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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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hinter dem Rücken des sächsischen Patrioten," antworten wir unserm würdigen
Freunde. "Aber Sie thun wohl, sich zu trösten mit dem Trost der Deutschen:
Es konnte schlimmer kommen, und es ist keineswegs unmöglich, daß das. was
jetzt geschieden ist, einmal -- wenn auch in andrer Weise als Sie jetzt hoffen
mögen -- wieder vereinigt wird."

Hätte man damals in Dresden mehr gesagt, so wäre man in Gefahr ge¬
wesen, gesteinigt zu werden von der sächsischen Vaterlandsliebe; denn die deutsche,
hier auch jetzt noch ein Kind von mäßigem Wuchse, hätte, als noch in den
Windeln liegend, dabei nicht interveniren können. Jetzt läßt sich deutlicher
antworten, wenn der eine und der andere alte Herr sich noch über das Unrecht
entrüsten kann, welches durch die Theilung Sachsens begangen sein soll. Wir
begreifen die Empfindungen, ans denen die Feier des 7. Juni 18 is hervor,
ging, theilen aber können wir sie als Liebhaber der Gerechtigkeit nicht mehr.
Jene alten Herren lassen wir als unschädliche Nachzügler einer schon über den
Horizont entschwundenen Zeit nach ihrer Fayon selig werden. Dem jungen
Geschlecht aber sagen wir einfach: Lese die Geschichte, seht euch die Thatsachen
"n. urtheilt mit dem Verstände, der dazu gegeben ist, nicht mit dem Gefühle,
welches hier kein Recht mehr hat, dreinzureden, und laßt euch bei solcher ver¬
ständiger Betrachtung nicht durch ven Bertrag von Kalisch irremachen, der von
gewissen Escamoteurcn immer wieder gegen die rechte Auffassung der damaligen
Vorgänge in Sachsen aus der Tasche geholt wird.

Der Vertrag von Kalisch. am 27. Februar 1813 zu Breslau von preu-
bischer, am folgenden Tage zu Kalisch von russischer Seite unterzeichnet, war
die Frucht mchrwöchentlicher Unterhandlungen zwischen Kaiser Alexander und
Friedrich Wilhelm, welcher letztere beim Eintritt in dieses Bündniß zur Be¬
kämpfung Napoleons das Meiste wagte und darum erst nach langem Bedenken
Und erst als Stein den Ernst der Lage mit Nachdruck vorgestellt, zu endgiltigen
Abschluß zu bringen war. Als Ziel stellte der Vertrag für die durch ihn sich
verbündenden beiden Mächte die Befreiung Europas, als nächste Aufgabe die
Wiederaufrichtung Preußens in Verhältnissen auf, die dessen Ruhe und Sicher¬
heit verbürgten. Rußland sollte zu dem Zwecke 160.000, Preußen 80.000 Mann
ins Feld senden, die Mitwirkung der verfügbaren preußischen Truppen sofort
beginnen. Die Kriegsoperationen sollten unverzüglich verabredet werden. Die
beiden contrahirenden Mächte verpflichteten sich ferner, keinen einseitigen
Vertrag mit dem Feinde abzuschließen, sondern völlig gemeinsam zu han¬
deln, namentlich sofort vereint sich zu bemühen. Oestreich zum Beitritt zu
bewegen. Endlich versprach der Kaiser von Nußland nachdrückliche Unterstützung
hinsichtlich eines von Preußen ins Auge gefaßten Bündnisses mit England.

Zwei geheime Artikel des Vertrags lauteten:

"Art. 1. Da die völlige Sicherheit und Unabhängigkeit Preußens nur


hinter dem Rücken des sächsischen Patrioten," antworten wir unserm würdigen
Freunde. „Aber Sie thun wohl, sich zu trösten mit dem Trost der Deutschen:
Es konnte schlimmer kommen, und es ist keineswegs unmöglich, daß das. was
jetzt geschieden ist, einmal — wenn auch in andrer Weise als Sie jetzt hoffen
mögen — wieder vereinigt wird."

Hätte man damals in Dresden mehr gesagt, so wäre man in Gefahr ge¬
wesen, gesteinigt zu werden von der sächsischen Vaterlandsliebe; denn die deutsche,
hier auch jetzt noch ein Kind von mäßigem Wuchse, hätte, als noch in den
Windeln liegend, dabei nicht interveniren können. Jetzt läßt sich deutlicher
antworten, wenn der eine und der andere alte Herr sich noch über das Unrecht
entrüsten kann, welches durch die Theilung Sachsens begangen sein soll. Wir
begreifen die Empfindungen, ans denen die Feier des 7. Juni 18 is hervor,
ging, theilen aber können wir sie als Liebhaber der Gerechtigkeit nicht mehr.
Jene alten Herren lassen wir als unschädliche Nachzügler einer schon über den
Horizont entschwundenen Zeit nach ihrer Fayon selig werden. Dem jungen
Geschlecht aber sagen wir einfach: Lese die Geschichte, seht euch die Thatsachen
«n. urtheilt mit dem Verstände, der dazu gegeben ist, nicht mit dem Gefühle,
welches hier kein Recht mehr hat, dreinzureden, und laßt euch bei solcher ver¬
ständiger Betrachtung nicht durch ven Bertrag von Kalisch irremachen, der von
gewissen Escamoteurcn immer wieder gegen die rechte Auffassung der damaligen
Vorgänge in Sachsen aus der Tasche geholt wird.

