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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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als ob die Flucht Friedrich Augusts keine freiwillige gewesen wäre: "Euer
Landesherr ist in fremder Gewalt. Die Freiheit des Entschlusses ist ihm ge¬
nommen. Die Schritte beklagend, die eine verrätherische Politik ihn zu thun
nöthigte, wolle" wir sie ihm ebensowenig zurechnen, als sie euch entgelten lassen."
Vertrauensvoller und versöhnlicher konnte man nach dem. was geschehen, nicht reden,
goldnere Brücken zur Umkehr nicht bauen. Nur einstweilen erklärte Blücher
das Land in Verwaltung nehmen zu müssen. Seine Truppen ermahnte er. die
Sachsen wie künftige Bundesgenossen zu behandeln. Um der Volksbewegung
freieren Spielraum zu gewähcn, gab er die Presse frei. Wenn er aber von
der vom König bei seiner Flucht zurückgelassenen Jmmediatcommission rückhalts¬
loser Anschluß an die gute Sache erwartete, so täuschte er sich. Diesen Herren
war.sein Aufruf ein revolutionäres Pamphlet, seine Forderung, daß Sachsen
zur Unterhaltung seiner Truppen beitrage, ein unbilliges Verlangen. Sehr
übel nahmen sie es auf, daß Preußen jetzt ohne Weiteres den 1807 an Sachsen
abgetretenen^ kottbuser Kreis wieder zu seinen Besitzungen schlug. Im Volke
war gute Gesinnung vorhanden,'man empfand das Drückende der Fremdherr¬
schaft lebhaft, die unnöthige Zerstörung der dresdner Brücke hatte besonders
böses Vink gemacht, und es gab Leute, die an Beseitigung der Jmmediat¬
commission und Ersetzung derselben durch, den ständischen Ausschuß dachten.
Aber es fehlte der rechte Muth und Schwung, es fehlte in Dresden wie in
Torgau, wo das Heer ebenfalls nach der patriotischen Seite hin zu schwanken
begann, an einem entschlossnen Geiste, der einen kühnen Schritt wagte und
den Bann der Bedenklichkeiten brach, der Alle lähmte. Keiner wollte sich zu¬
erst aussetzen. Das Volk wartete auf die Behörden, die Armee auf die Generale,
Behörden und Generale warteten auf den König, und dieser war am wenigsten
von Allen der Mann ungewöhnlicher Thaten und opfermu thiger Entschlüsse.

Indeß hatte man inzwischen doch in Plauen an eine Wendung gedacht,
die von Napoleon ab und vielleicht auf einem Umwege in das Lager der Ver¬
bündeten führte. Friedrich August und seine Rathgeber, der Minister Graf
v. Senfft und der General v. Langenau fühlten sich durch den kurzangebundenen
Ton, in welchem die Ansprachen der alliirten Feldherrn zu den deutschen Fürsten
redeten, schwer verletzt. Sie verlangten, daß man dem König die ihm als solchen
gebührende Achtung bezeuge, ihm nicht vorschreibe, sondern mit ihm unter¬
handle, mit ihm nicht verfahre wie etwa "mit einem Fürsten von Reuß oder
Waldeck". Aber sie waren doch nicht mehr so zuversichtlich in ihrem Glauben
an Napoleons Macht, und so erschien ihnen als das Vorteilhafteste, Front nach
allen Seiten zu machen und zu versuchen, während des bevorstehenden Kampfes
neutral zu bleiben.

Hierzu schien Oestreich die Hand zu bieten, welches damals, wie Senfft
durch den Gesandten Bayerns erfahren, mit dein Plane umging, die Rhein-


als ob die Flucht Friedrich Augusts keine freiwillige gewesen wäre: „Euer
Landesherr ist in fremder Gewalt. Die Freiheit des Entschlusses ist ihm ge¬
nommen. Die Schritte beklagend, die eine verrätherische Politik ihn zu thun
nöthigte, wolle» wir sie ihm ebensowenig zurechnen, als sie euch entgelten lassen."
Vertrauensvoller und versöhnlicher konnte man nach dem. was geschehen, nicht reden,
goldnere Brücken zur Umkehr nicht bauen. Nur einstweilen erklärte Blücher
das Land in Verwaltung nehmen zu müssen. Seine Truppen ermahnte er. die
Sachsen wie künftige Bundesgenossen zu behandeln. Um der Volksbewegung
freieren Spielraum zu gewähcn, gab er die Presse frei. Wenn er aber von
der vom König bei seiner Flucht zurückgelassenen Jmmediatcommission rückhalts¬
loser Anschluß an die gute Sache erwartete, so täuschte er sich. Diesen Herren
war.sein Aufruf ein revolutionäres Pamphlet, seine Forderung, daß Sachsen
zur Unterhaltung seiner Truppen beitrage, ein unbilliges Verlangen. Sehr
übel nahmen sie es auf, daß Preußen jetzt ohne Weiteres den 1807 an Sachsen
abgetretenen^ kottbuser Kreis wieder zu seinen Besitzungen schlug. Im Volke
war gute Gesinnung vorhanden,'man empfand das Drückende der Fremdherr¬
schaft lebhaft, die unnöthige Zerstörung der dresdner Brücke hatte besonders
böses Vink gemacht, und es gab Leute, die an Beseitigung der Jmmediat¬
commission und Ersetzung derselben durch, den ständischen Ausschuß dachten.
Aber es fehlte der rechte Muth und Schwung, es fehlte in Dresden wie in
Torgau, wo das Heer ebenfalls nach der patriotischen Seite hin zu schwanken
begann, an einem entschlossnen Geiste, der einen kühnen Schritt wagte und
den Bann der Bedenklichkeiten brach, der Alle lähmte. Keiner wollte sich zu¬
erst aussetzen. Das Volk wartete auf die Behörden, die Armee auf die Generale,
Behörden und Generale warteten auf den König, und dieser war am wenigsten
von Allen der Mann ungewöhnlicher Thaten und opfermu thiger Entschlüsse.

