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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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war denn nun der wahre Grund des Processes, oder, um deutlicher zu reden,
weshalb gab jett Urban der Achte die früher verweigerte Genehmigung zur
Einleitung des Verfahrens? Die Antwort geht dahin, daß es den Feinden
Galileis gelungen war, dem Papst die Meinung beizubringen, als habe Galilei
ihn selbst in der Person des Simplicius verspottet. Simplicius führt nämlich
einen Grund gegen das kopernikanische System an, den er aus dem Munde
einer gelehrten, hochgestellten Persönlichkeit vernommen haben will. (M. 107.)
Es-sei Gott, dem Allweisen und Allmächtigen, leicht gewesen, seine Zwecke auf
die verschiedensten Arten zu erreichen, und somit erscheine es als ein Zweifel
an der Allmacht, wenn man behaupten wolle, nur in einer bestimmten Weise
könne dieses oder jenes erzielt werden, wenn man glaube mit mathematischen
Begründungen dieser Behauptung auszuweichen.

Es ist nun keine Frage, daß dieser Grund allerdings eines Tages in einem
Privatgespräch von dem damaligen Maffev Barbarini gegen Galilei geltend ge¬
macht worden war. Man kann auch zugeben daß Urban der Achte Aerger darüber
empfinden durfte, daß seine vertraulichen Aeußerungen so an die Oeffentlichkeit
gezogen wurden. Allein der Vorwurf ist sicherlich unberechtigt, als ob Sim¬
plicius die Karrikatur des Papstes selbst sein sollte. Wie leicht wäre dieser
Vorwurf schon durch die eine Gegenbemerkung zu entkräften gewesen, daß
Simplicius jene Rede nicht als seine eigenen Gedanken hält, sondern als Mit¬
theilung von hoher Stelle; daß in der That dieser Gegengrund, so sophistisch
er unseren Ohren klingen mag. fast das einzige Vernünftige ist. was Simplicius
ausspricht. Freilich gab es, als die Verläumdung zuerst dies Gift in Urbans
Ohr träufelte, keine Freunde Galileis in der unmittelbaren Nähe des Papstes,
welche Gegenbemerkungen gemacht hätten. Die Jesuiten hatten den geistvollen,
kenntnißreichen, aber jähzornigen Mann zu isoliren gewußt, bevor sie das Reiz¬
mittel anwendeten, sie hatten vielleicht damit begonnen, Galilei als Feind der
Jesuiten darzustellen, um daran anzuknüpfen, wie Urban der Achte doch auch ein
Zögling ihres Ordens sei und deßhalb sehr hämisch verspottet werde. Nachdem
es einmal gewirkt hatte, konnte Urban der Achte zwar in Hinblick auf die alte
Freundschaft und Achtung seinen Zorn niederkämpfen Und, so weit es möglich
war. nach Einleitung des Proceßverfahrens noch seine Hand schützend über
Galilei halten; allein das Gift hatte doch gewirkt, der Proceß hatte begonnen
und mußte bis zu gewissem Grade seinen Lauf haben. Der Papst endlich ließ
sich nie vollständig überzeugen, daß Galilei ihn nicht verspottet habe; das geht
mit aller Bestimmtheit aus Unterredungen hervor, welche er noch nach Ablauf
des Processes sowohl mit dem toskanischen als mit dem französischen Gesandten
führte. Auch hier dürfte es nicht uninteressant sein zu vergleichen, wie diese
Dinge in der Phantasie des H. Vosen sich abspiegeln. Dort heißt es (S. 21):
"Man erzählte später, einer der heftigsten Feinde Galileis, Scipione Chiara


war denn nun der wahre Grund des Processes, oder, um deutlicher zu reden,
weshalb gab jett Urban der Achte die früher verweigerte Genehmigung zur
Einleitung des Verfahrens? Die Antwort geht dahin, daß es den Feinden
Galileis gelungen war, dem Papst die Meinung beizubringen, als habe Galilei
ihn selbst in der Person des Simplicius verspottet. Simplicius führt nämlich
einen Grund gegen das kopernikanische System an, den er aus dem Munde
einer gelehrten, hochgestellten Persönlichkeit vernommen haben will. (M. 107.)
Es-sei Gott, dem Allweisen und Allmächtigen, leicht gewesen, seine Zwecke auf
die verschiedensten Arten zu erreichen, und somit erscheine es als ein Zweifel
an der Allmacht, wenn man behaupten wolle, nur in einer bestimmten Weise
könne dieses oder jenes erzielt werden, wenn man glaube mit mathematischen
Begründungen dieser Behauptung auszuweichen.

Es ist nun keine Frage, daß dieser Grund allerdings eines Tages in einem
Privatgespräch von dem damaligen Maffev Barbarini gegen Galilei geltend ge¬
macht worden war. Man kann auch zugeben daß Urban der Achte Aerger darüber
empfinden durfte, daß seine vertraulichen Aeußerungen so an die Oeffentlichkeit
gezogen wurden. Allein der Vorwurf ist sicherlich unberechtigt, als ob Sim¬
plicius die Karrikatur des Papstes selbst sein sollte. Wie leicht wäre dieser
Vorwurf schon durch die eine Gegenbemerkung zu entkräften gewesen, daß
Simplicius jene Rede nicht als seine eigenen Gedanken hält, sondern als Mit¬
theilung von hoher Stelle; daß in der That dieser Gegengrund, so sophistisch
er unseren Ohren klingen mag. fast das einzige Vernünftige ist. was Simplicius
ausspricht. Freilich gab es, als die Verläumdung zuerst dies Gift in Urbans
Ohr träufelte, keine Freunde Galileis in der unmittelbaren Nähe des Papstes,
welche Gegenbemerkungen gemacht hätten. Die Jesuiten hatten den geistvollen,
kenntnißreichen, aber jähzornigen Mann zu isoliren gewußt, bevor sie das Reiz¬
mittel anwendeten, sie hatten vielleicht damit begonnen, Galilei als Feind der
Jesuiten darzustellen, um daran anzuknüpfen, wie Urban der Achte doch auch ein
Zögling ihres Ordens sei und deßhalb sehr hämisch verspottet werde. Nachdem
es einmal gewirkt hatte, konnte Urban der Achte zwar in Hinblick auf die alte
Freundschaft und Achtung seinen Zorn niederkämpfen Und, so weit es möglich
war. nach Einleitung des Proceßverfahrens noch seine Hand schützend über
Galilei halten; allein das Gift hatte doch gewirkt, der Proceß hatte begonnen
und mußte bis zu gewissem Grade seinen Lauf haben. Der Papst endlich ließ
sich nie vollständig überzeugen, daß Galilei ihn nicht verspottet habe; das geht
mit aller Bestimmtheit aus Unterredungen hervor, welche er noch nach Ablauf
des Processes sowohl mit dem toskanischen als mit dem französischen Gesandten
führte. Auch hier dürfte es nicht uninteressant sein zu vergleichen, wie diese
Dinge in der Phantasie des H. Vosen sich abspiegeln. Dort heißt es (S. 21):
»Man erzählte später, einer der heftigsten Feinde Galileis, Scipione Chiara


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/457>, abgerufen am 29.06.2024.