Der Vertrag von Kalisch. am 27. Februar 1813 zu Breslau von preu-
bischer, am folgenden Tage zu Kalisch von russischer Seite unterzeichnet, war
die Frucht mchrwöchentlicher Unterhandlungen zwischen Kaiser Alexander und
Friedrich Wilhelm, welcher letztere beim Eintritt in dieses Bündniß zur Be¬
kämpfung Napoleons das Meiste wagte und darum erst nach langem Bedenken
Und erst als Stein den Ernst der Lage mit Nachdruck vorgestellt, zu endgiltigen
Abschluß zu bringen war. Als Ziel stellte der Vertrag für die durch ihn sich
verbündenden beiden Mächte die Befreiung Europas, als nächste Aufgabe die
Wiederaufrichtung Preußens in Verhältnissen auf, die dessen Ruhe und Sicher¬
heit verbürgten. Rußland sollte zu dem Zwecke 160.000, Preußen 80.000 Mann
ins Feld senden, die Mitwirkung der verfügbaren preußischen Truppen sofort
beginnen. Die Kriegsoperationen sollten unverzüglich verabredet werden. Die
beiden contrahirenden Mächte verpflichteten sich ferner, keinen einseitigen
Vertrag mit dem Feinde abzuschließen, sondern völlig gemeinsam zu han¬
deln, namentlich sofort vereint sich zu bemühen. Oestreich zum Beitritt zu
bewegen. Endlich versprach der Kaiser von Nußland nachdrückliche Unterstützung
hinsichtlich eines von Preußen ins Auge gefaßten Bündnisses mit England.

Zwei geheime Artikel des Vertrags lauteten:

„Art. 1. Da die völlige Sicherheit und Unabhängigkeit Preußens nur


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[0431] hinter dem Rücken des sächsischen Patrioten," antworten wir unserm würdigen Freunde. „Aber Sie thun wohl, sich zu trösten mit dem Trost der Deutschen: Es konnte schlimmer kommen, und es ist keineswegs unmöglich, daß das. was jetzt geschieden ist, einmal — wenn auch in andrer Weise als Sie jetzt hoffen mögen — wieder vereinigt wird." Hätte man damals in Dresden mehr gesagt, so wäre man in Gefahr ge¬ wesen, gesteinigt zu werden von der sächsischen Vaterlandsliebe; denn die deutsche, hier auch jetzt noch ein Kind von mäßigem Wuchse, hätte, als noch in den Windeln liegend, dabei nicht interveniren können. Jetzt läßt sich deutlicher antworten, wenn der eine und der andere alte Herr sich noch über das Unrecht entrüsten kann, welches durch die Theilung Sachsens begangen sein soll. Wir begreifen die Empfindungen, ans denen die Feier des 7. Juni 18 is hervor, ging, theilen aber können wir sie als Liebhaber der Gerechtigkeit nicht mehr. Jene alten Herren lassen wir als unschädliche Nachzügler einer schon über den Horizont entschwundenen Zeit nach ihrer Fayon selig werden. Dem jungen Geschlecht aber sagen wir einfach: Lese die Geschichte, seht euch die Thatsachen «n. urtheilt mit dem Verstände, der dazu gegeben ist, nicht mit dem Gefühle, welches hier kein Recht mehr hat, dreinzureden, und laßt euch bei solcher ver¬ ständiger Betrachtung nicht durch ven Bertrag von Kalisch irremachen, der von gewissen Escamoteurcn immer wieder gegen die rechte Auffassung der damaligen Vorgänge in Sachsen aus der Tasche geholt wird. Der Vertrag von Kalisch. am 27. Februar 1813 zu Breslau von preu- bischer, am folgenden Tage zu Kalisch von russischer Seite unterzeichnet, war die Frucht mchrwöchentlicher Unterhandlungen zwischen Kaiser Alexander und Friedrich Wilhelm, welcher letztere beim Eintritt in dieses Bündniß zur Be¬ kämpfung Napoleons das Meiste wagte und darum erst nach langem Bedenken Und erst als Stein den Ernst der Lage mit Nachdruck vorgestellt, zu endgiltigen Abschluß zu bringen war. Als Ziel stellte der Vertrag für die durch ihn sich verbündenden beiden Mächte die Befreiung Europas, als nächste Aufgabe die Wiederaufrichtung Preußens in Verhältnissen auf, die dessen Ruhe und Sicher¬ heit verbürgten. Rußland sollte zu dem Zwecke 160.000, Preußen 80.000 Mann ins Feld senden, die Mitwirkung der verfügbaren preußischen Truppen sofort beginnen. Die Kriegsoperationen sollten unverzüglich verabredet werden. Die beiden contrahirenden Mächte verpflichteten sich ferner, keinen einseitigen Vertrag mit dem Feinde abzuschließen, sondern völlig gemeinsam zu han¬ deln, namentlich sofort vereint sich zu bemühen. Oestreich zum Beitritt zu bewegen. Endlich versprach der Kaiser von Nußland nachdrückliche Unterstützung hinsichtlich eines von Preußen ins Auge gefaßten Bündnisses mit England. Zwei geheime Artikel des Vertrags lauteten: „Art. 1. Da die völlige Sicherheit und Unabhängigkeit Preußens nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/431>, abgerufen am 28.09.2024.