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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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heit gleichfalls einer ungeschickten Übertragung des Originals verdanken. Wahr¬
scheinlich ist der Uebersetzer für einen Theil der Entstellung und Verwirrung
in den geographischen Namen verantwortlich zu machen; einen andern Theil
der Schuld tragen sicher die Abschreiber.

Der griechische Text ist später vielfach überarbeitet. Eine dieser Überarbeit¬
ungen, die übrigens nicht sehr durchgreifen, sondern nur allerlei kleine Abänderungen,
Zusätze und Auslassungen anbringen, welche auf den Gang der Geschichte keinen
wesentlichen Einfluß haben, ist auch in lateinischer und syrischer Sprache er¬
halten. Nach jenem lateinischen Texte hat dann Hieronymus seine eigne Be¬
arbeitung gemacht. Angeblich lag ihm freilich ein chaldäischer Text vor, aber
wenn er vielleicht auch wirklich einen solchen -- jüdischen oder christlichen Ur¬
sprungs -- kannte, so ist doch seine Uebersetzung sicher eine bloße, nicht ein¬
mal immer verbesserte, Umarbeitung des altlateinischen Textes, welche mit
großer Willkürlichkeit und Eilfertigkeit ausgeführt und des großen Uebersetzers
eigentlich unwürdig ist. Diese Uebersetzung ist aber im Abendland die kirchlich
herrschende geworden, und auch Luther übersetzte aus ihr, nicht aus der griechischen.

Daß die Juden das Buch Judith nicht in hebräischer Sprache besaßen,
erfuhr Origenes von ihnen selbst. Es hat auch nie kanonische Geltung unter
ihnen gehabt, das Original war wohl frühzeitig verloren gegangen. Wenn
das Buch von den Christen zu der heiligen Schrift gezählt wurde, so geschah
dasselbe mit manchen andern griechischen Büchern, welche von den alexandrinischen
Juden gebraucht waren; das Bewußtsein, daß diese Bücher nicht eigentlich zum
Kanon gehörten, brach auch von Zeit zu Zeit wieder durch, bis das tridentiner
Concil den Unterschied zwischen kanonischen und apokryphischen Schriften ganz
aufhob, während die Protestanten ihn immer stark betonten.

Aber auch bei den Juden finden wir Erinnerungen an die Geschichte von
der Judith. Wir könnten sie alle ohne weiteres auf unser Buch, wie wir
es haben, zurückbeziehen, wenn nicht der Umstand uns bedenklich machen müßte,
daß die Juden als die Feinde, gegen welche Judith auftritt, die Griechen
(Jawan d. i. eigentlich Jonier) nennen und somit das Ereigniß in die Makka-
bäerzeit verlegen. Ist es nun Zufall, daß sie hier das Richtige treffen? Kamen
sie durch wirkliche Untersuchung zu diesem Resultat? war gar wirklich noch eine
Ueberlieferung vorhanden, daß der Verfasser zur Makkabäerzeit geschrieben und
M Grunde seine Zeit geschildert hatte? Ich wage diese Frage nicht zu beant¬
worten, doch möchte ich mich am liebsten dafür entscheiden, daß hier der Zufall
gewaltet.

Von den uns vorliegenden Quellen*) ist die wichtigste ein kleines Stück



*) Dieselben sind fast sämmtlich in der vortrefflichen Sammlung Lot KÄ-Niärasek
hg- Von Ad. Jellinek (Bd. 1. u. 2.) enthalten-
Grenzboten U. 186S. 68

heit gleichfalls einer ungeschickten Übertragung des Originals verdanken. Wahr¬
scheinlich ist der Uebersetzer für einen Theil der Entstellung und Verwirrung
in den geographischen Namen verantwortlich zu machen; einen andern Theil
der Schuld tragen sicher die Abschreiber.

Der griechische Text ist später vielfach überarbeitet. Eine dieser Überarbeit¬
ungen, die übrigens nicht sehr durchgreifen, sondern nur allerlei kleine Abänderungen,
Zusätze und Auslassungen anbringen, welche auf den Gang der Geschichte keinen
wesentlichen Einfluß haben, ist auch in lateinischer und syrischer Sprache er¬
halten. Nach jenem lateinischen Texte hat dann Hieronymus seine eigne Be¬
arbeitung gemacht. Angeblich lag ihm freilich ein chaldäischer Text vor, aber
wenn er vielleicht auch wirklich einen solchen — jüdischen oder christlichen Ur¬
sprungs — kannte, so ist doch seine Uebersetzung sicher eine bloße, nicht ein¬
mal immer verbesserte, Umarbeitung des altlateinischen Textes, welche mit
großer Willkürlichkeit und Eilfertigkeit ausgeführt und des großen Uebersetzers
eigentlich unwürdig ist. Diese Uebersetzung ist aber im Abendland die kirchlich
herrschende geworden, und auch Luther übersetzte aus ihr, nicht aus der griechischen.