Indeß hatte man inzwischen doch in Plauen an eine Wendung gedacht,
die von Napoleon ab und vielleicht auf einem Umwege in das Lager der Ver¬
bündeten führte. Friedrich August und seine Rathgeber, der Minister Graf
v. Senfft und der General v. Langenau fühlten sich durch den kurzangebundenen
Ton, in welchem die Ansprachen der alliirten Feldherrn zu den deutschen Fürsten
redeten, schwer verletzt. Sie verlangten, daß man dem König die ihm als solchen
gebührende Achtung bezeuge, ihm nicht vorschreibe, sondern mit ihm unter¬
handle, mit ihm nicht verfahre wie etwa „mit einem Fürsten von Reuß oder
Waldeck". Aber sie waren doch nicht mehr so zuversichtlich in ihrem Glauben
an Napoleons Macht, und so erschien ihnen als das Vorteilhafteste, Front nach
allen Seiten zu machen und zu versuchen, während des bevorstehenden Kampfes
neutral zu bleiben.

Hierzu schien Oestreich die Hand zu bieten, welches damals, wie Senfft
durch den Gesandten Bayerns erfahren, mit dein Plane umging, die Rhein-


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[0436] als ob die Flucht Friedrich Augusts keine freiwillige gewesen wäre: „Euer Landesherr ist in fremder Gewalt. Die Freiheit des Entschlusses ist ihm ge¬ nommen. Die Schritte beklagend, die eine verrätherische Politik ihn zu thun nöthigte, wolle» wir sie ihm ebensowenig zurechnen, als sie euch entgelten lassen." Vertrauensvoller und versöhnlicher konnte man nach dem. was geschehen, nicht reden, goldnere Brücken zur Umkehr nicht bauen. Nur einstweilen erklärte Blücher das Land in Verwaltung nehmen zu müssen. Seine Truppen ermahnte er. die Sachsen wie künftige Bundesgenossen zu behandeln. Um der Volksbewegung freieren Spielraum zu gewähcn, gab er die Presse frei. Wenn er aber von der vom König bei seiner Flucht zurückgelassenen Jmmediatcommission rückhalts¬ loser Anschluß an die gute Sache erwartete, so täuschte er sich. Diesen Herren war.sein Aufruf ein revolutionäres Pamphlet, seine Forderung, daß Sachsen zur Unterhaltung seiner Truppen beitrage, ein unbilliges Verlangen. Sehr übel nahmen sie es auf, daß Preußen jetzt ohne Weiteres den 1807 an Sachsen abgetretenen^ kottbuser Kreis wieder zu seinen Besitzungen schlug. Im Volke war gute Gesinnung vorhanden,'man empfand das Drückende der Fremdherr¬ schaft lebhaft, die unnöthige Zerstörung der dresdner Brücke hatte besonders böses Vink gemacht, und es gab Leute, die an Beseitigung der Jmmediat¬ commission und Ersetzung derselben durch, den ständischen Ausschuß dachten. Aber es fehlte der rechte Muth und Schwung, es fehlte in Dresden wie in Torgau, wo das Heer ebenfalls nach der patriotischen Seite hin zu schwanken begann, an einem entschlossnen Geiste, der einen kühnen Schritt wagte und den Bann der Bedenklichkeiten brach, der Alle lähmte. Keiner wollte sich zu¬ erst aussetzen. Das Volk wartete auf die Behörden, die Armee auf die Generale, Behörden und Generale warteten auf den König, und dieser war am wenigsten von Allen der Mann ungewöhnlicher Thaten und opfermu thiger Entschlüsse. Indeß hatte man inzwischen doch in Plauen an eine Wendung gedacht, die von Napoleon ab und vielleicht auf einem Umwege in das Lager der Ver¬ bündeten führte. Friedrich August und seine Rathgeber, der Minister Graf v. Senfft und der General v. Langenau fühlten sich durch den kurzangebundenen Ton, in welchem die Ansprachen der alliirten Feldherrn zu den deutschen Fürsten redeten, schwer verletzt. Sie verlangten, daß man dem König die ihm als solchen gebührende Achtung bezeuge, ihm nicht vorschreibe, sondern mit ihm unter¬ handle, mit ihm nicht verfahre wie etwa „mit einem Fürsten von Reuß oder Waldeck". Aber sie waren doch nicht mehr so zuversichtlich in ihrem Glauben an Napoleons Macht, und so erschien ihnen als das Vorteilhafteste, Front nach allen Seiten zu machen und zu versuchen, während des bevorstehenden Kampfes neutral zu bleiben. Hierzu schien Oestreich die Hand zu bieten, welches damals, wie Senfft durch den Gesandten Bayerns erfahren, mit dein Plane umging, die Rhein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/436>, abgerufen am 28.09.2024.