Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vaterlands leistet, wird auf keine Art gebrochen, wenn er, treu dem Wohle
des Vaterlandes, einen entscheidenden, ewig ruhmwürdigen Schritt für dasselbe
thut." Den König den ersten Bürger des Vaterlands nennen, ihn und seinen
Willen dem Wohl des Landes nachsetzen, was für jacobinische Reden! "Wie
wenig." sagt Wuttke, dem wir hier folgen, "kannte Bülow die in Dresden
großgezogne Engherzigkeit!"

Auch ein Aufruf erging schon am Tage nach dem dennewitzer Siege mit
Bernadottes Gutheißung an die Sachsen. "Sachsen, deutsche Brüder und
Nachbarn," hieß es in demselben, "von den Gefilden einer gewonnenen Schlacht,
in der wir mit Unwillen euer deutsches Blut vergossen, sprechen wir noch ein¬
mal zu euch. Einst zählte Deutschland euch mit Stolz zu dem edleren Theil
seiner Söhne, die jeder Unterdrückung kühn widerstrebten. (Wohl eine der
Verwechslungen mit den Sachsen Wittekinds, wie sie in dieser Zeit nicht un¬
gewöhnlich waren.) Ihr wäret eine der kräftigsten Stützen Deutschlands. Was
seid ihr jetzt? Unterwürfige Knechte eines fremden Monarchen, Helfershelfer bei
der Unterdrückung eurer deutschen Brüder, Theilnehmer an der Verwüstung
eures vaterländischen Bodens. Wählt jetzt! Als Brüder werden wir diejenigen
von euch empfangen, die. eingedenk ihrer heiligsten Pflichten, vereint mit uns
für Deutschlands Wohlfahrt kämpfen wollen, aber wir sagen uns los von aller
Gemeinschaft mit denjenigen, die länger noch die schimpfliche Fessel des Unter-
drückers tragen; unwürdig erklären wir sie des deutschen Namens, und sie selbst
und ihre Eltern und Verwandten sollen erfahren, wie wir Deutschlands ent¬
artete Söhne zu verachten und zu strafen wissen."

Diese Ansprache drang in das sächsische Lager und blieb nicht ohne Wirkung.
Die Sachsen wurden schwierig, sie zeigten "den schlechtesten Geist" so deutlich,
daß Ney darüber an Napoleon berichtete. Einzelne sächsische Offiziere gingen
sogar bald nach der Schlacht zu den Verbündeten über, ja Major v. Bünau
warschirte in der Nacht vom 22. zum 23. September, bei Oranienbaum auf
Vorposten ausgeschickt, mit einem ganzen Bataillon vom Regiment "König" in
das Lager Bernadottes ab und wendete sich dann als Befehlshaber der ersten
Fahne der "königlich sächsischen Legion der Verbündeten" an seine zurückgebliebnen
Kameraden mit einer Ansprache, in welcher er ihnen zurief: "Glaubt ihr, daß
die Zeit nahe ist, wo das Joch der Tyrannei zerbrochen und der Nacken des
Vaterlandes von dem Fuß des Unterdrückers befreit werden wird, so habt auch
den Muth und den Willen, diesen Zeitpunkt herbeizuführen. Kommt also hier-
her zu uns!" Auch das blieb gewiß nicht ohne Eindruck. Doch folgte die große
Mehrzahl noch der Abmahnung von Dresden her, die infolge der Nachrichten
von dem überhandnehmenden Unmuth der Armee um diese Zeit im Lager ein-
traf. Der König war für immer zu Napoleon zurückgekehrt. Als "Landesherr"
wendete sich Friedrich August am 26. September an seine Soldaten. Er sprach


Grenzvoten II. 186S. 63

Vaterlands leistet, wird auf keine Art gebrochen, wenn er, treu dem Wohle
des Vaterlandes, einen entscheidenden, ewig ruhmwürdigen Schritt für dasselbe
thut." Den König den ersten Bürger des Vaterlands nennen, ihn und seinen
Willen dem Wohl des Landes nachsetzen, was für jacobinische Reden! „Wie
wenig." sagt Wuttke, dem wir hier folgen, „kannte Bülow die in Dresden
großgezogne Engherzigkeit!"

Auch ein Aufruf erging schon am Tage nach dem dennewitzer Siege mit
Bernadottes Gutheißung an die Sachsen. „Sachsen, deutsche Brüder und
Nachbarn," hieß es in demselben, „von den Gefilden einer gewonnenen Schlacht,
in der wir mit Unwillen euer deutsches Blut vergossen, sprechen wir noch ein¬
mal zu euch. Einst zählte Deutschland euch mit Stolz zu dem edleren Theil
seiner Söhne, die jeder Unterdrückung kühn widerstrebten. (Wohl eine der
Verwechslungen mit den Sachsen Wittekinds, wie sie in dieser Zeit nicht un¬
gewöhnlich waren.) Ihr wäret eine der kräftigsten Stützen Deutschlands. Was
seid ihr jetzt? Unterwürfige Knechte eines fremden Monarchen, Helfershelfer bei
der Unterdrückung eurer deutschen Brüder, Theilnehmer an der Verwüstung
eures vaterländischen Bodens. Wählt jetzt! Als Brüder werden wir diejenigen
von euch empfangen, die. eingedenk ihrer heiligsten Pflichten, vereint mit uns
für Deutschlands Wohlfahrt kämpfen wollen, aber wir sagen uns los von aller
Gemeinschaft mit denjenigen, die länger noch die schimpfliche Fessel des Unter-
drückers tragen; unwürdig erklären wir sie des deutschen Namens, und sie selbst
und ihre Eltern und Verwandten sollen erfahren, wie wir Deutschlands ent¬
artete Söhne zu verachten und zu strafen wissen."

