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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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er es endlich, in das Schlafgemach einzudringen und erblickt hier den blutigen
Rumpf am Boden. Diese Nachricht verbreitet Entsetzen unter die Krieger; sie
verlieren allen Muth und fliehen. Ganz Israel wird nun aufgeboten, das
fliehende Heer zu vernichten, und nur nach großen Verlusten erreicht dasselbe
Damaskus. Die Bewohner Bctyluas plündern das Lager. Judith erhält das
Zelt des Olophernes mit allen Schätzen.

Judith singt dem Herrn einen schönen Siegesgesang und weiht ihm ihren
ganzen Beuteantheil. Drei Monate lang feiert das Volk. Judith zieht sich
in ihre Wittwcneinsamteit zurück, schlägt alle Anträge aus, schenkt der treuen
Magd die Freiheit und stirbt in Betylua im Hauses ihres Mannes, 103 Jahre
alt. Ganz Israel trauert um sie sieben Tage lang. So lange sie lebte und noch
lange Zeit später beunruhigte kein Feind das Volk.

Der Verfasser dieser Erzählung wollte wahrscheinlich von vorn herein seine
Leser von dem Gedanken abhalten, daß ihnen reine Geschichte vorläge. Nebukadnezar
als König der Assyrer und zwar zu einer Zeit, in der die Juden noch nicht
lange ihren Tempel wieder ^aufgebaut hatten und vom hohen Priester und
Synedrium (Gerufia), nicht von einem König, regiert wurden, das waren
Widersprüche gegen die Geschichte, die sich'jedem Juden, der nur oberflächlich
die heiligen Bücher kannte, von selbst aufdrängten, und die der Verfasser leicht
hätte vermeiden können, wen" er nur gewollt hätte. Man muß daher die
Kühnheit der Leute bewundern, welche trotz alledem aus Widersprüchen eine
Harmonie zusammenfügen und die Geschichtlichkeit des Buches aufrecht erhalten
wollten, Schon Luther hielt dasselbe für eine Dichtung;,und wir können uns der
überflüssigen Mühe entschlagen, dies des Weiteren nachzuweisen.

Dennoch hat das Buch einen geschichtlichen Hintergrund und zwar einen
stärkern als das Buch Esther. Dieser Hintergrund ist ein doppelter. Zuerst
schwebt nämlich dem Verfasser offenbar eine gewisse Zeit mit gewissen Ereignissen
vor, die er seiner Erzählung zu Grunde legt, sodann schreibt er aus den Ver¬
hältnissen seiner eignen Zeit und mit starker Beziehung auf dieselben. Die
erstere Zeit ist schwierig näher zu bestimmen; doch spricht vieles dafür, daß sie,
wie sich A. v. Gutschmid kürzlich ausgesprochen hat. in der Zeit des Artaxerxes
Ochus zu suchen ist. welcher König die Juden sehr stark bedrängt hat. und
unter dem ein Feldherr Olophernes siegreich kämpfte. Unter dem hohen Priester
Jojakim verstand der Verfasser warscheinlich den Reh. 12, 10 erwähnten, der
freilich geraume Zeit früher lebte. Dem König gab er den Namen des als
Zerstörers der heiligen Stadt schrecklichen und verabscheuten Chaldäerkönigs,
machte ihn aber zum König der Assyrer, um sogleich anzudeuten, daß das
Ganze nicht streng geschichtlich zu nehmen. Dafür, daß dem Verfasser diese
Zeit vorschwebte, ließe sich noch mehres sagen. Wir verwahren uns aber
gleich dagegen, daß man diese Ansicht aufgreife, um das Buch aufs neue als


er es endlich, in das Schlafgemach einzudringen und erblickt hier den blutigen
Rumpf am Boden. Diese Nachricht verbreitet Entsetzen unter die Krieger; sie
verlieren allen Muth und fliehen. Ganz Israel wird nun aufgeboten, das
fliehende Heer zu vernichten, und nur nach großen Verlusten erreicht dasselbe
Damaskus. Die Bewohner Bctyluas plündern das Lager. Judith erhält das
Zelt des Olophernes mit allen Schätzen.

Judith singt dem Herrn einen schönen Siegesgesang und weiht ihm ihren
ganzen Beuteantheil. Drei Monate lang feiert das Volk. Judith zieht sich
in ihre Wittwcneinsamteit zurück, schlägt alle Anträge aus, schenkt der treuen
Magd die Freiheit und stirbt in Betylua im Hauses ihres Mannes, 103 Jahre
alt. Ganz Israel trauert um sie sieben Tage lang. So lange sie lebte und noch
lange Zeit später beunruhigte kein Feind das Volk.

Der Verfasser dieser Erzählung wollte wahrscheinlich von vorn herein seine
Leser von dem Gedanken abhalten, daß ihnen reine Geschichte vorläge. Nebukadnezar
als König der Assyrer und zwar zu einer Zeit, in der die Juden noch nicht
lange ihren Tempel wieder ^aufgebaut hatten und vom hohen Priester und
Synedrium (Gerufia), nicht von einem König, regiert wurden, das waren
Widersprüche gegen die Geschichte, die sich'jedem Juden, der nur oberflächlich
die heiligen Bücher kannte, von selbst aufdrängten, und die der Verfasser leicht
hätte vermeiden können, wen» er nur gewollt hätte. Man muß daher die
Kühnheit der Leute bewundern, welche trotz alledem aus Widersprüchen eine
Harmonie zusammenfügen und die Geschichtlichkeit des Buches aufrecht erhalten
wollten, Schon Luther hielt dasselbe für eine Dichtung;,und wir können uns der
überflüssigen Mühe entschlagen, dies des Weiteren nachzuweisen.

Dennoch hat das Buch einen geschichtlichen Hintergrund und zwar einen
stärkern als das Buch Esther. Dieser Hintergrund ist ein doppelter. Zuerst
schwebt nämlich dem Verfasser offenbar eine gewisse Zeit mit gewissen Ereignissen
vor, die er seiner Erzählung zu Grunde legt, sodann schreibt er aus den Ver¬
hältnissen seiner eignen Zeit und mit starker Beziehung auf dieselben. Die
erstere Zeit ist schwierig näher zu bestimmen; doch spricht vieles dafür, daß sie,
wie sich A. v. Gutschmid kürzlich ausgesprochen hat. in der Zeit des Artaxerxes
Ochus zu suchen ist. welcher König die Juden sehr stark bedrängt hat. und
unter dem ein Feldherr Olophernes siegreich kämpfte. Unter dem hohen Priester
Jojakim verstand der Verfasser warscheinlich den Reh. 12, 10 erwähnten, der
freilich geraume Zeit früher lebte. Dem König gab er den Namen des als
Zerstörers der heiligen Stadt schrecklichen und verabscheuten Chaldäerkönigs,
machte ihn aber zum König der Assyrer, um sogleich anzudeuten, daß das
Ganze nicht streng geschichtlich zu nehmen. Dafür, daß dem Verfasser diese
Zeit vorschwebte, ließe sich noch mehres sagen. Wir verwahren uns aber
gleich dagegen, daß man diese Ansicht aufgreife, um das Buch aufs neue als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/482>, abgerufen am 29.06.2024.