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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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vermieden haben. Denn ein solcher Sieg konnte kaum ein so entscheidender
sein, daß die Verbündeten Oestreichs Bedingungen für seinen sofortigen Beitritt
zu ihrer Allianz abzulehnen im Stande gewesen wären.

Die Schlacht bei Lützen endigte nicht glücklich für die Verbündeten, und
auf die Nachricht hiervon erwachte in Friedrich Augusts engem und ängstlichen
Gemüth sofort wieder die alte halb aus Verehrung, halb aus Furcht gemischte
Untertänigkeit gegen Napoleon. Bittere Vorwürfe trafen Senfft. daß er zu
dem Bündniß mit Oestreich gerathen, reuevoll blickte der König auf seine Nach¬
giebigkeit gegen den Minister, nichts schien seine Seele mehr zu beschäftigen
als die Sorge, wie das Geschehene gut zu machen sei, und die Idee, sich durch
raschen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, wurde, ohne Verzug zum
Entschluß. Am 7. Mai schon wurde dem Herrn v. Serra angezeigt, daß der
König seine letzten Forderungen bewillige" werde. Am 8. ging der General
Gersdorf mit der Anzeige hiervon in das Hauptquartier Napoleons ab.
Am 9. wollte Friedrich August nach Dresden abreisen. Die erst in der Nacht
bon 8. zum 9. eintreffende Note Napoleons, welche die frühere Forderung
in Betreff Torgaus und der sächsischen Reiterei wiederholte, eine ausdrückliche
Erklärung, daß der König bereit sei, alle seine Verpflichtungen als Mitglied
des Rheinbundes zu erfüllen, sowie Ausschluß über seine Beziehungen zu Oest¬
reich verlangte und für den Weigerungsfall mit Abreise des französischen Ge¬
sandten drohte, hatte diese Maßregeln nicht hervorgerufen. Sie waren lediglich
Ausflüsse des Eindrucks, den der Sieg Napoleons bei Lützen gemacht. Die
Politik des Grafen Senfft war gescheitert, er selbst nahm seinen Abschied.
Er hatte Sachsen in sicherer Neutralität abwarten lassen, wie der Kampf für
Deutschland endigen werde, er hatte ihm alle Geschenke Napoleons erhalten,
er hatte Preußen, das für Abschüttelung des französischen Jochs seine Existenz
einsetzte, das früher Verlorene vorenthalten, es auf das Maß einer Macht
dritten Ranges Herabdrücken wollen. Dieser Plan wäre in der Hauptsache
wahrscheinlich geglückt, wenn der König den Muth besessen hätte, auch nach
Lützen mit Oestreich zu gehen. Friedrich August besaß diesen Muth nicht, und
so mußte sich sein Geschick erfüllen.

Am 30. April hatte Senfft geschrieben: "Von Frankreich sind wir un¬
widerruflich geschieden." Eine Woche später, und sein Traum war vorbei.
Am 8. Mai schon konnte Napoleon einer ihm von Dresden entgegengesandten
Deputation erklären: "Euer König ist euer Retter. Nur aus Liebe zu ihm
verzeihe ich euch. Am 11. wurde Torgau geöffnet, das sehr bedeutende dort
aufgehäufte Kriegsmaterial den Franzosen zum Kampfe gegen die deutsche
Sache ausgeliefert, die sächsische Armee. 12.000 Mann stark, mit einer französischen.
Division unter Reyniers Oberbefehl gestellt. Thielmann, der zuletzt geneigt
gewesen gewesen, Torgau an die Preußen auszuliefern -- er war, wie er selbst


vermieden haben. Denn ein solcher Sieg konnte kaum ein so entscheidender
sein, daß die Verbündeten Oestreichs Bedingungen für seinen sofortigen Beitritt
zu ihrer Allianz abzulehnen im Stande gewesen wären.

Die Schlacht bei Lützen endigte nicht glücklich für die Verbündeten, und
auf die Nachricht hiervon erwachte in Friedrich Augusts engem und ängstlichen
Gemüth sofort wieder die alte halb aus Verehrung, halb aus Furcht gemischte
Untertänigkeit gegen Napoleon. Bittere Vorwürfe trafen Senfft. daß er zu
dem Bündniß mit Oestreich gerathen, reuevoll blickte der König auf seine Nach¬
giebigkeit gegen den Minister, nichts schien seine Seele mehr zu beschäftigen
als die Sorge, wie das Geschehene gut zu machen sei, und die Idee, sich durch
raschen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, wurde, ohne Verzug zum
Entschluß. Am 7. Mai schon wurde dem Herrn v. Serra angezeigt, daß der
König seine letzten Forderungen bewillige» werde. Am 8. ging der General
Gersdorf mit der Anzeige hiervon in das Hauptquartier Napoleons ab.
Am 9. wollte Friedrich August nach Dresden abreisen. Die erst in der Nacht
bon 8. zum 9. eintreffende Note Napoleons, welche die frühere Forderung
in Betreff Torgaus und der sächsischen Reiterei wiederholte, eine ausdrückliche
Erklärung, daß der König bereit sei, alle seine Verpflichtungen als Mitglied
des Rheinbundes zu erfüllen, sowie Ausschluß über seine Beziehungen zu Oest¬
reich verlangte und für den Weigerungsfall mit Abreise des französischen Ge¬
sandten drohte, hatte diese Maßregeln nicht hervorgerufen. Sie waren lediglich
Ausflüsse des Eindrucks, den der Sieg Napoleons bei Lützen gemacht. Die
Politik des Grafen Senfft war gescheitert, er selbst nahm seinen Abschied.
Er hatte Sachsen in sicherer Neutralität abwarten lassen, wie der Kampf für
Deutschland endigen werde, er hatte ihm alle Geschenke Napoleons erhalten,
er hatte Preußen, das für Abschüttelung des französischen Jochs seine Existenz
einsetzte, das früher Verlorene vorenthalten, es auf das Maß einer Macht
dritten Ranges Herabdrücken wollen. Dieser Plan wäre in der Hauptsache
wahrscheinlich geglückt, wenn der König den Muth besessen hätte, auch nach
Lützen mit Oestreich zu gehen. Friedrich August besaß diesen Muth nicht, und
so mußte sich sein Geschick erfüllen.

