
strengen Gesetzlichkeit Tobits (1, 7).

Der wenig fanatische Charakter des Buchs, welches auch in den Ver¬
heißungen der Schlußreden Tobits keinen Haß der Fremden zeigt, spricht für
die Abfassung vor der Makkabäerzeit. Bei der starken Verherrlichung des Heilig-
thums in Jerusalem würde außerdem wohl eine gewisse Polemik gegen den
Nebentempel des Onias in Aegypten nicht fehlen, wenn der Verfasser diesen
schon gekannt hätte. Da nun die griechische Abfassung, wie gesagt, eine ältere
Zeit als die Mitte des dritten Jahrhunderts ausschließt, so werden wir unser
Buch mit Wahrscheinlichkeit in den Schluß des dritten oder den Anfang des
zweiten Jahrhunderts setzen.

Mit Unrecht hat man sich daran gestoßen, daß Josephus*) von unserm
Buch keine Notiz nimmt. In seine Geschichte des jüdischen Volks gehört diese
Idylle nicht. Freilich hat man selbst das auffallend gefunden. daß er die
Judith nicht erwähnt, während ihm die unchronologische Einkleidung ihrer
Geschichte die Einreihung in seine Darstellung noch unmöglicher machte, als
die des Hiob, für deren historische Fixirung ihm jeder Anhaltspunkt fehlte.
Noch weniger ist auf Philos Schweigen zu geben, der eine ganze Reihe alt-
testamentlicher Bücher unerwähnt läßt.

Die Textgeschichte des Buches Tobie ist der des Buches Judith sehr ähnlich.
Der griechische Text ist früh stark überarbeitet: der Bearbeiter ließ zwar die
Grundzüge und die Hauptsachen des Textes, änderte aber viel gewaltsamer,



") Bei dieser Gelegenheit sei es mir erlaubt, einige Druckfehler in dem vorigen Aufsat)
zu verbessern. Nicht von der "platten", sondern von der "glatten" Weise des Josephus
hatte ich gesprochen (S. 128), -- Ferner lies S. 130 Z. 7. v. u. "2 Millionen"; S, 133 <>'
der Anmerkung "nämlich" für "natürlich".

Doch ist die Sprache des Originals, sowie die Wahrscheinlichkeit, daß das Buch
den Tobie als Trost und Muster für Juden im Auslande aufstellt, gegen eine
solche Annahme. Das Wahrscheinlichste ist demnach, daß der Verfasser in
Aegypten schrieb. Hierzu stimmt auch die Verbannung des bösen Geistes in
die „obersten Gegenden Aegyptens", die verrufnen Gebirge im Süden. Vielleicht
ließe sich auch die finanzielle Stellung Tvbits und Achiachars am Hofe zu Ninive
mit der einflußreichen Stellung vergleichen, welche jüdische Geldmänner unter
den Ptolema'ern einnahmen. Auch ist zu beachten, daß die handelnden Personen
durchgängig in sehr guten Vermögensverhältnissen leben, was auch wohl am
besten auf ägyptischen Ursprung paßt. Daß sie in allen Geschäftsangelegen-
heiten sehr pünktlich und sorgfältig verfahren, ist dagegen ein allgemein jüdischer
Zug. Auch aus der entwickelten Geisterlehre möchte ich keinen bestimmten Schluß
auf die Abfassung ziehn, da sich diese in den Jahrhunderten vor Christus aller
Orten, wo Juden wohnten, finden konnte. Ebensowenig folgt natürlich aus der
strengen Gesetzlichkeit Tobits (1, 7).

Der wenig fanatische Charakter des Buchs, welches auch in den Ver¬
heißungen der Schlußreden Tobits keinen Haß der Fremden zeigt, spricht für
die Abfassung vor der Makkabäerzeit. Bei der starken Verherrlichung des Heilig-
thums in Jerusalem würde außerdem wohl eine gewisse Polemik gegen den
Nebentempel des Onias in Aegypten nicht fehlen, wenn der Verfasser diesen
schon gekannt hätte. Da nun die griechische Abfassung, wie gesagt, eine ältere
Zeit als die Mitte des dritten Jahrhunderts ausschließt, so werden wir unser
Buch mit Wahrscheinlichkeit in den Schluß des dritten oder den Anfang des
zweiten Jahrhunderts setzen.

