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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Inzwischen war der Handel um die zwei Flaschen Branntwein immer noch
nicht abgeschlossen; K. verwais jedes Angebot, weil er wußte, das, die armen
Teufel auch ihre verborgensten Kleinodien dafür hingeben würden, sofern sie
solche überhaupt besäßen. Endlich schob ein altes Weib, das anscheinend theil¬
nahmlos einen Fisch in heißer Asche röstete, einen etwa zehnjährigen Knaben
vor, der trübselig und finster zwischen den Weibern kauerte, und befürwortete
mit großem Eifer dessen Verkauf. Sämmtliche Weiber schienen dem Knaben
abgeneigt und unterstützten so den Vorschlag der Alten, dem denn auch die
Männer ohne viel Zaudern und Besinnen zustimmten, und der Knabe wurde
für zwei Flaschen Branntwein fortgegeben. Stumm und gleichgiltig nahm er
sein Geschick entgegen; er schien sich so unheimlich und verlassen auf der einen,
wie auf der andern Seite zu fühlen, und es lag klar auf der Hand, daß er
als Kriegsbeute nur eine Gefangenschaft mit der andern vertauschte, jedenfalls
aber war sein Loos jetzt ein sehr viel glücklicheres geworden.

Der "rothe Drache" mußte vor der Uebergabe der beiden Flaschen die
Erklärung abgeben, daß der Friede zwischen uns nur bis zum Untergange der
Sonne von unserer Seite aufrecht erhalten, nach Sonnenuntergang aber als
aufgehoben betrachtet werden würde. Diese Drohung war von unserer Seite
leicht auszusprechen und sollte bezwecken, jede weitere Belästigung und alle
mögliche Gefahren nach dem Branntweingenusse von uns abzuwenden; um den
Eindruck derselben noch zu verschärfen, wurden beim Fortgange mehre Flinten-
salven abgefeuert, worauf das ganze Lager ein entsetzliches Geheul ausstieß.
Auf unerwartete Weise um ein menschliches Wesen vermehrt, kehrten wir dann
nach unserem Lagerplätze zurück, während sich die Rothhäute sofort zankend und
lärmend in den brennenden Inhalt der beiden Flaschen theilten.

Bis zum Untergang der Sonne war höchstens noch eine Stunde Zeit.
Wir schoben, ziemlich gespannt, mehre Posten vor. um die Bewegung des nun¬
mehr feindlichen Lagers zu beobachten. Deutlich gewahrte ich. der ich mich bei
dem vorgeschobenen Posten befand, wie die Weiber mit dem Niederreißen ihrer
Hütten und dem Zusammenpacke" ihrer Lasten beschäftigt waren, während die
Männer im Halbkreise niederkauerten, schweigsam das Gesicht nach Westen ge¬
richtet. Der Branntwein war. unter so Viele vertheilt, demnach nicht im Stande
gewesen, eine berauschende Wirkung hervorzurufen.

Unnachahmbar von menschlicher Kunst und Dichtung tauchten aus dem
Abcndborizonte wunderbar schöne, feurig glänzende Farben, Streifen an Streifen
gelehnt und sanft, kaum merklich ineinanderfließend, weit bis über den viertel
Himmelsbogen auf, während die noch einmal im letzten Sonnenstrahle frölilich
auflachende Erde sich in einen Duft von Gold und Purpur kleidete. Jede
Stirn, jedes grüne Blatt und jedes regungslose Gestein schien in jene wunder¬
thätige Fluth getaucht, welche dem Sterblichen beim Eintritt in die elysäischen


Inzwischen war der Handel um die zwei Flaschen Branntwein immer noch
nicht abgeschlossen; K. verwais jedes Angebot, weil er wußte, das, die armen
Teufel auch ihre verborgensten Kleinodien dafür hingeben würden, sofern sie
solche überhaupt besäßen. Endlich schob ein altes Weib, das anscheinend theil¬
nahmlos einen Fisch in heißer Asche röstete, einen etwa zehnjährigen Knaben
vor, der trübselig und finster zwischen den Weibern kauerte, und befürwortete
mit großem Eifer dessen Verkauf. Sämmtliche Weiber schienen dem Knaben
abgeneigt und unterstützten so den Vorschlag der Alten, dem denn auch die
Männer ohne viel Zaudern und Besinnen zustimmten, und der Knabe wurde
für zwei Flaschen Branntwein fortgegeben. Stumm und gleichgiltig nahm er
sein Geschick entgegen; er schien sich so unheimlich und verlassen auf der einen,
wie auf der andern Seite zu fühlen, und es lag klar auf der Hand, daß er
als Kriegsbeute nur eine Gefangenschaft mit der andern vertauschte, jedenfalls
aber war sein Loos jetzt ein sehr viel glücklicheres geworden.

