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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Daß die Gute sich wirklich in sauber gewaschener Haube und Hochzeitskleid
neben die Verse ans Fenster gesetzt hat -- selbstverständlich mit dem Strickstrumpf
-- ist die Krone der Reime.

"Ja, jetzt kann ihrs, Gott seis gedankt, niemand mehr wehren," seufzt
unser Begleiter. "Aber das war Ihnen eine traurige Zeit, diese anderthalb
Jahre seit Leipzig. Wissen Sie noch, wie von dem russischen Gouvernement der
Befehl kam, die Herrschaft aus dem Kirchengebet wegzulassen, als ob Friedrich
August nicht mehr unser Vater wäre, und wie unsere Bürgerschaft vergebens
bei Repnin, der sonst ein manierlicher Mann war. um Wiederaufhebung der
Ordre petitionirte? Und wie sie unseren vortrefflichen Appellationsrath Fleck,
dieweil er sich unterfangen, für eine an den wiener Congreß zu richtende Supplik
wegen Wiederherstellung Sachsens unter Friedrich August bei den Bürgern
Unterschriften zu sammeln, schnöde arrctirten und absetzten? Und erinnern Sie
sich, wie Rosen in Leipzig die Stände, die sich dort vereinigt, um eine ähnliche
unterthänigsie Eingabe an die verbündeten Monarchen zu entwerfen, unhöflich
auseinandcrtriev? Und wie dann im November vorigen Jahres gar die Preußen
sich hierhersetzten, der Recke und der Gaudy mit ihrem barschen, ungemüthlichen
Wesen, und wie -- 's ist nunmehro gerade vier Wochen -- der Blücher in Lüttich
unsre Gartenammer und Grenadiere decimiren und ihre Fahne verbrennen ließ,
blos weil sie nicht preußisch werden wollten. Es ist wahr, die Leute hatten
sich ein bischen ungestüm ausgedrückt und den Empereur dazu leben lassen,
was unter den obwaltenden Umständen nicht gerade zu loben war. Aber mußte
die grobe Excellenz darum die Fahne ins Feuer werfen lassen, die unsre Königin
gestickt? Und mußten sie dem König, der doch nur gezwungen bei Napoleon
ausgehalten, sein Erbland nehmen wollen? Mußten sie ihn als Gefangenen
wegführen, der nichts gethan, als sein Wort gehalten hatte? Ja diese Preu¬
ßen" -- hier macht unser sonst so sittsamer Freund eine drohende Geberde in
der Richtung der großenhainer Straße -- "wenn es nach ihrem Willen ge¬
gangen wäre, so hätten wir den heutigen schönen Tag nicht erlebt, so hätten
wir vielleicht wieder mit Schmerzen illuminirt, d. h. statt für unsern König
für den in Berlin. Es ist aber nach dem Willen der Franzosen und Oestreicher
gegangen, und so schwer es betrübt, daß diese alten Freunde der preußischen
Eroberungslust nicht alles wieder aus den Händen nehmen konnten, immerhin
ist doch das Schlimmste abgewendet, und wer weiß, ob nicht die Zukunft das
Getrennte wieder zusammenfügt."

"Eine sehr sorgenvolle Zeit voll Noth und Angst und Sehnsucht liegt


Daß die Gute sich wirklich in sauber gewaschener Haube und Hochzeitskleid
neben die Verse ans Fenster gesetzt hat — selbstverständlich mit dem Strickstrumpf
— ist die Krone der Reime.

