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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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In dieser Stimmung wurde Galilei am 12, April vorgeführt. Wir be¬
greifen es jetzt, daß er, um sich zu entschuldigen, sogar zu der Lüge sich er¬
niedrigte, er habe das Verbot von 1616 nicht übertreten, weil er nicht für,
sondern gegen die Gründe des Kopernikus geschrieben habe. Wir begreifen
es. daß er im zweiten Verhöre am 30. April, bis zu welcher Zeit er im Jn-
quisitionspalaste verblieb, seine erste Aussage nur dahin änderte, daß er ein¬
sehe, gefehlt zu haben, daß er um Erlaubniß bat. das am Ende des Buches
in Aussicht genommene Schlußgespräch noch schreiben zu dürfen, wo er alsdann
die falsche Meinung gründlich widerlegen werde. Wir begreifen diese Hand¬
lungsweise, so kleinlich, so unwürdig des großen Galilei sie erscheint; denn Galilei
war eben doch ein 70jähriger gebrechlicher Greis; er kannte seine Feinde, er wußte,
wäre es auch nur aus dem Tode des Giordano Bruno gewesen, wessen sie fähig
waren; und der einzige Mann, der offen zu ihm hielt, Niccolini selbst, hatte
ihm die Unterwerfung angerathen. Galilei wurde nun in das Gesandtschafts¬
gebäude zurückgebracht und nur am 10. Mai noch eine kurze Weile verhört
und zur Einreichung seiner etwaigen Vertheidigung aufgefordert, welche er
indessen schon fertig bei sich hatte und übergab (M. 132). Die Beurtheilung
dieser Schrift besorgte dann Pater Jachöfer und Pater Zaccaria Pasqualipo
(M. 65).

So weit stimmen die Thatsachen, welche aus den Berichten Niccolinis zu
entnehmen sind, vollständig mit den Auszügen aus den Proceßaeten überein,
wie sie in dem Buche von Marino Marini sich finden. Jetzt aber tritt ein
offenbarer Widerspruch hervor, der nicht genug betont werden kann. Am 18. Juni
bittet Niccolini um Beschleunigung der Verhandlungen und erfährt von dem Papste,
die Sentenz sei bereits gefällt. Das Buch und die darin ausgesprochenen
Irrlehren würden verboten. Galilei wegen Ungehorsam gegen das Decret von
1616 zu Gefängnißstrafe verurtheilt werden. Ueber eine milde Ausführung
des Urtheils könne man später noch verhandeln, vorläufig sollte aber Niccolini
reinen Mund halten, jedenfalls aber an Galilei nur die erste Hälfte des zu er¬
wartenden Urtheils mittheilen, sowie daß es ihm in Kurzem eröffnet werden würde.

Die Proceßacten wissen nun freilich von einer am 16. Juni gefällten
Sentenz (M. 61), allein diese geht nur dahin, Galilei solle über die Inten¬
tion, d. h. über die Absicht, welche er mit seinem Buche gehabt habe, befragt
werden. Am 21. Juni ward er dazu vorgeführt. Es wird ihm unter anderm
die Drohung vorgehalten, man werde zur Folter schreiten, wenn er nicht die
Wahrheit sage bezüglich dieser Absicht (M. 62: cisvemstur contra ipsum aä
remsäiA Mris se taeti opportune; M. 69: se si äieto quoä äicat veritatem
alias äeveriivtur s,ä torturam). Der Unglückliche ruft verzweifelnd aus: "Ich
bin in Euren Händen (M. 62)! Macht mit mir was Ihr wollt!"

Ob wohl H. Vosen dieses Verhör kannte, als er S. 24 schrieb: "Von


Grenzboten II. 18KS. 53

In dieser Stimmung wurde Galilei am 12, April vorgeführt. Wir be¬
greifen es jetzt, daß er, um sich zu entschuldigen, sogar zu der Lüge sich er¬
niedrigte, er habe das Verbot von 1616 nicht übertreten, weil er nicht für,
sondern gegen die Gründe des Kopernikus geschrieben habe. Wir begreifen
es. daß er im zweiten Verhöre am 30. April, bis zu welcher Zeit er im Jn-
quisitionspalaste verblieb, seine erste Aussage nur dahin änderte, daß er ein¬
sehe, gefehlt zu haben, daß er um Erlaubniß bat. das am Ende des Buches
in Aussicht genommene Schlußgespräch noch schreiben zu dürfen, wo er alsdann
die falsche Meinung gründlich widerlegen werde. Wir begreifen diese Hand¬
lungsweise, so kleinlich, so unwürdig des großen Galilei sie erscheint; denn Galilei
war eben doch ein 70jähriger gebrechlicher Greis; er kannte seine Feinde, er wußte,
wäre es auch nur aus dem Tode des Giordano Bruno gewesen, wessen sie fähig
waren; und der einzige Mann, der offen zu ihm hielt, Niccolini selbst, hatte
ihm die Unterwerfung angerathen. Galilei wurde nun in das Gesandtschafts¬
gebäude zurückgebracht und nur am 10. Mai noch eine kurze Weile verhört
und zur Einreichung seiner etwaigen Vertheidigung aufgefordert, welche er
indessen schon fertig bei sich hatte und übergab (M. 132). Die Beurtheilung
dieser Schrift besorgte dann Pater Jachöfer und Pater Zaccaria Pasqualipo
(M. 65).

