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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Phernes, wobei sie ihre Bewunderung der Schönheit des Weibes nicht stark
genug äußern können.

Vor dem Feldherrn setzt nun Judith auseinander, warum sie die Stadt
verlassen habe. Achivr habe Recht gehabt, wenn er behauptete, daß Israel nur
dann zu überwinden sei, wenn es gegen Gott frevle; das haben aber die Be¬
wohner von Betylua gethan, indem sie in der Noth gesetzlich verbotene Speisen
gegessen; daher müssen sie in des Feindes Hände fallen; sie wolle ihn denn
durch ganz Judäa als Sieger führen. Diese Rede sowie die ganze Erscheinung
der Judith gefällt dem Olophernes so sehr, daß er ihr große Dinge verspricht,
sogar, daß er wenn das alles geschehen, ihren Gott als den seinigen annehmen
wolle. Judith bittet sich darauf die Erlaubniß aus. blos von ihren mitgebrachten
Vorräthen essen zu dürfen, und entkräftet den Einwand, daß diese ja bald ver¬
zehrt sein würden, durch die eidliche Versicherung, daß. noch bevor dies geschehe,
Gott durch ihre Hand seinen Willen ausführen werde. Olophernes, der den
wahren Sinn dieser gegen ihn gerichteten Worte natürlich nicht versteht, erlaubt
ihr auf ihre Bitte ferner, ihre Gebete außerhalb des Lagers zu verrichten,
und giebt den Wachen den Befehl, sie ungehindert aus und eingehen
zu lassen.

Nachdem sie so drei Tage im Lager verweilt und allnächtlich außerhalb desselben
gebetet hat, befiehlt Olophernes seinem Eunuchen Bagoas, das schöne Weib
zu einem großen Gelage einzuladen, da ihn nach ihr gelüstet. Judiths Er¬
scheinung erfüllt sein Herz mit wilder Begierde. Bei dem Gastmahl genießt
Judith von ihren reinen Speisen und Getränken, Olophernes trinkt unmäßig
viel. Gegen Abend gehn die Gäste weg, nur Judith bleibt neben Olophernes.
der in der Trunkenheit eingeschlafen ist. Jetzt ist der entscheidende Augenblick.
Nach einem kurzen Gebet zieht sie dem Feinde sein Schwert von der Seite,
erzreift ihn bei den Haaren und haut ihm mit dem Ruf: "Stärke mich, Gott
Israels, an diesem Tage!" den Kopf ab. Darauf geht sie heraus, übergiebt
den Kopf der Magd, welche zu diesem Zweck mit ihrer Tasche bereit steht, und
sie verlassen ungehindert das Lager, da man meint, sie wollen nur nach ihrer
Gewohnheit draußen beten.

Die Stadtthore werden ihr geöffnet, und sie zeigt den Kopf des Feindes.
Alles ist freudig erregt. Sie heißt den Kopf auf die Mauerzinne hängen und
auf den Morgen einen Ausfall vorbereiten. Achior, den sie herbeirufen läßt,
fällt zuerst beim Anblick des blutigen Hauptes ohnmächtig nieder, dann aber
Preise er laut die Judith, und jetzt völlig von der Fürsorge Gottes für sein
Volk überzeugt, läßt er sich beschneiden und geht ganz zu Israel über.

Als am Morgen die Juden ausfallen, spotten erst die Feinde über dies
Beginnen. Bagoas, der da meint, der Feldherr schlafe bei der Judith, will ihn
auf das stürmische Begehren des Heeres aufwecken; da er nicht erscheint, wagt


Phernes, wobei sie ihre Bewunderung der Schönheit des Weibes nicht stark
genug äußern können.

Vor dem Feldherrn setzt nun Judith auseinander, warum sie die Stadt
verlassen habe. Achivr habe Recht gehabt, wenn er behauptete, daß Israel nur
dann zu überwinden sei, wenn es gegen Gott frevle; das haben aber die Be¬
wohner von Betylua gethan, indem sie in der Noth gesetzlich verbotene Speisen
gegessen; daher müssen sie in des Feindes Hände fallen; sie wolle ihn denn
durch ganz Judäa als Sieger führen. Diese Rede sowie die ganze Erscheinung
der Judith gefällt dem Olophernes so sehr, daß er ihr große Dinge verspricht,
sogar, daß er wenn das alles geschehen, ihren Gott als den seinigen annehmen
wolle. Judith bittet sich darauf die Erlaubniß aus. blos von ihren mitgebrachten
Vorräthen essen zu dürfen, und entkräftet den Einwand, daß diese ja bald ver¬
zehrt sein würden, durch die eidliche Versicherung, daß. noch bevor dies geschehe,
Gott durch ihre Hand seinen Willen ausführen werde. Olophernes, der den
wahren Sinn dieser gegen ihn gerichteten Worte natürlich nicht versteht, erlaubt
ihr auf ihre Bitte ferner, ihre Gebete außerhalb des Lagers zu verrichten,
und giebt den Wachen den Befehl, sie ungehindert aus und eingehen
zu lassen.

