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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Folter konnte schon an sich der Sachlage nach nicht die Rede sein, denn es
handelte sich ja nicht um irgendein erforderliches Geständnis;, wofür allein an
etwaige Tortur zu denken wäre. Galileis Ankläger war ja sein vorliegendes
Buch, und die Verhandlung, die in Rom persönlich mit ihm zu führen war,
drehte sich nur um die Frage, ob er sich über die anscheinend ihn gravirenden
Aeußerungen des Buches in irgendeiner die Schuld mildernden Weise erklären
könne. Wie hätte dabei die Folter in Anwendung kommen können, wo an
keine verborgene Schuld gedacht wurde."

Galilei wurde nun, wie es scheint, in einen der gewöhnlichen Jnquisitions-
kerker geworfen. Denn einestheils steht es fest, daß er im Palaste zurück¬
gehalten wurde, anderntheils geht aus einer Stelle eines Briefes Galileis vom
28. Juli 1634 hervor, daß er einmal eingekerkert war, und das kann nur bei
dieser Gelegenheit gewesen sein. Jene Briefstelle lautet nämlich "daß ich die
Bitte nach der Stadt zurückkehren zu dürfen nicht wiederholen möge, sonst
werde man mich aufs neue in den wirklichen Kerker des Sant Uffizio ein¬
sperren" (Reumont a. a. O. S. 409). Am 22. Juni morgens wurde Galilei
vor die Versammlung der Cardinäle und die Prälaten der heiligen Kongrega¬
tion gebracht. Sein Urtheil wurde ihm verlesen. Er mußte seine falschen,
den Lehren der Schrift zuwiderlaufenden Meinungen abschwören und einer
Gefängnißstrafe sich unterwerfen, deren Dauer von dem Willen des Papstes
abhängig gemacht wurde. Nach demselben trat er diese Gefängnißstrafe in
mildester Form an, denn zum Orte seiner Haft wurde ihm von Papst die
eigene Villa des Niccolini auf Trinita dei Monti bestimmt.

Wir haben oben auf einen Widerspruch aufmerksam gemacht, welcher
zwischen den Proceßacten und den Thatsachen stattfindet. Hauptsächlich darin
tritt er hervor, daß im Verhör vom 21. Juni mit der Folter gedroht wurde
(daß von derselben keine Anwendung gemacht wurde, werden wir später sehen)
und daß doch vorher kein Beschluß sogenannter "Territion" vorhanden ist.
Sollte hier nicht eine Lücke in den Acten sich finden? Ferner ist das Urtheil
nur von sieben Richtern unterschrieben, drei Richter, unter ihnen der Neffe des
Papstes, Francesco Barberini, haben nicht unterschrieben, dissentirten folglich.
Auch davon steht nichts Directes in den Acten, und doch dürften Verhandlungen
darüber geführt worden sein. Spricht nicht auch dieses für eine Lücke in den
Acten? Endlich behauptet Delambre. welcher die Acten etwa 1798 in Paris
in Händen hatte, sie seien lückenhaft, und Venturi (II, 197) spricht ihm dieses
nicht blos nach, sondern erklärt bestimmt, die Lücke müsse vor dem Verhöre
vom 21. Juni vorhanden sein. So geneigt wir nach Obigem sind, Venturis
Behauptung vollständig beizustimmen, so macht uns doch Marino Marini-wie¬
der stutzig, welcher mehrfach behauptet, die Acten seien nicht lückenhaft. Leider
ist eine Prüfung durch den Augenschein nicht möglich, allein eine Vergleich""".


Folter konnte schon an sich der Sachlage nach nicht die Rede sein, denn es
handelte sich ja nicht um irgendein erforderliches Geständnis;, wofür allein an
etwaige Tortur zu denken wäre. Galileis Ankläger war ja sein vorliegendes
Buch, und die Verhandlung, die in Rom persönlich mit ihm zu führen war,
drehte sich nur um die Frage, ob er sich über die anscheinend ihn gravirenden
Aeußerungen des Buches in irgendeiner die Schuld mildernden Weise erklären
könne. Wie hätte dabei die Folter in Anwendung kommen können, wo an
keine verborgene Schuld gedacht wurde."

Galilei wurde nun, wie es scheint, in einen der gewöhnlichen Jnquisitions-
kerker geworfen. Denn einestheils steht es fest, daß er im Palaste zurück¬
gehalten wurde, anderntheils geht aus einer Stelle eines Briefes Galileis vom
28. Juli 1634 hervor, daß er einmal eingekerkert war, und das kann nur bei
dieser Gelegenheit gewesen sein. Jene Briefstelle lautet nämlich „daß ich die
Bitte nach der Stadt zurückkehren zu dürfen nicht wiederholen möge, sonst
werde man mich aufs neue in den wirklichen Kerker des Sant Uffizio ein¬
sperren" (Reumont a. a. O. S. 409). Am 22. Juni morgens wurde Galilei
vor die Versammlung der Cardinäle und die Prälaten der heiligen Kongrega¬
tion gebracht. Sein Urtheil wurde ihm verlesen. Er mußte seine falschen,
den Lehren der Schrift zuwiderlaufenden Meinungen abschwören und einer
Gefängnißstrafe sich unterwerfen, deren Dauer von dem Willen des Papstes
abhängig gemacht wurde. Nach demselben trat er diese Gefängnißstrafe in
mildester Form an, denn zum Orte seiner Haft wurde ihm von Papst die
eigene Villa des Niccolini auf Trinita dei Monti bestimmt.