Mit Unrecht hat man sich daran gestoßen, daß Josephus*) von unserm
Buch keine Notiz nimmt. In seine Geschichte des jüdischen Volks gehört diese
Idylle nicht. Freilich hat man selbst das auffallend gefunden. daß er die
Judith nicht erwähnt, während ihm die unchronologische Einkleidung ihrer
Geschichte die Einreihung in seine Darstellung noch unmöglicher machte, als
die des Hiob, für deren historische Fixirung ihm jeder Anhaltspunkt fehlte.
Noch weniger ist auf Philos Schweigen zu geben, der eine ganze Reihe alt-
testamentlicher Bücher unerwähnt läßt.

Die Textgeschichte des Buches Tobie ist der des Buches Judith sehr ähnlich.
Der griechische Text ist früh stark überarbeitet: der Bearbeiter ließ zwar die
Grundzüge und die Hauptsachen des Textes, änderte aber viel gewaltsamer,



") Bei dieser Gelegenheit sei es mir erlaubt, einige Druckfehler in dem vorigen Aufsat)
zu verbessern. Nicht von der „platten", sondern von der „glatten" Weise des Josephus
hatte ich gesprochen (S. 128), — Ferner lies S. 130 Z. 7. v. u. „2 Millionen"; S, 133 <>'
der Anmerkung „nämlich" für „natürlich".
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283289"/>
            <p xml:id="ID_1578" prev="#ID_1577"> Doch ist die Sprache des Originals, sowie die Wahrscheinlichkeit, daß das Buch<lb/>
den Tobie als Trost und Muster für Juden im Auslande aufstellt, gegen eine<lb/>
solche Annahme. Das Wahrscheinlichste ist demnach, daß der Verfasser in<lb/>
Aegypten schrieb. Hierzu stimmt auch die Verbannung des bösen Geistes in<lb/>
die &#x201E;obersten Gegenden Aegyptens", die verrufnen Gebirge im Süden. Vielleicht<lb/>
ließe sich auch die finanzielle Stellung Tvbits und Achiachars am Hofe zu Ninive<lb/>
mit der einflußreichen Stellung vergleichen, welche jüdische Geldmänner unter<lb/>
den Ptolema'ern einnahmen. Auch ist zu beachten, daß die handelnden Personen<lb/>
durchgängig in sehr guten Vermögensverhältnissen leben, was auch wohl am<lb/>
besten auf ägyptischen Ursprung paßt. Daß sie in allen Geschäftsangelegen-<lb/>
heiten sehr pünktlich und sorgfältig verfahren, ist dagegen ein allgemein jüdischer<lb/>
Zug. Auch aus der entwickelten Geisterlehre möchte ich keinen bestimmten Schluß<lb/>
auf die Abfassung ziehn, da sich diese in den Jahrhunderten vor Christus aller<lb/>
Orten, wo Juden wohnten, finden konnte. Ebensowenig folgt natürlich aus der<lb/>
strengen Gesetzlichkeit Tobits (1, 7).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1579"> Der wenig fanatische Charakter des Buchs, welches auch in den Ver¬<lb/>
heißungen der Schlußreden Tobits keinen Haß der Fremden zeigt, spricht für<lb/>
die Abfassung vor der Makkabäerzeit. Bei der starken Verherrlichung des Heilig-<lb/>
thums in Jerusalem würde außerdem wohl eine gewisse Polemik gegen den<lb/>
Nebentempel des Onias in Aegypten nicht fehlen, wenn der Verfasser diesen<lb/>
schon gekannt hätte. Da nun die griechische Abfassung, wie gesagt, eine ältere<lb/>
Zeit als die Mitte des dritten Jahrhunderts ausschließt, so werden wir unser<lb/>
Buch mit Wahrscheinlichkeit in den Schluß des dritten oder den Anfang des<lb/>
zweiten Jahrhunderts setzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1580"> Mit Unrecht hat man sich daran gestoßen, daß Josephus*) von unserm<lb/>
Buch keine Notiz nimmt. In seine Geschichte des jüdischen Volks gehört diese<lb/>
Idylle nicht. Freilich hat man selbst das auffallend gefunden. daß er die<lb/>
Judith nicht erwähnt, während ihm die unchronologische Einkleidung ihrer<lb/>
Geschichte die Einreihung in seine Darstellung noch unmöglicher machte, als<lb/>
die des Hiob, für deren historische Fixirung ihm jeder Anhaltspunkt fehlte.<lb/>
Noch weniger ist auf Philos Schweigen zu geben, der eine ganze Reihe alt-<lb/>