Nachdem sie so drei Tage im Lager verweilt und allnächtlich außerhalb desselben
gebetet hat, befiehlt Olophernes seinem Eunuchen Bagoas, das schöne Weib
zu einem großen Gelage einzuladen, da ihn nach ihr gelüstet. Judiths Er¬
scheinung erfüllt sein Herz mit wilder Begierde. Bei dem Gastmahl genießt
Judith von ihren reinen Speisen und Getränken, Olophernes trinkt unmäßig
viel. Gegen Abend gehn die Gäste weg, nur Judith bleibt neben Olophernes.
der in der Trunkenheit eingeschlafen ist. Jetzt ist der entscheidende Augenblick.
Nach einem kurzen Gebet zieht sie dem Feinde sein Schwert von der Seite,
erzreift ihn bei den Haaren und haut ihm mit dem Ruf: „Stärke mich, Gott
Israels, an diesem Tage!" den Kopf ab. Darauf geht sie heraus, übergiebt
den Kopf der Magd, welche zu diesem Zweck mit ihrer Tasche bereit steht, und
sie verlassen ungehindert das Lager, da man meint, sie wollen nur nach ihrer
Gewohnheit draußen beten.

Die Stadtthore werden ihr geöffnet, und sie zeigt den Kopf des Feindes.
Alles ist freudig erregt. Sie heißt den Kopf auf die Mauerzinne hängen und
auf den Morgen einen Ausfall vorbereiten. Achior, den sie herbeirufen läßt,
fällt zuerst beim Anblick des blutigen Hauptes ohnmächtig nieder, dann aber
Preise er laut die Judith, und jetzt völlig von der Fürsorge Gottes für sein
Volk überzeugt, läßt er sich beschneiden und geht ganz zu Israel über.

Als am Morgen die Juden ausfallen, spotten erst die Feinde über dies
Beginnen. Bagoas, der da meint, der Feldherr schlafe bei der Judith, will ihn
auf das stürmische Begehren des Heeres aufwecken; da er nicht erscheint, wagt


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[0481] Phernes, wobei sie ihre Bewunderung der Schönheit des Weibes nicht stark genug äußern können. Vor dem Feldherrn setzt nun Judith auseinander, warum sie die Stadt verlassen habe. Achivr habe Recht gehabt, wenn er behauptete, daß Israel nur dann zu überwinden sei, wenn es gegen Gott frevle; das haben aber die Be¬ wohner von Betylua gethan, indem sie in der Noth gesetzlich verbotene Speisen gegessen; daher müssen sie in des Feindes Hände fallen; sie wolle ihn denn durch ganz Judäa als Sieger führen. Diese Rede sowie die ganze Erscheinung der Judith gefällt dem Olophernes so sehr, daß er ihr große Dinge verspricht, sogar, daß er wenn das alles geschehen, ihren Gott als den seinigen annehmen wolle. Judith bittet sich darauf die Erlaubniß aus. blos von ihren mitgebrachten Vorräthen essen zu dürfen, und entkräftet den Einwand, daß diese ja bald ver¬ zehrt sein würden, durch die eidliche Versicherung, daß. noch bevor dies geschehe, Gott durch ihre Hand seinen Willen ausführen werde. Olophernes, der den wahren Sinn dieser gegen ihn gerichteten Worte natürlich nicht versteht, erlaubt ihr auf ihre Bitte ferner, ihre Gebete außerhalb des Lagers zu verrichten, und giebt den Wachen den Befehl, sie ungehindert aus und eingehen zu lassen. Nachdem sie so drei Tage im Lager verweilt und allnächtlich außerhalb desselben gebetet hat, befiehlt Olophernes seinem Eunuchen Bagoas, das schöne Weib zu einem großen Gelage einzuladen, da ihn nach ihr gelüstet. Judiths Er¬ scheinung erfüllt sein Herz mit wilder Begierde. Bei dem Gastmahl genießt Judith von ihren reinen Speisen und Getränken, Olophernes trinkt unmäßig viel. Gegen Abend gehn die Gäste weg, nur Judith bleibt neben Olophernes. der in der Trunkenheit eingeschlafen ist. Jetzt ist der entscheidende Augenblick. Nach einem kurzen Gebet zieht sie dem Feinde sein Schwert von der Seite, erzreift ihn bei den Haaren und haut ihm mit dem Ruf: „Stärke mich, Gott Israels, an diesem Tage!" den Kopf ab. Darauf geht sie heraus, übergiebt den Kopf der Magd, welche zu diesem Zweck mit ihrer Tasche bereit steht, und sie verlassen ungehindert das Lager, da man meint, sie wollen nur nach ihrer Gewohnheit draußen beten. Die Stadtthore werden ihr geöffnet, und sie zeigt den Kopf des Feindes. Alles ist freudig erregt. Sie heißt den Kopf auf die Mauerzinne hängen und auf den Morgen einen Ausfall vorbereiten. Achior, den sie herbeirufen läßt, fällt zuerst beim Anblick des blutigen Hauptes ohnmächtig nieder, dann aber Preise er laut die Judith, und jetzt völlig von der Fürsorge Gottes für sein Volk überzeugt, läßt er sich beschneiden und geht ganz zu Israel über. Als am Morgen die Juden ausfallen, spotten erst die Feinde über dies Beginnen. Bagoas, der da meint, der Feldherr schlafe bei der Judith, will ihn auf das stürmische Begehren des Heeres aufwecken; da er nicht erscheint, wagt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/481>, abgerufen am 29.06.2024.