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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Gelegenheit sich bieten würde, den Streit wieder aufzunehmen. Da wurde
Maffeo Barberini nach dem Tode Pauls des Fünften als Urban der Achte zum
Papste gewählt. Galilei eilte nach Rom, um dem langjährigen Freunde zu
seiner Erhöhung Glück zu wünschen, und bei dieser Gelegenheit erschien eine
Streitschrift des Galilei, it LaMÄtore, die Goldwage genannt, von der
Akademie dei Lincei selbst herausgegeben und dem Papste gewidmet. Ueber
die wissenschaftliche Veranlassung und über den Erfolg dieser Schrift können
wir H. Vosen reden lassen (S. 20): "Galilei hatte infolge der Erscheinung
dreier Kometen (1618) seinen Freunden Betrachtungen über die Natur und
Eigenthümlichkeit dieser Himmelskörper mitgetheilt. Sein Schüler Mario Gui-
ducci fand sich durch den Stoff dieser Mittheilungen später zur Abfassung einer
Schrift über diesen Gegenstand veranlaßt, in welcher er den Jesuiten Grassi in
Rom scharf beurtheilte. Da der Beleidigte irrthümlich den Galilei selbst für
den Verfasser dieser Schrift hielt, so veranlaßte dieser Irrthum ihn zu Angriffen
gegen den ohnehin den Theologen anrüchigen Astronomen. Bei diesem Anlasse
beachtete der dadurch gereizte Galilei das noch bestehende Verbot zu wenig, und
trat mit einer Streitschrift unter dem Titel Lg,Mg,toi-ö auf, die in Italien
ihres Stiles wegen als ein Muster von Streitschrift bewundert wurde. Hier¬
durch verfeindete er sich im Ganzen mit den Jesuiten und zog sich dadurch von
theologischer Seite neues Mißtrauen zu, indem man das bestehende Verbot
kopernikanische Ansichten anders als blos in Gestalt der Hypothese vorzubringen.
M seinen Auslassungen verletzt finden konnte."

Wir bezweifeln fast, ob H. Vosen, als er diese Zeilen schrieb, daran dachte,
wie sehr dieselben in Verbindung mit jenem, von ihm allerdings nicht erwähnten
Ausspruche des Paters Gremberger dazu angethan sind, den Proceß gegen
Galilei in ein anderes "klares Licht zu stellen", als er beabsichtigt.

Die Versuche, das Verbot des LaMiatorö zu erlangen, schlugen fehl.
Mag sein, daß gerade dadurch Galileis Sicherheitsgefühl wuchs, daß die Zu¬
versicht in ihm entstand, jetzt sei der heißersehnte Augenblick gekommen, seinen
Gegner ganz zu vernichten. Er übergab seine Gespräche über die beiden
großen Weltsysteme dem Drucke. Sie erschienen 1631 in Florenz. Man
sollte nicht denken, daß es möglich gewesen, diesen Gesprächen nachträglich noch
etwas anzuhaben. Der Inhalt freilich war etwas verfänglicher Natur. Sa-
gondo, Salviati und Simplicius unterhalten sich über die ptolemäische und
kopernikanische Weltanschauung. Am Schlüsse des Buches trennen sie sich mit
der Verabredung, demnächst zu wiederholter Besprechung wieder zusammen¬
zutreten, da keiner den andern überzeugt hat. Der unbefangene Leser merkt
jedoch gleichwohl, daß Simplicius, der Vertreter der ptolemäischen Ansicht,
durchaus geschlagen ist, und daß der Verfasser nur aus Vorsicht dieses Ergebniß
der Besprechungen nicht ausdrücklich eingestehen ließ. Aber so bedenklich von


Gelegenheit sich bieten würde, den Streit wieder aufzunehmen. Da wurde
Maffeo Barberini nach dem Tode Pauls des Fünften als Urban der Achte zum
Papste gewählt. Galilei eilte nach Rom, um dem langjährigen Freunde zu
seiner Erhöhung Glück zu wünschen, und bei dieser Gelegenheit erschien eine
Streitschrift des Galilei, it LaMÄtore, die Goldwage genannt, von der
Akademie dei Lincei selbst herausgegeben und dem Papste gewidmet. Ueber
die wissenschaftliche Veranlassung und über den Erfolg dieser Schrift können
wir H. Vosen reden lassen (S. 20): „Galilei hatte infolge der Erscheinung
dreier Kometen (1618) seinen Freunden Betrachtungen über die Natur und
Eigenthümlichkeit dieser Himmelskörper mitgetheilt. Sein Schüler Mario Gui-
ducci fand sich durch den Stoff dieser Mittheilungen später zur Abfassung einer
Schrift über diesen Gegenstand veranlaßt, in welcher er den Jesuiten Grassi in
Rom scharf beurtheilte. Da der Beleidigte irrthümlich den Galilei selbst für
den Verfasser dieser Schrift hielt, so veranlaßte dieser Irrthum ihn zu Angriffen
gegen den ohnehin den Theologen anrüchigen Astronomen. Bei diesem Anlasse
beachtete der dadurch gereizte Galilei das noch bestehende Verbot zu wenig, und
trat mit einer Streitschrift unter dem Titel Lg,Mg,toi-ö auf, die in Italien
ihres Stiles wegen als ein Muster von Streitschrift bewundert wurde. Hier¬
durch verfeindete er sich im Ganzen mit den Jesuiten und zog sich dadurch von
theologischer Seite neues Mißtrauen zu, indem man das bestehende Verbot
kopernikanische Ansichten anders als blos in Gestalt der Hypothese vorzubringen.
M seinen Auslassungen verletzt finden konnte."