testamentlicher Bücher unerwähnt läßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1581" next="#ID_1582"> Die Textgeschichte des Buches Tobie ist der des Buches Judith sehr ähnlich.<lb/>
Der griechische Text ist früh stark überarbeitet: der Bearbeiter ließ zwar die<lb/>
Grundzüge und die Hauptsachen des Textes, änderte aber viel gewaltsamer,</p><lb/>
            <note xml:id="FID_93" place="foot"> ") Bei dieser Gelegenheit sei es mir erlaubt, einige Druckfehler in dem vorigen Aufsat)<lb/>
zu verbessern. Nicht von der &#x201E;platten", sondern von der &#x201E;glatten" Weise des Josephus<lb/>
hatte ich gesprochen (S. 128), &#x2014; Ferner lies S. 130 Z. 7. v. u. &#x201E;2 Millionen"; S, 133 &lt;&gt;'<lb/>
der Anmerkung &#x201E;nämlich" für &#x201E;natürlich".</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Doch ist die Sprache des Originals, sowie die Wahrscheinlichkeit, daß das Buch den Tobie als Trost und Muster für Juden im Auslande aufstellt, gegen eine solche Annahme. Das Wahrscheinlichste ist demnach, daß der Verfasser in Aegypten schrieb. Hierzu stimmt auch die Verbannung des bösen Geistes in die „obersten Gegenden Aegyptens", die verrufnen Gebirge im Süden. Vielleicht ließe sich auch die finanzielle Stellung Tvbits und Achiachars am Hofe zu Ninive mit der einflußreichen Stellung vergleichen, welche jüdische Geldmänner unter den Ptolema'ern einnahmen. Auch ist zu beachten, daß die handelnden Personen durchgängig in sehr guten Vermögensverhältnissen leben, was auch wohl am besten auf ägyptischen Ursprung paßt. Daß sie in allen Geschäftsangelegen- heiten sehr pünktlich und sorgfältig verfahren, ist dagegen ein allgemein jüdischer Zug. Auch aus der entwickelten Geisterlehre möchte ich keinen bestimmten Schluß auf die Abfassung ziehn, da sich diese in den Jahrhunderten vor Christus aller Orten, wo Juden wohnten, finden konnte. Ebensowenig folgt natürlich aus der strengen Gesetzlichkeit Tobits (1, 7). Der wenig fanatische Charakter des Buchs, welches auch in den Ver¬ heißungen der Schlußreden Tobits keinen Haß der Fremden zeigt, spricht für die Abfassung vor der Makkabäerzeit. Bei der starken Verherrlichung des Heilig- thums in Jerusalem würde außerdem wohl eine gewisse Polemik gegen den Nebentempel des Onias in Aegypten nicht fehlen, wenn der Verfasser diesen schon gekannt hätte. Da nun die griechische Abfassung, wie gesagt, eine ältere Zeit als die Mitte des dritten Jahrhunderts ausschließt, so werden wir unser Buch mit Wahrscheinlichkeit in den Schluß des dritten oder den Anfang des zweiten Jahrhunderts setzen. Mit Unrecht hat man sich daran gestoßen, daß Josephus*) von unserm Buch keine Notiz nimmt. In seine Geschichte des jüdischen Volks gehört diese Idylle nicht. Freilich hat man selbst das auffallend gefunden. daß er die Judith nicht erwähnt, während ihm die unchronologische Einkleidung ihrer Geschichte die Einreihung in seine Darstellung noch unmöglicher machte, als die des Hiob, für deren historische Fixirung ihm jeder Anhaltspunkt fehlte. Noch weniger ist auf Philos Schweigen zu geben, der eine ganze Reihe alt- testamentlicher Bücher unerwähnt läßt. Die Textgeschichte des Buches Tobie ist der des Buches Judith sehr ähnlich. Der griechische Text ist früh stark überarbeitet: der Bearbeiter ließ zwar die Grundzüge und die Hauptsachen des Textes, änderte aber viel gewaltsamer, ") Bei dieser Gelegenheit sei es mir erlaubt, einige Druckfehler in dem vorigen Aufsat) zu verbessern. Nicht von der „platten", sondern von der „glatten" Weise des Josephus hatte ich gesprochen (S. 128), — Ferner lies S. 130 Z. 7. v. u. „2 Millionen"; S, 133 <>' der Anmerkung „nämlich" für „natürlich".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/492>, abgerufen am 26.06.2024.