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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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historische Quelle zu benutzen. Dem Verfasser schwebte eben eine solche Zeit
nur vor; er nahm einige Momente aus ihr heraus, welche mit der Lage seiner
Zeit einigermaßen übereinstimmten, und benutzte sie ganz frei.

In Wirklichkeit schrieb nämlich der Verfasser aus seiner Zeit und für die¬
selbe. Der stark didaktische und paränetische Zweck der Erzählung tritt überall
deutlich hervor. Sie soll lehren, wie Gott seinem Volke aus aller Noth hilft,
wenn es ihm treu bleibt, wie selbst die schwächste Kraft, wenn sie mit Frömmig¬
keit und Gesetzlichkeit verbunden ist, den stärksten Feind überwindet. Mächtige
Feinde bedrängen Israel; ein gewaltiger König sendet seinen Heerführer, alle
Nachbarvölker, Ammoniter und Moabiter, Edomiter") und die Bewohner des
Küstenlandes helfen ihm und weisen ihm mit Eifer die rechten Wege zur Be¬
zwingung des Landes, aber Gott hilft den Frommen. Ein solcher Gedanke in solcher
Lage war aber in der Periode lebendig, in die unser Buch zu versetzen alle
Gründe uns veranlassen, in der makkabäischen Heidenzeit. Diese rollt sich hinter
der Dichtung auf. Wir sehen die syrischen Könige, wie sie in stolzer Ucver-
hebung ihre Heere schicken, um das hartnäckige Volk zu vernichten, welches
weder dem König selbst göttliche Ehren erweisen, noch überhaupt einen andern
Gott als den seiner Väter, anerkennen will. Wir sehn dies Volk sich zu¬
sammenscharen, in kleinen Burgen sich unter dem Befehl heldenmüthiger
Priester vertheidigen und den Feind durch Gewalt und List niederwerfen; wir
sehn, wie die Frommen auf die alten Verheißungen vertrauen, indem sie sich
strenger, ja ängstlicher Erfüllung der Gesctzespflichtcn bewußt sind.

Als der Verfasser schrieb, lag gewiß wieder eine der schweren Kriegsnöthe auf
dem Volk. Der Triumph der Gerechten, den er beschreibt, war in der Wirk¬
lichkeit schwerlich schon errungen. Manche mochten kleinmüthig werden, wie die
Einwohner Betvluas, oder mochten in der Noth die Gesetze übertreten, wie
es der Verfasser, etwas aus der Rolle fallend, Judith von ihren Mitbürgern
sagen läßt, aber der Kern des Volks hält fest an dem Glauben, daß Gott,
der ihre Väter so oft gerettet, auch jetzt Netiung bringen werde. Welcher
Kriegszug im Einzelnen den Verfasser zu seiner Dichtung veranlaßte, wage
^ nicht sicher anzugeben. Der sehr weitläufig beschriebene Zug des Olophernes,
ehe er sich vor Betylua lagert, so wie einzelne andere Momente möchten viel¬
leicht späterer Untersuchung Anhaltspunkte zur genaueren Ermittlung der Ab¬
fassungszeit geben. Daß als Schauplatz der Geschichte ein sonst ganz unbekannter
Ort erscheint, wird gewiß auch aus den Verhältnissen der damaligen Zeit zu
erklären sein.



") Die Edomiter wurden durch Johannes Hyrkcmus unterworfen und zum Judenthum
bekehrt, woran sie seitdem festhielten; schon aus diesem Grunde kann das Buch, in dem sie
unter den Feinden erscheinen, nicht wohl später sein.

historische Quelle zu benutzen. Dem Verfasser schwebte eben eine solche Zeit
nur vor; er nahm einige Momente aus ihr heraus, welche mit der Lage seiner
Zeit einigermaßen übereinstimmten, und benutzte sie ganz frei.

In Wirklichkeit schrieb nämlich der Verfasser aus seiner Zeit und für die¬
selbe. Der stark didaktische und paränetische Zweck der Erzählung tritt überall
deutlich hervor. Sie soll lehren, wie Gott seinem Volke aus aller Noth hilft,
wenn es ihm treu bleibt, wie selbst die schwächste Kraft, wenn sie mit Frömmig¬
keit und Gesetzlichkeit verbunden ist, den stärksten Feind überwindet. Mächtige
Feinde bedrängen Israel; ein gewaltiger König sendet seinen Heerführer, alle
Nachbarvölker, Ammoniter und Moabiter, Edomiter") und die Bewohner des
Küstenlandes helfen ihm und weisen ihm mit Eifer die rechten Wege zur Be¬
zwingung des Landes, aber Gott hilft den Frommen. Ein solcher Gedanke in solcher
Lage war aber in der Periode lebendig, in die unser Buch zu versetzen alle
Gründe uns veranlassen, in der makkabäischen Heidenzeit. Diese rollt sich hinter
der Dichtung auf. Wir sehen die syrischen Könige, wie sie in stolzer Ucver-
hebung ihre Heere schicken, um das hartnäckige Volk zu vernichten, welches
weder dem König selbst göttliche Ehren erweisen, noch überhaupt einen andern
Gott als den seiner Väter, anerkennen will. Wir sehn dies Volk sich zu¬
sammenscharen, in kleinen Burgen sich unter dem Befehl heldenmüthiger
Priester vertheidigen und den Feind durch Gewalt und List niederwerfen; wir
sehn, wie die Frommen auf die alten Verheißungen vertrauen, indem sie sich
strenger, ja ängstlicher Erfüllung der Gesctzespflichtcn bewußt sind.

