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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Als Erzählung ist Judith ein schönes Erzeugniß des jüdischen Geistes.
Die Entwicklung könnte zwar mitunter etwas rascher vor sich gehn, die Reden
und Gebete halten den Gang etwas auf, und die Beschreibung der Kämpfe
und Züge des Feindes im Anfang des Buches scheint uns ziemlich überflüssig:
aber wenn wir die Zeit und die Zwecke des Buchs berücksichtigen, so werden
wir den Verfasser hierüber nicht hart beurtheilen. Fromme Reden und Gebete
liebte die Zeit, und der Verfasser hatte Gelegenheit, in ihnen seine eigentlichen
Zwecke recht auszusprechen. Die gewaltigen Thaten und Züge des Feindes
mußten in ausführlicher Schilderung den schließlichen Ausgang durch den Contrast
um so stärker hervorheben, und die Namen der durchzognen und besiegten
Länder erinnerten den Leser gewiß an die Thaten seines mächtigen Feindes. Im
Ganzen sind übrigens Reden und Erzählung gut disponirt und lebendig.

Die Zeichnung der wenigen handelnden Personen ist durchweg fest und in
sich wahr. Eine gelungne Figur ist die des Achior, in dessen Munde die
Lehren der israelitischen Geschiebe ganz besonders eindringlich klingen. Die
Hauptheldin ist als ein Muster jüdischer Tugend geschildert. Freilich hat man
oft in ihrem Benehmen gegen Olopherncs Anstoß genommen: diese schlau durch¬
geführte Lüge, die Bethörung des Feindes durch die Reize ihres Körpers, ver¬
bunden mit dem Meuchelmord, entspricht allerdings nicht den strengsten An¬
forderungen der Moral, aber man darf doch den Verfasser nicht zu sehr darüber
tadeln. Im Kampf mit dem überlegenen Todfeinde greift ein Volk zu allen
Waffen und so wenig sich Lug und Trug irgendwie rechtfertigen läßt, so
wenig sind sie unter solchen Umständen mit einer kurzen Verdammung abgethan.
Eins der ältesten, vielleicht das älteste aller erhaltnen hebräischen Literaturstücke
das Lied der Debora, preist einen unter weit weniger entschuldigenden Um¬
ständen begangnen Meuchelmord vom nationalen Standpunkt aus; rechnen wir
es daher dem Dichter nicht zu hoch an, wenn er, mitten im Kampfe stehend,
nicht nach den Gebote der höchsten Etlnk, sondern unter dem Eindruck von
nationalen und religiösen Begriffen und Gefühlen schreibt. Auch die ängstliche
Gesetzlichkeit der Judith behagt uns nicht sonderlich, aber diese Strenge war eben
die Quelle der Heldenthaten dieser Epoche. Von selbst versteht es sich bei
einem Buche dieses Zeitalters, daß der Versasser vielfach die ältern heiligen
Bücher benutzte, das hat er sowohl in Beziehung auf Form wie auf Inhalt
gethan. Zu dem von ihm benutzten Büchern gehört auch das Buch Esther-

Der Urtext unsres Buches war sicher hebräisch. Daß der griechische Text
eine sehr hebräische Färbung hat, würde an und für sich nichts beweisen, als
daß wir es hier mit einem jüdischen Product zu thun haben; aber hier ist jede
Faser der Rede hebräisch, wie es nur in einer wörtlichen Uebersetzung aus
dem Hebräischen möglich ist. Dazu finden sich mehre Uebersetzungsfehler. die
wir noch deutlich erkennen können; manche andere Stellen mögen ihre Dunkel-


Als Erzählung ist Judith ein schönes Erzeugniß des jüdischen Geistes.
Die Entwicklung könnte zwar mitunter etwas rascher vor sich gehn, die Reden
und Gebete halten den Gang etwas auf, und die Beschreibung der Kämpfe
und Züge des Feindes im Anfang des Buches scheint uns ziemlich überflüssig:
aber wenn wir die Zeit und die Zwecke des Buchs berücksichtigen, so werden
wir den Verfasser hierüber nicht hart beurtheilen. Fromme Reden und Gebete
liebte die Zeit, und der Verfasser hatte Gelegenheit, in ihnen seine eigentlichen
Zwecke recht auszusprechen. Die gewaltigen Thaten und Züge des Feindes
mußten in ausführlicher Schilderung den schließlichen Ausgang durch den Contrast
um so stärker hervorheben, und die Namen der durchzognen und besiegten
Länder erinnerten den Leser gewiß an die Thaten seines mächtigen Feindes. Im
Ganzen sind übrigens Reden und Erzählung gut disponirt und lebendig.

