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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Schädigung in Aussicht gestellt worden war. Allein dieses Versprechen konnte
nur unter der ganz bestimmten Voraussetzung gegeben sein und erfüllt werden,
daß der König von Sachsen beim Bündniß mit Napoleon verharrte und sein Land
gegen seinen Willen befreit, also erobert werden konnte. Leistete derselbe
der Aufforderung Preußens und Rußlands, die. wie wir sogleich sehen werden,
kurz nach dem Vertrage von Kalisch an die deutschen Fürsten erging, ohne
Zögern Folge, schloß er sich den Befreiern an, so fehlte es an jedem Vorwande,
ihm sein Land oder einen Theil desselben zu nehmen, und wenn nicht das
Gerechtigkeitsgefühl, so verbot dann die Klugheit, zu annectiren. da hierdurch
die Hoffnung, die übrigen Rheinbundsfürsten von Napoleon abwendig zu machen,
sofort vereitelt werden mußte.

Die Ausfassung Steins, die er schon am 17. November 1812 in einer an
Alexander gerichteten Denkschrift ausgesprochen, und die sich in die Worte zu¬
sammenfassen laßt: "Was die übrigen deutschen Fürsten betrifft, so haben sie.
Was auch ihr Verhalten sein mag. gleichviel ob sie sich widersetzen oder unter¬
werfen, kein Recht, die Beibehaltung oder Wiederherstellung ihrer Oberherrlich¬
keit zu, verlangen. Sie sind jetzt in feindlicher Haltung, und im Augenblick
des Eintritts der verbündeten Heere können deren Fürsten eine solche Anwendung
des Eroberungsrechts machen, wie ihr eigner Vortheil sie ihnen anzeigen wird"
diese Auffassung war politisch keineswegs unrichtig, aber sie war. als der
Bertrag von Kalisch abgeschlossen wurde, wie das Folgende zeigen wird, nicht
die Auffassung der contrahirenden Monarchen, und sie war es später, als Stein
und die deutschen Patrioten vor Metternich und dem östreichischen Interesse
in den Hintergrund raten, noch weniger.

Zwar könnte der breslauer Vertrag vom 19. März, der das kalischer
Vündniß ergänzte, in einigen seiner Züge so gedeutet werden, als ob Steins
und der übrigen Deutschgesinnten Plan, die deutschen Vasallen Napoleons
als Verräther ohne Weiteres abzusetzen, hätte verwirklicht werden sollen. Aber
schon der erste Artikel desselben schließt diese Interpretation aus, indem er nur
die deutschen Fürsten, welche der Aufforderung zur Theilnahme an der Befreiung
Deutschlands vom französischen Joche nicht Folge leisten sollten, mit dem Ver¬
luste ihrer Staaten bedrohte. Wenn es dann weiter hieß, es sollte ein zunächst
aus Abgeordneten Rußlands und Preußens bestehender Centralverwaltungsrath
Mit unbeschränkten Vollmachten gebildet werden, der in den besetzten Ländern
provisorische Verwaltungen herstellen, dieselben überwachen und ihnen die Grund¬
sätze vorzeichnen sollte, nach denen die Hilfsquellen der betreffenden Länder der
gemeinsamen Sache nützlich zu machen, so ist auch damit nicht gesagt, daß man
über die Fürsten dieser Länder hinwegzugehen vorhatte; denn der Vertrag be¬
stimmte ausdrücklich, daß jeder dem Preußisch-russischen Bündniß beitretende
deutsche Fürst zu jenem Centralverwaltungsrath ein Mitglied ernennen dürfe.


Schädigung in Aussicht gestellt worden war. Allein dieses Versprechen konnte
nur unter der ganz bestimmten Voraussetzung gegeben sein und erfüllt werden,
daß der König von Sachsen beim Bündniß mit Napoleon verharrte und sein Land
gegen seinen Willen befreit, also erobert werden konnte. Leistete derselbe
der Aufforderung Preußens und Rußlands, die. wie wir sogleich sehen werden,
kurz nach dem Vertrage von Kalisch an die deutschen Fürsten erging, ohne
Zögern Folge, schloß er sich den Befreiern an, so fehlte es an jedem Vorwande,
ihm sein Land oder einen Theil desselben zu nehmen, und wenn nicht das
Gerechtigkeitsgefühl, so verbot dann die Klugheit, zu annectiren. da hierdurch
die Hoffnung, die übrigen Rheinbundsfürsten von Napoleon abwendig zu machen,
sofort vereitelt werden mußte.

Die Ausfassung Steins, die er schon am 17. November 1812 in einer an
Alexander gerichteten Denkschrift ausgesprochen, und die sich in die Worte zu¬
sammenfassen laßt: „Was die übrigen deutschen Fürsten betrifft, so haben sie.
Was auch ihr Verhalten sein mag. gleichviel ob sie sich widersetzen oder unter¬
werfen, kein Recht, die Beibehaltung oder Wiederherstellung ihrer Oberherrlich¬
keit zu, verlangen. Sie sind jetzt in feindlicher Haltung, und im Augenblick
des Eintritts der verbündeten Heere können deren Fürsten eine solche Anwendung
des Eroberungsrechts machen, wie ihr eigner Vortheil sie ihnen anzeigen wird"
diese Auffassung war politisch keineswegs unrichtig, aber sie war. als der
Bertrag von Kalisch abgeschlossen wurde, wie das Folgende zeigen wird, nicht
die Auffassung der contrahirenden Monarchen, und sie war es später, als Stein
und die deutschen Patrioten vor Metternich und dem östreichischen Interesse
in den Hintergrund raten, noch weniger.

Zwar könnte der breslauer Vertrag vom 19. März, der das kalischer
Vündniß ergänzte, in einigen seiner Züge so gedeutet werden, als ob Steins
und der übrigen Deutschgesinnten Plan, die deutschen Vasallen Napoleons
als Verräther ohne Weiteres abzusetzen, hätte verwirklicht werden sollen. Aber
schon der erste Artikel desselben schließt diese Interpretation aus, indem er nur
die deutschen Fürsten, welche der Aufforderung zur Theilnahme an der Befreiung
Deutschlands vom französischen Joche nicht Folge leisten sollten, mit dem Ver¬
luste ihrer Staaten bedrohte. Wenn es dann weiter hieß, es sollte ein zunächst
aus Abgeordneten Rußlands und Preußens bestehender Centralverwaltungsrath
Mit unbeschränkten Vollmachten gebildet werden, der in den besetzten Ländern
provisorische Verwaltungen herstellen, dieselben überwachen und ihnen die Grund¬
sätze vorzeichnen sollte, nach denen die Hilfsquellen der betreffenden Länder der
gemeinsamen Sache nützlich zu machen, so ist auch damit nicht gesagt, daß man
über die Fürsten dieser Länder hinwegzugehen vorhatte; denn der Vertrag be¬
stimmte ausdrücklich, daß jeder dem Preußisch-russischen Bündniß beitretende
deutsche Fürst zu jenem Centralverwaltungsrath ein Mitglied ernennen dürfe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/433>, abgerufen am 28.09.2024.