Diese Ansprache drang in das sächsische Lager und blieb nicht ohne Wirkung.
Die Sachsen wurden schwierig, sie zeigten „den schlechtesten Geist" so deutlich,
daß Ney darüber an Napoleon berichtete. Einzelne sächsische Offiziere gingen
sogar bald nach der Schlacht zu den Verbündeten über, ja Major v. Bünau
warschirte in der Nacht vom 22. zum 23. September, bei Oranienbaum auf
Vorposten ausgeschickt, mit einem ganzen Bataillon vom Regiment „König" in
das Lager Bernadottes ab und wendete sich dann als Befehlshaber der ersten
Fahne der „königlich sächsischen Legion der Verbündeten" an seine zurückgebliebnen
Kameraden mit einer Ansprache, in welcher er ihnen zurief: „Glaubt ihr, daß
die Zeit nahe ist, wo das Joch der Tyrannei zerbrochen und der Nacken des
Vaterlandes von dem Fuß des Unterdrückers befreit werden wird, so habt auch
den Muth und den Willen, diesen Zeitpunkt herbeizuführen. Kommt also hier-
her zu uns!" Auch das blieb gewiß nicht ohne Eindruck. Doch folgte die große
Mehrzahl noch der Abmahnung von Dresden her, die infolge der Nachrichten
von dem überhandnehmenden Unmuth der Armee um diese Zeit im Lager ein-
traf. Der König war für immer zu Napoleon zurückgekehrt. Als „Landesherr"
wendete sich Friedrich August am 26. September an seine Soldaten. Er sprach