Die Zeichnung der wenigen handelnden Personen ist durchweg fest und in
sich wahr. Eine gelungne Figur ist die des Achior, in dessen Munde die
Lehren der israelitischen Geschiebe ganz besonders eindringlich klingen. Die
Hauptheldin ist als ein Muster jüdischer Tugend geschildert. Freilich hat man
oft in ihrem Benehmen gegen Olopherncs Anstoß genommen: diese schlau durch¬
geführte Lüge, die Bethörung des Feindes durch die Reize ihres Körpers, ver¬
bunden mit dem Meuchelmord, entspricht allerdings nicht den strengsten An¬
forderungen der Moral, aber man darf doch den Verfasser nicht zu sehr darüber
tadeln. Im Kampf mit dem überlegenen Todfeinde greift ein Volk zu allen
Waffen und so wenig sich Lug und Trug irgendwie rechtfertigen läßt, so
wenig sind sie unter solchen Umständen mit einer kurzen Verdammung abgethan.
Eins der ältesten, vielleicht das älteste aller erhaltnen hebräischen Literaturstücke
das Lied der Debora, preist einen unter weit weniger entschuldigenden Um¬
ständen begangnen Meuchelmord vom nationalen Standpunkt aus; rechnen wir
es daher dem Dichter nicht zu hoch an, wenn er, mitten im Kampfe stehend,
nicht nach den Gebote der höchsten Etlnk, sondern unter dem Eindruck von
nationalen und religiösen Begriffen und Gefühlen schreibt. Auch die ängstliche
Gesetzlichkeit der Judith behagt uns nicht sonderlich, aber diese Strenge war eben
die Quelle der Heldenthaten dieser Epoche. Von selbst versteht es sich bei
einem Buche dieses Zeitalters, daß der Versasser vielfach die ältern heiligen
Bücher benutzte, das hat er sowohl in Beziehung auf Form wie auf Inhalt
gethan. Zu dem von ihm benutzten Büchern gehört auch das Buch Esther-

Der Urtext unsres Buches war sicher hebräisch. Daß der griechische Text
eine sehr hebräische Färbung hat, würde an und für sich nichts beweisen, als
daß wir es hier mit einem jüdischen Product zu thun haben; aber hier ist jede
Faser der Rede hebräisch, wie es nur in einer wörtlichen Uebersetzung aus
dem Hebräischen möglich ist. Dazu finden sich mehre Uebersetzungsfehler. die
wir noch deutlich erkennen können; manche andere Stellen mögen ihre Dunkel-


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[0484] Als Erzählung ist Judith ein schönes Erzeugniß des jüdischen Geistes. Die Entwicklung könnte zwar mitunter etwas rascher vor sich gehn, die Reden und Gebete halten den Gang etwas auf, und die Beschreibung der Kämpfe und Züge des Feindes im Anfang des Buches scheint uns ziemlich überflüssig: aber wenn wir die Zeit und die Zwecke des Buchs berücksichtigen, so werden wir den Verfasser hierüber nicht hart beurtheilen. Fromme Reden und Gebete liebte die Zeit, und der Verfasser hatte Gelegenheit, in ihnen seine eigentlichen Zwecke recht auszusprechen. Die gewaltigen Thaten und Züge des Feindes mußten in ausführlicher Schilderung den schließlichen Ausgang durch den Contrast um so stärker hervorheben, und die Namen der durchzognen und besiegten Länder erinnerten den Leser gewiß an die Thaten seines mächtigen Feindes. Im Ganzen sind übrigens Reden und Erzählung gut disponirt und lebendig. Die Zeichnung der wenigen handelnden Personen ist durchweg fest und in sich wahr. Eine gelungne Figur ist die des Achior, in dessen Munde die Lehren der israelitischen Geschiebe ganz besonders eindringlich klingen. Die Hauptheldin ist als ein Muster jüdischer Tugend geschildert. Freilich hat man oft in ihrem Benehmen gegen Olopherncs Anstoß genommen: diese schlau durch¬ geführte Lüge, die Bethörung des Feindes durch die Reize ihres Körpers, ver¬ bunden mit dem Meuchelmord, entspricht allerdings nicht den strengsten An¬ forderungen der Moral, aber man darf doch den Verfasser nicht zu sehr darüber tadeln. Im Kampf mit dem überlegenen Todfeinde greift ein Volk zu allen Waffen und so wenig sich Lug und Trug irgendwie rechtfertigen läßt, so wenig sind sie unter solchen Umständen mit einer kurzen Verdammung abgethan. Eins der ältesten, vielleicht das älteste aller erhaltnen hebräischen Literaturstücke das Lied der Debora, preist einen unter weit weniger entschuldigenden Um¬ ständen begangnen Meuchelmord vom nationalen Standpunkt aus; rechnen wir es daher dem Dichter nicht zu hoch an, wenn er, mitten im Kampfe stehend, nicht nach den Gebote der höchsten Etlnk, sondern unter dem Eindruck von nationalen und religiösen Begriffen und Gefühlen schreibt. Auch die ängstliche Gesetzlichkeit der Judith behagt uns nicht sonderlich, aber diese Strenge war eben die Quelle der Heldenthaten dieser Epoche. Von selbst versteht es sich bei einem Buche dieses Zeitalters, daß der Versasser vielfach die ältern heiligen Bücher benutzte, das hat er sowohl in Beziehung auf Form wie auf Inhalt gethan. Zu dem von ihm benutzten Büchern gehört auch das Buch Esther- Der Urtext unsres Buches war sicher hebräisch. Daß der griechische Text eine sehr hebräische Färbung hat, würde an und für sich nichts beweisen, als daß wir es hier mit einem jüdischen Product zu thun haben; aber hier ist jede Faser der Rede hebräisch, wie es nur in einer wörtlichen Uebersetzung aus dem Hebräischen möglich ist. Dazu finden sich mehre Uebersetzungsfehler. die wir noch deutlich erkennen können; manche andere Stellen mögen ihre Dunkel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/484>, abgerufen am 29.06.2024.