»Ja, jetzt kann ihrs, Gott seis gedankt, niemand mehr wehren," seufzt
unser Begleiter. „Aber das war Ihnen eine traurige Zeit, diese anderthalb
Jahre seit Leipzig. Wissen Sie noch, wie von dem russischen Gouvernement der
Befehl kam, die Herrschaft aus dem Kirchengebet wegzulassen, als ob Friedrich
August nicht mehr unser Vater wäre, und wie unsere Bürgerschaft vergebens
bei Repnin, der sonst ein manierlicher Mann war. um Wiederaufhebung der
Ordre petitionirte? Und wie sie unseren vortrefflichen Appellationsrath Fleck,
dieweil er sich unterfangen, für eine an den wiener Congreß zu richtende Supplik
wegen Wiederherstellung Sachsens unter Friedrich August bei den Bürgern
Unterschriften zu sammeln, schnöde arrctirten und absetzten? Und erinnern Sie
sich, wie Rosen in Leipzig die Stände, die sich dort vereinigt, um eine ähnliche
unterthänigsie Eingabe an die verbündeten Monarchen zu entwerfen, unhöflich
auseinandcrtriev? Und wie dann im November vorigen Jahres gar die Preußen
sich hierhersetzten, der Recke und der Gaudy mit ihrem barschen, ungemüthlichen
Wesen, und wie — 's ist nunmehro gerade vier Wochen — der Blücher in Lüttich
unsre Gartenammer und Grenadiere decimiren und ihre Fahne verbrennen ließ,
blos weil sie nicht preußisch werden wollten. Es ist wahr, die Leute hatten
sich ein bischen ungestüm ausgedrückt und den Empereur dazu leben lassen,
was unter den obwaltenden Umständen nicht gerade zu loben war. Aber mußte
die grobe Excellenz darum die Fahne ins Feuer werfen lassen, die unsre Königin
gestickt? Und mußten sie dem König, der doch nur gezwungen bei Napoleon
ausgehalten, sein Erbland nehmen wollen? Mußten sie ihn als Gefangenen
wegführen, der nichts gethan, als sein Wort gehalten hatte? Ja diese Preu¬
ßen" — hier macht unser sonst so sittsamer Freund eine drohende Geberde in
der Richtung der großenhainer Straße — „wenn es nach ihrem Willen ge¬
gangen wäre, so hätten wir den heutigen schönen Tag nicht erlebt, so hätten
wir vielleicht wieder mit Schmerzen illuminirt, d. h. statt für unsern König
für den in Berlin. Es ist aber nach dem Willen der Franzosen und Oestreicher
gegangen, und so schwer es betrübt, daß diese alten Freunde der preußischen
Eroberungslust nicht alles wieder aus den Händen nehmen konnten, immerhin
ist doch das Schlimmste abgewendet, und wer weiß, ob nicht die Zukunft das
Getrennte wieder zusammenfügt."

„Eine sehr sorgenvolle Zeit voll Noth und Angst und Sehnsucht liegt


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[0430] Daß die Gute sich wirklich in sauber gewaschener Haube und Hochzeitskleid neben die Verse ans Fenster gesetzt hat — selbstverständlich mit dem Strickstrumpf — ist die Krone der Reime. »Ja, jetzt kann ihrs, Gott seis gedankt, niemand mehr wehren," seufzt unser Begleiter. „Aber das war Ihnen eine traurige Zeit, diese anderthalb Jahre seit Leipzig. Wissen Sie noch, wie von dem russischen Gouvernement der Befehl kam, die Herrschaft aus dem Kirchengebet wegzulassen, als ob Friedrich August nicht mehr unser Vater wäre, und wie unsere Bürgerschaft vergebens bei Repnin, der sonst ein manierlicher Mann war. um Wiederaufhebung der Ordre petitionirte? Und wie sie unseren vortrefflichen Appellationsrath Fleck, dieweil er sich unterfangen, für eine an den wiener Congreß zu richtende Supplik wegen Wiederherstellung Sachsens unter Friedrich August bei den Bürgern Unterschriften zu sammeln, schnöde arrctirten und absetzten? Und erinnern Sie sich, wie Rosen in Leipzig die Stände, die sich dort vereinigt, um eine ähnliche unterthänigsie Eingabe an die verbündeten Monarchen zu entwerfen, unhöflich auseinandcrtriev? Und wie dann im November vorigen Jahres gar die Preußen sich hierhersetzten, der Recke und der Gaudy mit ihrem barschen, ungemüthlichen Wesen, und wie — 's ist nunmehro gerade vier Wochen — der Blücher in Lüttich unsre Gartenammer und Grenadiere decimiren und ihre Fahne verbrennen ließ, blos weil sie nicht preußisch werden wollten. Es ist wahr, die Leute hatten sich ein bischen ungestüm ausgedrückt und den Empereur dazu leben lassen, was unter den obwaltenden Umständen nicht gerade zu loben war. Aber mußte die grobe Excellenz darum die Fahne ins Feuer werfen lassen, die unsre Königin gestickt? Und mußten sie dem König, der doch nur gezwungen bei Napoleon ausgehalten, sein Erbland nehmen wollen? Mußten sie ihn als Gefangenen wegführen, der nichts gethan, als sein Wort gehalten hatte? Ja diese Preu¬ ßen" — hier macht unser sonst so sittsamer Freund eine drohende Geberde in der Richtung der großenhainer Straße — „wenn es nach ihrem Willen ge¬ gangen wäre, so hätten wir den heutigen schönen Tag nicht erlebt, so hätten wir vielleicht wieder mit Schmerzen illuminirt, d. h. statt für unsern König für den in Berlin. Es ist aber nach dem Willen der Franzosen und Oestreicher gegangen, und so schwer es betrübt, daß diese alten Freunde der preußischen Eroberungslust nicht alles wieder aus den Händen nehmen konnten, immerhin ist doch das Schlimmste abgewendet, und wer weiß, ob nicht die Zukunft das Getrennte wieder zusammenfügt." „Eine sehr sorgenvolle Zeit voll Noth und Angst und Sehnsucht liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/430>, abgerufen am 28.09.2024.