So weit stimmen die Thatsachen, welche aus den Berichten Niccolinis zu
entnehmen sind, vollständig mit den Auszügen aus den Proceßaeten überein,
wie sie in dem Buche von Marino Marini sich finden. Jetzt aber tritt ein
offenbarer Widerspruch hervor, der nicht genug betont werden kann. Am 18. Juni
bittet Niccolini um Beschleunigung der Verhandlungen und erfährt von dem Papste,
die Sentenz sei bereits gefällt. Das Buch und die darin ausgesprochenen
Irrlehren würden verboten. Galilei wegen Ungehorsam gegen das Decret von
1616 zu Gefängnißstrafe verurtheilt werden. Ueber eine milde Ausführung
des Urtheils könne man später noch verhandeln, vorläufig sollte aber Niccolini
reinen Mund halten, jedenfalls aber an Galilei nur die erste Hälfte des zu er¬
wartenden Urtheils mittheilen, sowie daß es ihm in Kurzem eröffnet werden würde.

Die Proceßacten wissen nun freilich von einer am 16. Juni gefällten
Sentenz (M. 61), allein diese geht nur dahin, Galilei solle über die Inten¬
tion, d. h. über die Absicht, welche er mit seinem Buche gehabt habe, befragt
werden. Am 21. Juni ward er dazu vorgeführt. Es wird ihm unter anderm
die Drohung vorgehalten, man werde zur Folter schreiten, wenn er nicht die
Wahrheit sage bezüglich dieser Absicht (M. 62: cisvemstur contra ipsum aä
remsäiA Mris se taeti opportune; M. 69: se si äieto quoä äicat veritatem
alias äeveriivtur s,ä torturam). Der Unglückliche ruft verzweifelnd aus: „Ich
bin in Euren Händen (M. 62)! Macht mit mir was Ihr wollt!"

Ob wohl H. Vosen dieses Verhör kannte, als er S. 24 schrieb: „Von


Grenzboten II. 18KS. 53
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[0459] In dieser Stimmung wurde Galilei am 12, April vorgeführt. Wir be¬ greifen es jetzt, daß er, um sich zu entschuldigen, sogar zu der Lüge sich er¬ niedrigte, er habe das Verbot von 1616 nicht übertreten, weil er nicht für, sondern gegen die Gründe des Kopernikus geschrieben habe. Wir begreifen es. daß er im zweiten Verhöre am 30. April, bis zu welcher Zeit er im Jn- quisitionspalaste verblieb, seine erste Aussage nur dahin änderte, daß er ein¬ sehe, gefehlt zu haben, daß er um Erlaubniß bat. das am Ende des Buches in Aussicht genommene Schlußgespräch noch schreiben zu dürfen, wo er alsdann die falsche Meinung gründlich widerlegen werde. Wir begreifen diese Hand¬ lungsweise, so kleinlich, so unwürdig des großen Galilei sie erscheint; denn Galilei war eben doch ein 70jähriger gebrechlicher Greis; er kannte seine Feinde, er wußte, wäre es auch nur aus dem Tode des Giordano Bruno gewesen, wessen sie fähig waren; und der einzige Mann, der offen zu ihm hielt, Niccolini selbst, hatte ihm die Unterwerfung angerathen. Galilei wurde nun in das Gesandtschafts¬ gebäude zurückgebracht und nur am 10. Mai noch eine kurze Weile verhört und zur Einreichung seiner etwaigen Vertheidigung aufgefordert, welche er indessen schon fertig bei sich hatte und übergab (M. 132). Die Beurtheilung dieser Schrift besorgte dann Pater Jachöfer und Pater Zaccaria Pasqualipo (M. 65). So weit stimmen die Thatsachen, welche aus den Berichten Niccolinis zu entnehmen sind, vollständig mit den Auszügen aus den Proceßaeten überein, wie sie in dem Buche von Marino Marini sich finden. Jetzt aber tritt ein offenbarer Widerspruch hervor, der nicht genug betont werden kann. Am 18. Juni bittet Niccolini um Beschleunigung der Verhandlungen und erfährt von dem Papste, die Sentenz sei bereits gefällt. Das Buch und die darin ausgesprochenen Irrlehren würden verboten. Galilei wegen Ungehorsam gegen das Decret von 1616 zu Gefängnißstrafe verurtheilt werden. Ueber eine milde Ausführung des Urtheils könne man später noch verhandeln, vorläufig sollte aber Niccolini reinen Mund halten, jedenfalls aber an Galilei nur die erste Hälfte des zu er¬ wartenden Urtheils mittheilen, sowie daß es ihm in Kurzem eröffnet werden würde. Die Proceßacten wissen nun freilich von einer am 16. Juni gefällten Sentenz (M. 61), allein diese geht nur dahin, Galilei solle über die Inten¬ tion, d. h. über die Absicht, welche er mit seinem Buche gehabt habe, befragt werden. Am 21. Juni ward er dazu vorgeführt. Es wird ihm unter anderm die Drohung vorgehalten, man werde zur Folter schreiten, wenn er nicht die Wahrheit sage bezüglich dieser Absicht (M. 62: cisvemstur contra ipsum aä remsäiA Mris se taeti opportune; M. 69: se si äieto quoä äicat veritatem alias äeveriivtur s,ä torturam). Der Unglückliche ruft verzweifelnd aus: „Ich bin in Euren Händen (M. 62)! Macht mit mir was Ihr wollt!" Ob wohl H. Vosen dieses Verhör kannte, als er S. 24 schrieb: „Von Grenzboten II. 18KS. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/459>, abgerufen am 28.09.2024.