Als der Verfasser schrieb, lag gewiß wieder eine der schweren Kriegsnöthe auf
dem Volk. Der Triumph der Gerechten, den er beschreibt, war in der Wirk¬
lichkeit schwerlich schon errungen. Manche mochten kleinmüthig werden, wie die
Einwohner Betvluas, oder mochten in der Noth die Gesetze übertreten, wie
es der Verfasser, etwas aus der Rolle fallend, Judith von ihren Mitbürgern
sagen läßt, aber der Kern des Volks hält fest an dem Glauben, daß Gott,
der ihre Väter so oft gerettet, auch jetzt Netiung bringen werde. Welcher
Kriegszug im Einzelnen den Verfasser zu seiner Dichtung veranlaßte, wage
^ nicht sicher anzugeben. Der sehr weitläufig beschriebene Zug des Olophernes,
ehe er sich vor Betylua lagert, so wie einzelne andere Momente möchten viel¬
leicht späterer Untersuchung Anhaltspunkte zur genaueren Ermittlung der Ab¬
fassungszeit geben. Daß als Schauplatz der Geschichte ein sonst ganz unbekannter
Ort erscheint, wird gewiß auch aus den Verhältnissen der damaligen Zeit zu
erklären sein.



") Die Edomiter wurden durch Johannes Hyrkcmus unterworfen und zum Judenthum
bekehrt, woran sie seitdem festhielten; schon aus diesem Grunde kann das Buch, in dem sie
unter den Feinden erscheinen, nicht wohl später sein.
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[0483] historische Quelle zu benutzen. Dem Verfasser schwebte eben eine solche Zeit nur vor; er nahm einige Momente aus ihr heraus, welche mit der Lage seiner Zeit einigermaßen übereinstimmten, und benutzte sie ganz frei. In Wirklichkeit schrieb nämlich der Verfasser aus seiner Zeit und für die¬ selbe. Der stark didaktische und paränetische Zweck der Erzählung tritt überall deutlich hervor. Sie soll lehren, wie Gott seinem Volke aus aller Noth hilft, wenn es ihm treu bleibt, wie selbst die schwächste Kraft, wenn sie mit Frömmig¬ keit und Gesetzlichkeit verbunden ist, den stärksten Feind überwindet. Mächtige Feinde bedrängen Israel; ein gewaltiger König sendet seinen Heerführer, alle Nachbarvölker, Ammoniter und Moabiter, Edomiter") und die Bewohner des Küstenlandes helfen ihm und weisen ihm mit Eifer die rechten Wege zur Be¬ zwingung des Landes, aber Gott hilft den Frommen. Ein solcher Gedanke in solcher Lage war aber in der Periode lebendig, in die unser Buch zu versetzen alle Gründe uns veranlassen, in der makkabäischen Heidenzeit. Diese rollt sich hinter der Dichtung auf. Wir sehen die syrischen Könige, wie sie in stolzer Ucver- hebung ihre Heere schicken, um das hartnäckige Volk zu vernichten, welches weder dem König selbst göttliche Ehren erweisen, noch überhaupt einen andern Gott als den seiner Väter, anerkennen will. Wir sehn dies Volk sich zu¬ sammenscharen, in kleinen Burgen sich unter dem Befehl heldenmüthiger Priester vertheidigen und den Feind durch Gewalt und List niederwerfen; wir sehn, wie die Frommen auf die alten Verheißungen vertrauen, indem sie sich strenger, ja ängstlicher Erfüllung der Gesctzespflichtcn bewußt sind. Als der Verfasser schrieb, lag gewiß wieder eine der schweren Kriegsnöthe auf dem Volk. Der Triumph der Gerechten, den er beschreibt, war in der Wirk¬ lichkeit schwerlich schon errungen. Manche mochten kleinmüthig werden, wie die Einwohner Betvluas, oder mochten in der Noth die Gesetze übertreten, wie es der Verfasser, etwas aus der Rolle fallend, Judith von ihren Mitbürgern sagen läßt, aber der Kern des Volks hält fest an dem Glauben, daß Gott, der ihre Väter so oft gerettet, auch jetzt Netiung bringen werde. Welcher Kriegszug im Einzelnen den Verfasser zu seiner Dichtung veranlaßte, wage ^ nicht sicher anzugeben. Der sehr weitläufig beschriebene Zug des Olophernes, ehe er sich vor Betylua lagert, so wie einzelne andere Momente möchten viel¬ leicht späterer Untersuchung Anhaltspunkte zur genaueren Ermittlung der Ab¬ fassungszeit geben. Daß als Schauplatz der Geschichte ein sonst ganz unbekannter Ort erscheint, wird gewiß auch aus den Verhältnissen der damaligen Zeit zu erklären sein. ") Die Edomiter wurden durch Johannes Hyrkcmus unterworfen und zum Judenthum bekehrt, woran sie seitdem festhielten; schon aus diesem Grunde kann das Buch, in dem sie unter den Feinden erscheinen, nicht wohl später sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/483>, abgerufen am 28.09.2024.