Wir bezweifeln fast, ob H. Vosen, als er diese Zeilen schrieb, daran dachte,
wie sehr dieselben in Verbindung mit jenem, von ihm allerdings nicht erwähnten
Ausspruche des Paters Gremberger dazu angethan sind, den Proceß gegen
Galilei in ein anderes „klares Licht zu stellen", als er beabsichtigt.

Die Versuche, das Verbot des LaMiatorö zu erlangen, schlugen fehl.
Mag sein, daß gerade dadurch Galileis Sicherheitsgefühl wuchs, daß die Zu¬
versicht in ihm entstand, jetzt sei der heißersehnte Augenblick gekommen, seinen
Gegner ganz zu vernichten. Er übergab seine Gespräche über die beiden
großen Weltsysteme dem Drucke. Sie erschienen 1631 in Florenz. Man
sollte nicht denken, daß es möglich gewesen, diesen Gesprächen nachträglich noch
etwas anzuhaben. Der Inhalt freilich war etwas verfänglicher Natur. Sa-
gondo, Salviati und Simplicius unterhalten sich über die ptolemäische und
kopernikanische Weltanschauung. Am Schlüsse des Buches trennen sie sich mit
der Verabredung, demnächst zu wiederholter Besprechung wieder zusammen¬
zutreten, da keiner den andern überzeugt hat. Der unbefangene Leser merkt
jedoch gleichwohl, daß Simplicius, der Vertreter der ptolemäischen Ansicht,
durchaus geschlagen ist, und daß der Verfasser nur aus Vorsicht dieses Ergebniß
der Besprechungen nicht ausdrücklich eingestehen ließ. Aber so bedenklich von


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[0455] Gelegenheit sich bieten würde, den Streit wieder aufzunehmen. Da wurde Maffeo Barberini nach dem Tode Pauls des Fünften als Urban der Achte zum Papste gewählt. Galilei eilte nach Rom, um dem langjährigen Freunde zu seiner Erhöhung Glück zu wünschen, und bei dieser Gelegenheit erschien eine Streitschrift des Galilei, it LaMÄtore, die Goldwage genannt, von der Akademie dei Lincei selbst herausgegeben und dem Papste gewidmet. Ueber die wissenschaftliche Veranlassung und über den Erfolg dieser Schrift können wir H. Vosen reden lassen (S. 20): „Galilei hatte infolge der Erscheinung dreier Kometen (1618) seinen Freunden Betrachtungen über die Natur und Eigenthümlichkeit dieser Himmelskörper mitgetheilt. Sein Schüler Mario Gui- ducci fand sich durch den Stoff dieser Mittheilungen später zur Abfassung einer Schrift über diesen Gegenstand veranlaßt, in welcher er den Jesuiten Grassi in Rom scharf beurtheilte. Da der Beleidigte irrthümlich den Galilei selbst für den Verfasser dieser Schrift hielt, so veranlaßte dieser Irrthum ihn zu Angriffen gegen den ohnehin den Theologen anrüchigen Astronomen. Bei diesem Anlasse beachtete der dadurch gereizte Galilei das noch bestehende Verbot zu wenig, und trat mit einer Streitschrift unter dem Titel Lg,Mg,toi-ö auf, die in Italien ihres Stiles wegen als ein Muster von Streitschrift bewundert wurde. Hier¬ durch verfeindete er sich im Ganzen mit den Jesuiten und zog sich dadurch von theologischer Seite neues Mißtrauen zu, indem man das bestehende Verbot kopernikanische Ansichten anders als blos in Gestalt der Hypothese vorzubringen. M seinen Auslassungen verletzt finden konnte." Wir bezweifeln fast, ob H. Vosen, als er diese Zeilen schrieb, daran dachte, wie sehr dieselben in Verbindung mit jenem, von ihm allerdings nicht erwähnten Ausspruche des Paters Gremberger dazu angethan sind, den Proceß gegen Galilei in ein anderes „klares Licht zu stellen", als er beabsichtigt. Die Versuche, das Verbot des LaMiatorö zu erlangen, schlugen fehl. Mag sein, daß gerade dadurch Galileis Sicherheitsgefühl wuchs, daß die Zu¬ versicht in ihm entstand, jetzt sei der heißersehnte Augenblick gekommen, seinen Gegner ganz zu vernichten. Er übergab seine Gespräche über die beiden großen Weltsysteme dem Drucke. Sie erschienen 1631 in Florenz. Man sollte nicht denken, daß es möglich gewesen, diesen Gesprächen nachträglich noch etwas anzuhaben. Der Inhalt freilich war etwas verfänglicher Natur. Sa- gondo, Salviati und Simplicius unterhalten sich über die ptolemäische und kopernikanische Weltanschauung. Am Schlüsse des Buches trennen sie sich mit der Verabredung, demnächst zu wiederholter Besprechung wieder zusammen¬ zutreten, da keiner den andern überzeugt hat. Der unbefangene Leser merkt jedoch gleichwohl, daß Simplicius, der Vertreter der ptolemäischen Ansicht, durchaus geschlagen ist, und daß der Verfasser nur aus Vorsicht dieses Ergebniß der Besprechungen nicht ausdrücklich eingestehen ließ. Aber so bedenklich von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/455>, abgerufen am 29.06.2024.