Am 30. April hatte Senfft geschrieben: „Von Frankreich sind wir un¬
widerruflich geschieden." Eine Woche später, und sein Traum war vorbei.
Am 8. Mai schon konnte Napoleon einer ihm von Dresden entgegengesandten
Deputation erklären: „Euer König ist euer Retter. Nur aus Liebe zu ihm
verzeihe ich euch. Am 11. wurde Torgau geöffnet, das sehr bedeutende dort
aufgehäufte Kriegsmaterial den Franzosen zum Kampfe gegen die deutsche
Sache ausgeliefert, die sächsische Armee. 12.000 Mann stark, mit einer französischen.
Division unter Reyniers Oberbefehl gestellt. Thielmann, der zuletzt geneigt
gewesen gewesen, Torgau an die Preußen auszuliefern — er war, wie er selbst


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[0441] vermieden haben. Denn ein solcher Sieg konnte kaum ein so entscheidender sein, daß die Verbündeten Oestreichs Bedingungen für seinen sofortigen Beitritt zu ihrer Allianz abzulehnen im Stande gewesen wären. Die Schlacht bei Lützen endigte nicht glücklich für die Verbündeten, und auf die Nachricht hiervon erwachte in Friedrich Augusts engem und ängstlichen Gemüth sofort wieder die alte halb aus Verehrung, halb aus Furcht gemischte Untertänigkeit gegen Napoleon. Bittere Vorwürfe trafen Senfft. daß er zu dem Bündniß mit Oestreich gerathen, reuevoll blickte der König auf seine Nach¬ giebigkeit gegen den Minister, nichts schien seine Seele mehr zu beschäftigen als die Sorge, wie das Geschehene gut zu machen sei, und die Idee, sich durch raschen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, wurde, ohne Verzug zum Entschluß. Am 7. Mai schon wurde dem Herrn v. Serra angezeigt, daß der König seine letzten Forderungen bewillige» werde. Am 8. ging der General Gersdorf mit der Anzeige hiervon in das Hauptquartier Napoleons ab. Am 9. wollte Friedrich August nach Dresden abreisen. Die erst in der Nacht bon 8. zum 9. eintreffende Note Napoleons, welche die frühere Forderung in Betreff Torgaus und der sächsischen Reiterei wiederholte, eine ausdrückliche Erklärung, daß der König bereit sei, alle seine Verpflichtungen als Mitglied des Rheinbundes zu erfüllen, sowie Ausschluß über seine Beziehungen zu Oest¬ reich verlangte und für den Weigerungsfall mit Abreise des französischen Ge¬ sandten drohte, hatte diese Maßregeln nicht hervorgerufen. Sie waren lediglich Ausflüsse des Eindrucks, den der Sieg Napoleons bei Lützen gemacht. Die Politik des Grafen Senfft war gescheitert, er selbst nahm seinen Abschied. Er hatte Sachsen in sicherer Neutralität abwarten lassen, wie der Kampf für Deutschland endigen werde, er hatte ihm alle Geschenke Napoleons erhalten, er hatte Preußen, das für Abschüttelung des französischen Jochs seine Existenz einsetzte, das früher Verlorene vorenthalten, es auf das Maß einer Macht dritten Ranges Herabdrücken wollen. Dieser Plan wäre in der Hauptsache wahrscheinlich geglückt, wenn der König den Muth besessen hätte, auch nach Lützen mit Oestreich zu gehen. Friedrich August besaß diesen Muth nicht, und so mußte sich sein Geschick erfüllen. Am 30. April hatte Senfft geschrieben: „Von Frankreich sind wir un¬ widerruflich geschieden." Eine Woche später, und sein Traum war vorbei. Am 8. Mai schon konnte Napoleon einer ihm von Dresden entgegengesandten Deputation erklären: „Euer König ist euer Retter. Nur aus Liebe zu ihm verzeihe ich euch. Am 11. wurde Torgau geöffnet, das sehr bedeutende dort aufgehäufte Kriegsmaterial den Franzosen zum Kampfe gegen die deutsche Sache ausgeliefert, die sächsische Armee. 12.000 Mann stark, mit einer französischen. Division unter Reyniers Oberbefehl gestellt. Thielmann, der zuletzt geneigt gewesen gewesen, Torgau an die Preußen auszuliefern — er war, wie er selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/441>, abgerufen am 29.06.2024.