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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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nordi, Lehrer der Philosophie in Pisa, habe sogar beim Papste die Denun¬
ciation angebracht, der Verfasser des Dialoges habe unter der Person des dort
auftretenden und lächerlich gemachten Simplicius den Papst selbst wegen seiner
Einfalt in solchen Fragen zu verhöhnen beabsichtigt. Urban der Achte dagegen
habe so wohlwollende Gesinnungen gegen Galilei gehabt, daß er denselben
von dieser "Intrigue seiner Feinde in Kenntniß setzte". Es ist sehr zu be¬
dauern, daß H. Vosen nicht seinen Gewährsmann für diese letzte Sage an¬
führt, die uns wenigstens in seiner Brochüre zum allerersten Male begegnete.

Das Verfahren begann mit einem Decrete vom 24. August 1632. in
welchem der Verkauf der Gespräche bis auf weiters verboten wurde, sämmtliche
noch vorräthige Exemplare sollten nach Rom geschickt werden. Einen Monat
später erfolgte mit dem Datum des 23. September auf besondere Verordnung
des Papstes (M, 120) eine allgemein gehaltene Vorladung an Galilei, er solle
im Laufe des Oktobers sich vor dem Pater Commissarius des Santo Ofsizio in
Rom stellen, wo er schon erfahren werde, was er zu thun habe. Galilei ver¬
sprach zu kommen und kam nicht. Einer erneuerten Vorladung vom 13. November
wich er in gleicher Weise aus, indem er Krankheit vorschützte. Er war zwar
gichtleidend, hatte auch eben erst ein nicht unbedeutendes Augenübel überstanden,
allein es ist doch nicht unwahrscheinlich, daß neben dem körperlichen Befinden
auch eine gewisse moralische Unbehaglichkeit ihn befiel bei Erhaltung einer Vor¬
ladung vor ein Tribunal, dem Niemand ohne Zaghaftigkeit gegenübertrat.
Ein dritter Befehl vom 11. Januar 1633 konnte nicht länger umgangen werden.
Galilei reiste ab, brachte 25 Tage auf der Reise zu und erhielt trotz aller dieser
Verzögerungen bei der Ankunft in Rom die Erlaubniß in dem toskanischen Ge¬
sandtschaftshotel zu wohnen statt in den Gefängnissen der Inquisition, eine
neue, ganz außergewöhnliche Vergünstigung, welche der Papst selbst ihm ge¬
währte (M. 124), ein Beweis, daß hier schon jener geheime Schutz sich bemerk¬
lich macht, durch welchen Urban der Achte unschädlich zu machen suchte, was er in
einem gereizten Augenblicke selbst gegen Galilei angeordnet hatte. Urban der Achte
blieb sich in diesem Schutze gleich während der ganzen Dauer des Processes.
So versprach er am 13. März dem Gesandten Niccolini, Galilei solle, wenn
seine Gegenwart im Jnquisitionspalaste nöthig erscheine, eine besondere Woh¬
nung, kein Gefängniß angewiesen erhalten, und auch diese Zusage wurde pünkt¬
lich erfüllt. Galilei bereitete sich inzwischen auf sein Verhör vor. Seine Ab¬
sicht war, offen für die Wahrheit dessen einzutreten, was er geschrieben hatte.
Noch am 8. April äußerte er sich in dieser Weise gegen Niccolini. Aber dieser
ermahnte ihn, wie wir aus seinen vorhandenen und mehrfach gedruckten Ge¬
sandtschaftsberichten nach Florenz wissen, sich zu unterwerfen. "Er ist darüber,"
schreibt Niccolini, "in die tiefste Betrübniß verfallen, und von gestern bis heute
dermaßen zusammengesunken, daß ich für sein Leben äußerst besorgt bin."


nordi, Lehrer der Philosophie in Pisa, habe sogar beim Papste die Denun¬
ciation angebracht, der Verfasser des Dialoges habe unter der Person des dort
auftretenden und lächerlich gemachten Simplicius den Papst selbst wegen seiner
Einfalt in solchen Fragen zu verhöhnen beabsichtigt. Urban der Achte dagegen
habe so wohlwollende Gesinnungen gegen Galilei gehabt, daß er denselben
von dieser „Intrigue seiner Feinde in Kenntniß setzte". Es ist sehr zu be¬
dauern, daß H. Vosen nicht seinen Gewährsmann für diese letzte Sage an¬
führt, die uns wenigstens in seiner Brochüre zum allerersten Male begegnete.

Das Verfahren begann mit einem Decrete vom 24. August 1632. in
welchem der Verkauf der Gespräche bis auf weiters verboten wurde, sämmtliche
noch vorräthige Exemplare sollten nach Rom geschickt werden. Einen Monat
später erfolgte mit dem Datum des 23. September auf besondere Verordnung
des Papstes (M, 120) eine allgemein gehaltene Vorladung an Galilei, er solle
im Laufe des Oktobers sich vor dem Pater Commissarius des Santo Ofsizio in
Rom stellen, wo er schon erfahren werde, was er zu thun habe. Galilei ver¬
sprach zu kommen und kam nicht. Einer erneuerten Vorladung vom 13. November
wich er in gleicher Weise aus, indem er Krankheit vorschützte. Er war zwar
gichtleidend, hatte auch eben erst ein nicht unbedeutendes Augenübel überstanden,
allein es ist doch nicht unwahrscheinlich, daß neben dem körperlichen Befinden
auch eine gewisse moralische Unbehaglichkeit ihn befiel bei Erhaltung einer Vor¬
ladung vor ein Tribunal, dem Niemand ohne Zaghaftigkeit gegenübertrat.
Ein dritter Befehl vom 11. Januar 1633 konnte nicht länger umgangen werden.
Galilei reiste ab, brachte 25 Tage auf der Reise zu und erhielt trotz aller dieser
Verzögerungen bei der Ankunft in Rom die Erlaubniß in dem toskanischen Ge¬
sandtschaftshotel zu wohnen statt in den Gefängnissen der Inquisition, eine
neue, ganz außergewöhnliche Vergünstigung, welche der Papst selbst ihm ge¬
währte (M. 124), ein Beweis, daß hier schon jener geheime Schutz sich bemerk¬
lich macht, durch welchen Urban der Achte unschädlich zu machen suchte, was er in
einem gereizten Augenblicke selbst gegen Galilei angeordnet hatte. Urban der Achte
blieb sich in diesem Schutze gleich während der ganzen Dauer des Processes.
So versprach er am 13. März dem Gesandten Niccolini, Galilei solle, wenn
seine Gegenwart im Jnquisitionspalaste nöthig erscheine, eine besondere Woh¬
nung, kein Gefängniß angewiesen erhalten, und auch diese Zusage wurde pünkt¬
lich erfüllt. Galilei bereitete sich inzwischen auf sein Verhör vor. Seine Ab¬
sicht war, offen für die Wahrheit dessen einzutreten, was er geschrieben hatte.
Noch am 8. April äußerte er sich in dieser Weise gegen Niccolini. Aber dieser
ermahnte ihn, wie wir aus seinen vorhandenen und mehrfach gedruckten Ge¬
sandtschaftsberichten nach Florenz wissen, sich zu unterwerfen. „Er ist darüber,"
schreibt Niccolini, „in die tiefste Betrübniß verfallen, und von gestern bis heute
dermaßen zusammengesunken, daß ich für sein Leben äußerst besorgt bin."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/458>, abgerufen am 29.06.2024.