Wir haben oben auf einen Widerspruch aufmerksam gemacht, welcher
zwischen den Proceßacten und den Thatsachen stattfindet. Hauptsächlich darin
tritt er hervor, daß im Verhör vom 21. Juni mit der Folter gedroht wurde
(daß von derselben keine Anwendung gemacht wurde, werden wir später sehen)
und daß doch vorher kein Beschluß sogenannter „Territion" vorhanden ist.
Sollte hier nicht eine Lücke in den Acten sich finden? Ferner ist das Urtheil
nur von sieben Richtern unterschrieben, drei Richter, unter ihnen der Neffe des
Papstes, Francesco Barberini, haben nicht unterschrieben, dissentirten folglich.
Auch davon steht nichts Directes in den Acten, und doch dürften Verhandlungen
darüber geführt worden sein. Spricht nicht auch dieses für eine Lücke in den
Acten? Endlich behauptet Delambre. welcher die Acten etwa 1798 in Paris
in Händen hatte, sie seien lückenhaft, und Venturi (II, 197) spricht ihm dieses
nicht blos nach, sondern erklärt bestimmt, die Lücke müsse vor dem Verhöre
vom 21. Juni vorhanden sein. So geneigt wir nach Obigem sind, Venturis
Behauptung vollständig beizustimmen, so macht uns doch Marino Marini-wie¬
der stutzig, welcher mehrfach behauptet, die Acten seien nicht lückenhaft. Leider
ist eine Prüfung durch den Augenschein nicht möglich, allein eine Vergleich»««.


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[0460] Folter konnte schon an sich der Sachlage nach nicht die Rede sein, denn es handelte sich ja nicht um irgendein erforderliches Geständnis;, wofür allein an etwaige Tortur zu denken wäre. Galileis Ankläger war ja sein vorliegendes Buch, und die Verhandlung, die in Rom persönlich mit ihm zu führen war, drehte sich nur um die Frage, ob er sich über die anscheinend ihn gravirenden Aeußerungen des Buches in irgendeiner die Schuld mildernden Weise erklären könne. Wie hätte dabei die Folter in Anwendung kommen können, wo an keine verborgene Schuld gedacht wurde." Galilei wurde nun, wie es scheint, in einen der gewöhnlichen Jnquisitions- kerker geworfen. Denn einestheils steht es fest, daß er im Palaste zurück¬ gehalten wurde, anderntheils geht aus einer Stelle eines Briefes Galileis vom 28. Juli 1634 hervor, daß er einmal eingekerkert war, und das kann nur bei dieser Gelegenheit gewesen sein. Jene Briefstelle lautet nämlich „daß ich die Bitte nach der Stadt zurückkehren zu dürfen nicht wiederholen möge, sonst werde man mich aufs neue in den wirklichen Kerker des Sant Uffizio ein¬ sperren" (Reumont a. a. O. S. 409). Am 22. Juni morgens wurde Galilei vor die Versammlung der Cardinäle und die Prälaten der heiligen Kongrega¬ tion gebracht. Sein Urtheil wurde ihm verlesen. Er mußte seine falschen, den Lehren der Schrift zuwiderlaufenden Meinungen abschwören und einer Gefängnißstrafe sich unterwerfen, deren Dauer von dem Willen des Papstes abhängig gemacht wurde. Nach demselben trat er diese Gefängnißstrafe in mildester Form an, denn zum Orte seiner Haft wurde ihm von Papst die eigene Villa des Niccolini auf Trinita dei Monti bestimmt. Wir haben oben auf einen Widerspruch aufmerksam gemacht, welcher zwischen den Proceßacten und den Thatsachen stattfindet. Hauptsächlich darin tritt er hervor, daß im Verhör vom 21. Juni mit der Folter gedroht wurde (daß von derselben keine Anwendung gemacht wurde, werden wir später sehen) und daß doch vorher kein Beschluß sogenannter „Territion" vorhanden ist. Sollte hier nicht eine Lücke in den Acten sich finden? Ferner ist das Urtheil nur von sieben Richtern unterschrieben, drei Richter, unter ihnen der Neffe des Papstes, Francesco Barberini, haben nicht unterschrieben, dissentirten folglich. Auch davon steht nichts Directes in den Acten, und doch dürften Verhandlungen darüber geführt worden sein. Spricht nicht auch dieses für eine Lücke in den Acten? Endlich behauptet Delambre. welcher die Acten etwa 1798 in Paris in Händen hatte, sie seien lückenhaft, und Venturi (II, 197) spricht ihm dieses nicht blos nach, sondern erklärt bestimmt, die Lücke müsse vor dem Verhöre vom 21. Juni vorhanden sein. So geneigt wir nach Obigem sind, Venturis Behauptung vollständig beizustimmen, so macht uns doch Marino Marini-wie¬ der stutzig, welcher mehrfach behauptet, die Acten seien nicht lückenhaft. Leider ist eine Prüfung durch den Augenschein nicht möglich, allein eine Vergleich»««.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/460>, abgerufen am 28.09.2024.