Grenzvoten II. 186S. 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283240"/>
          <p xml:id="ID_1421" prev="#ID_1420"> Vaterlands leistet, wird auf keine Art gebrochen, wenn er, treu dem Wohle<lb/>
des Vaterlandes, einen entscheidenden, ewig ruhmwürdigen Schritt für dasselbe<lb/>
thut." Den König den ersten Bürger des Vaterlands nennen, ihn und seinen<lb/>
Willen dem Wohl des Landes nachsetzen, was für jacobinische Reden! &#x201E;Wie<lb/>
wenig." sagt Wuttke, dem wir hier folgen, &#x201E;kannte Bülow die in Dresden<lb/>
großgezogne Engherzigkeit!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1422"> Auch ein Aufruf erging schon am Tage nach dem dennewitzer Siege mit<lb/>
Bernadottes Gutheißung an die Sachsen. &#x201E;Sachsen, deutsche Brüder und<lb/>
Nachbarn," hieß es in demselben, &#x201E;von den Gefilden einer gewonnenen Schlacht,<lb/>
in der wir mit Unwillen euer deutsches Blut vergossen, sprechen wir noch ein¬<lb/>
mal zu euch. Einst zählte Deutschland euch mit Stolz zu dem edleren Theil<lb/>
seiner Söhne, die jeder Unterdrückung kühn widerstrebten. (Wohl eine der<lb/>
Verwechslungen mit den Sachsen Wittekinds, wie sie in dieser Zeit nicht un¬<lb/>
gewöhnlich waren.) Ihr wäret eine der kräftigsten Stützen Deutschlands. Was<lb/>
seid ihr jetzt? Unterwürfige Knechte eines fremden Monarchen, Helfershelfer bei<lb/>
der Unterdrückung eurer deutschen Brüder, Theilnehmer an der Verwüstung<lb/>
eures vaterländischen Bodens. Wählt jetzt! Als Brüder werden wir diejenigen<lb/>
von euch empfangen, die. eingedenk ihrer heiligsten Pflichten, vereint mit uns<lb/>
für Deutschlands Wohlfahrt kämpfen wollen, aber wir sagen uns los von aller<lb/>
Gemeinschaft mit denjenigen, die länger noch die schimpfliche Fessel des Unter-<lb/>
drückers tragen; unwürdig erklären wir sie des deutschen Namens, und sie selbst<lb/>
und ihre Eltern und Verwandten sollen erfahren, wie wir Deutschlands ent¬<lb/>
artete Söhne zu verachten und zu strafen wissen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1423" next="#ID_1424"> Diese Ansprache drang in das sächsische Lager und blieb nicht ohne Wirkung.<lb/>
Die Sachsen wurden schwierig, sie zeigten &#x201E;den schlechtesten Geist" so deutlich,<lb/>
daß Ney darüber an Napoleon berichtete. Einzelne sächsische Offiziere gingen<lb/>
sogar bald nach der Schlacht zu den Verbündeten über, ja Major v. Bünau<lb/>
warschirte in der Nacht vom 22. zum 23. September, bei Oranienbaum auf<lb/>
Vorposten ausgeschickt, mit einem ganzen Bataillon vom Regiment &#x201E;König" in<lb/>
das Lager Bernadottes ab und wendete sich dann als Befehlshaber der ersten<lb/>
Fahne der &#x201E;königlich sächsischen Legion der Verbündeten" an seine zurückgebliebnen<lb/>
Kameraden mit einer Ansprache, in welcher er ihnen zurief: &#x201E;Glaubt ihr, daß<lb/>
die Zeit nahe ist, wo das Joch der Tyrannei zerbrochen und der Nacken des<lb/>
Vaterlandes von dem Fuß des Unterdrückers befreit werden wird, so habt auch<lb/>
den Muth und den Willen, diesen Zeitpunkt herbeizuführen. Kommt also hier-<lb/>
her zu uns!" Auch das blieb gewiß nicht ohne Eindruck. Doch folgte die große<lb/>
Mehrzahl noch der Abmahnung von Dresden her, die infolge der Nachrichten<lb/>
von dem überhandnehmenden Unmuth der Armee um diese Zeit im Lager ein-<lb/>
traf. Der König war für immer zu Napoleon zurückgekehrt. Als &#x201E;Landesherr"<lb/>
wendete sich Friedrich August am 26. September an seine Soldaten. Er sprach</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzvoten II. 186S. 63</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] Vaterlands leistet, wird auf keine Art gebrochen, wenn er, treu dem Wohle des Vaterlandes, einen entscheidenden, ewig ruhmwürdigen Schritt für dasselbe thut." Den König den ersten Bürger des Vaterlands nennen, ihn und seinen Willen dem Wohl des Landes nachsetzen, was für jacobinische Reden! „Wie wenig." sagt Wuttke, dem wir hier folgen, „kannte Bülow die in Dresden großgezogne Engherzigkeit!" Auch ein Aufruf erging schon am Tage nach dem dennewitzer Siege mit Bernadottes Gutheißung an die Sachsen. „Sachsen, deutsche Brüder und Nachbarn," hieß es in demselben, „von den Gefilden einer gewonnenen Schlacht, in der wir mit Unwillen euer deutsches Blut vergossen, sprechen wir noch ein¬ mal zu euch. Einst zählte Deutschland euch mit Stolz zu dem edleren Theil seiner Söhne, die jeder Unterdrückung kühn widerstrebten. (Wohl eine der Verwechslungen mit den Sachsen Wittekinds, wie sie in dieser Zeit nicht un¬ gewöhnlich waren.) Ihr wäret eine der kräftigsten Stützen Deutschlands. Was seid ihr jetzt? Unterwürfige Knechte eines fremden Monarchen, Helfershelfer bei der Unterdrückung eurer deutschen Brüder, Theilnehmer an der Verwüstung eures vaterländischen Bodens. Wählt jetzt! Als Brüder werden wir diejenigen von euch empfangen, die. eingedenk ihrer heiligsten Pflichten, vereint mit uns für Deutschlands Wohlfahrt kämpfen wollen, aber wir sagen uns los von aller Gemeinschaft mit denjenigen, die länger noch die schimpfliche Fessel des Unter- drückers tragen; unwürdig erklären wir sie des deutschen Namens, und sie selbst und ihre Eltern und Verwandten sollen erfahren, wie wir Deutschlands ent¬ artete Söhne zu verachten und zu strafen wissen." Diese Ansprache drang in das sächsische Lager und blieb nicht ohne Wirkung. Die Sachsen wurden schwierig, sie zeigten „den schlechtesten Geist" so deutlich, daß Ney darüber an Napoleon berichtete. Einzelne sächsische Offiziere gingen sogar bald nach der Schlacht zu den Verbündeten über, ja Major v. Bünau warschirte in der Nacht vom 22. zum 23. September, bei Oranienbaum auf Vorposten ausgeschickt, mit einem ganzen Bataillon vom Regiment „König" in das Lager Bernadottes ab und wendete sich dann als Befehlshaber der ersten Fahne der „königlich sächsischen Legion der Verbündeten" an seine zurückgebliebnen Kameraden mit einer Ansprache, in welcher er ihnen zurief: „Glaubt ihr, daß die Zeit nahe ist, wo das Joch der Tyrannei zerbrochen und der Nacken des Vaterlandes von dem Fuß des Unterdrückers befreit werden wird, so habt auch den Muth und den Willen, diesen Zeitpunkt herbeizuführen. Kommt also hier- her zu uns!" Auch das blieb gewiß nicht ohne Eindruck. Doch folgte die große Mehrzahl noch der Abmahnung von Dresden her, die infolge der Nachrichten von dem überhandnehmenden Unmuth der Armee um diese Zeit im Lager ein- traf. Der König war für immer zu Napoleon zurückgekehrt. Als „Landesherr" wendete sich Friedrich August am 26. September an seine Soldaten. Er sprach Grenzvoten II. 186S. 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/443>, abgerufen am 28.09.2024.