Daß die Juden das Buch Judith nicht in hebräischer Sprache besaßen,
erfuhr Origenes von ihnen selbst. Es hat auch nie kanonische Geltung unter
ihnen gehabt, das Original war wohl frühzeitig verloren gegangen. Wenn
das Buch von den Christen zu der heiligen Schrift gezählt wurde, so geschah
dasselbe mit manchen andern griechischen Büchern, welche von den alexandrinischen
Juden gebraucht waren; das Bewußtsein, daß diese Bücher nicht eigentlich zum
Kanon gehörten, brach auch von Zeit zu Zeit wieder durch, bis das tridentiner
Concil den Unterschied zwischen kanonischen und apokryphischen Schriften ganz
aufhob, während die Protestanten ihn immer stark betonten.

Aber auch bei den Juden finden wir Erinnerungen an die Geschichte von
der Judith. Wir könnten sie alle ohne weiteres auf unser Buch, wie wir
es haben, zurückbeziehen, wenn nicht der Umstand uns bedenklich machen müßte,
daß die Juden als die Feinde, gegen welche Judith auftritt, die Griechen
(Jawan d. i. eigentlich Jonier) nennen und somit das Ereigniß in die Makka-
bäerzeit verlegen. Ist es nun Zufall, daß sie hier das Richtige treffen? Kamen
sie durch wirkliche Untersuchung zu diesem Resultat? war gar wirklich noch eine
Ueberlieferung vorhanden, daß der Verfasser zur Makkabäerzeit geschrieben und
M Grunde seine Zeit geschildert hatte? Ich wage diese Frage nicht zu beant¬
worten, doch möchte ich mich am liebsten dafür entscheiden, daß hier der Zufall
gewaltet.

Von den uns vorliegenden Quellen*) ist die wichtigste ein kleines Stück



*) Dieselben sind fast sämmtlich in der vortrefflichen Sammlung Lot KÄ-Niärasek
hg- Von Ad. Jellinek (Bd. 1. u. 2.) enthalten-
Grenzboten U. 186S. 68
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[0485] heit gleichfalls einer ungeschickten Übertragung des Originals verdanken. Wahr¬ scheinlich ist der Uebersetzer für einen Theil der Entstellung und Verwirrung in den geographischen Namen verantwortlich zu machen; einen andern Theil der Schuld tragen sicher die Abschreiber. Der griechische Text ist später vielfach überarbeitet. Eine dieser Überarbeit¬ ungen, die übrigens nicht sehr durchgreifen, sondern nur allerlei kleine Abänderungen, Zusätze und Auslassungen anbringen, welche auf den Gang der Geschichte keinen wesentlichen Einfluß haben, ist auch in lateinischer und syrischer Sprache er¬ halten. Nach jenem lateinischen Texte hat dann Hieronymus seine eigne Be¬ arbeitung gemacht. Angeblich lag ihm freilich ein chaldäischer Text vor, aber wenn er vielleicht auch wirklich einen solchen — jüdischen oder christlichen Ur¬ sprungs — kannte, so ist doch seine Uebersetzung sicher eine bloße, nicht ein¬ mal immer verbesserte, Umarbeitung des altlateinischen Textes, welche mit großer Willkürlichkeit und Eilfertigkeit ausgeführt und des großen Uebersetzers eigentlich unwürdig ist. Diese Uebersetzung ist aber im Abendland die kirchlich herrschende geworden, und auch Luther übersetzte aus ihr, nicht aus der griechischen. Daß die Juden das Buch Judith nicht in hebräischer Sprache besaßen, erfuhr Origenes von ihnen selbst. Es hat auch nie kanonische Geltung unter ihnen gehabt, das Original war wohl frühzeitig verloren gegangen. Wenn das Buch von den Christen zu der heiligen Schrift gezählt wurde, so geschah dasselbe mit manchen andern griechischen Büchern, welche von den alexandrinischen Juden gebraucht waren; das Bewußtsein, daß diese Bücher nicht eigentlich zum Kanon gehörten, brach auch von Zeit zu Zeit wieder durch, bis das tridentiner Concil den Unterschied zwischen kanonischen und apokryphischen Schriften ganz aufhob, während die Protestanten ihn immer stark betonten. Aber auch bei den Juden finden wir Erinnerungen an die Geschichte von der Judith. Wir könnten sie alle ohne weiteres auf unser Buch, wie wir es haben, zurückbeziehen, wenn nicht der Umstand uns bedenklich machen müßte, daß die Juden als die Feinde, gegen welche Judith auftritt, die Griechen (Jawan d. i. eigentlich Jonier) nennen und somit das Ereigniß in die Makka- bäerzeit verlegen. Ist es nun Zufall, daß sie hier das Richtige treffen? Kamen sie durch wirkliche Untersuchung zu diesem Resultat? war gar wirklich noch eine Ueberlieferung vorhanden, daß der Verfasser zur Makkabäerzeit geschrieben und M Grunde seine Zeit geschildert hatte? Ich wage diese Frage nicht zu beant¬ worten, doch möchte ich mich am liebsten dafür entscheiden, daß hier der Zufall gewaltet. Von den uns vorliegenden Quellen*) ist die wichtigste ein kleines Stück *) Dieselben sind fast sämmtlich in der vortrefflichen Sammlung Lot KÄ-Niärasek hg- Von Ad. Jellinek (Bd. 1. u. 2.) enthalten- Grenzboten U. 186S. 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/485>, abgerufen am 29.06.2024.