Der „rothe Drache" mußte vor der Uebergabe der beiden Flaschen die
Erklärung abgeben, daß der Friede zwischen uns nur bis zum Untergange der
Sonne von unserer Seite aufrecht erhalten, nach Sonnenuntergang aber als
aufgehoben betrachtet werden würde. Diese Drohung war von unserer Seite
leicht auszusprechen und sollte bezwecken, jede weitere Belästigung und alle
mögliche Gefahren nach dem Branntweingenusse von uns abzuwenden; um den
Eindruck derselben noch zu verschärfen, wurden beim Fortgange mehre Flinten-
salven abgefeuert, worauf das ganze Lager ein entsetzliches Geheul ausstieß.
Auf unerwartete Weise um ein menschliches Wesen vermehrt, kehrten wir dann
nach unserem Lagerplätze zurück, während sich die Rothhäute sofort zankend und
lärmend in den brennenden Inhalt der beiden Flaschen theilten.

Bis zum Untergang der Sonne war höchstens noch eine Stunde Zeit.
Wir schoben, ziemlich gespannt, mehre Posten vor. um die Bewegung des nun¬
mehr feindlichen Lagers zu beobachten. Deutlich gewahrte ich. der ich mich bei
dem vorgeschobenen Posten befand, wie die Weiber mit dem Niederreißen ihrer
Hütten und dem Zusammenpacke» ihrer Lasten beschäftigt waren, während die
Männer im Halbkreise niederkauerten, schweigsam das Gesicht nach Westen ge¬
richtet. Der Branntwein war. unter so Viele vertheilt, demnach nicht im Stande
gewesen, eine berauschende Wirkung hervorzurufen.

Unnachahmbar von menschlicher Kunst und Dichtung tauchten aus dem
Abcndborizonte wunderbar schöne, feurig glänzende Farben, Streifen an Streifen
gelehnt und sanft, kaum merklich ineinanderfließend, weit bis über den viertel
Himmelsbogen auf, während die noch einmal im letzten Sonnenstrahle frölilich
auflachende Erde sich in einen Duft von Gold und Purpur kleidete. Jede
Stirn, jedes grüne Blatt und jedes regungslose Gestein schien in jene wunder¬
thätige Fluth getaucht, welche dem Sterblichen beim Eintritt in die elysäischen


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[0420] Inzwischen war der Handel um die zwei Flaschen Branntwein immer noch nicht abgeschlossen; K. verwais jedes Angebot, weil er wußte, das, die armen Teufel auch ihre verborgensten Kleinodien dafür hingeben würden, sofern sie solche überhaupt besäßen. Endlich schob ein altes Weib, das anscheinend theil¬ nahmlos einen Fisch in heißer Asche röstete, einen etwa zehnjährigen Knaben vor, der trübselig und finster zwischen den Weibern kauerte, und befürwortete mit großem Eifer dessen Verkauf. Sämmtliche Weiber schienen dem Knaben abgeneigt und unterstützten so den Vorschlag der Alten, dem denn auch die Männer ohne viel Zaudern und Besinnen zustimmten, und der Knabe wurde für zwei Flaschen Branntwein fortgegeben. Stumm und gleichgiltig nahm er sein Geschick entgegen; er schien sich so unheimlich und verlassen auf der einen, wie auf der andern Seite zu fühlen, und es lag klar auf der Hand, daß er als Kriegsbeute nur eine Gefangenschaft mit der andern vertauschte, jedenfalls aber war sein Loos jetzt ein sehr viel glücklicheres geworden. Der „rothe Drache" mußte vor der Uebergabe der beiden Flaschen die Erklärung abgeben, daß der Friede zwischen uns nur bis zum Untergange der Sonne von unserer Seite aufrecht erhalten, nach Sonnenuntergang aber als aufgehoben betrachtet werden würde. Diese Drohung war von unserer Seite leicht auszusprechen und sollte bezwecken, jede weitere Belästigung und alle mögliche Gefahren nach dem Branntweingenusse von uns abzuwenden; um den Eindruck derselben noch zu verschärfen, wurden beim Fortgange mehre Flinten- salven abgefeuert, worauf das ganze Lager ein entsetzliches Geheul ausstieß. Auf unerwartete Weise um ein menschliches Wesen vermehrt, kehrten wir dann nach unserem Lagerplätze zurück, während sich die Rothhäute sofort zankend und lärmend in den brennenden Inhalt der beiden Flaschen theilten. Bis zum Untergang der Sonne war höchstens noch eine Stunde Zeit. Wir schoben, ziemlich gespannt, mehre Posten vor. um die Bewegung des nun¬ mehr feindlichen Lagers zu beobachten. Deutlich gewahrte ich. der ich mich bei dem vorgeschobenen Posten befand, wie die Weiber mit dem Niederreißen ihrer Hütten und dem Zusammenpacke» ihrer Lasten beschäftigt waren, während die Männer im Halbkreise niederkauerten, schweigsam das Gesicht nach Westen ge¬ richtet. Der Branntwein war. unter so Viele vertheilt, demnach nicht im Stande gewesen, eine berauschende Wirkung hervorzurufen. Unnachahmbar von menschlicher Kunst und Dichtung tauchten aus dem Abcndborizonte wunderbar schöne, feurig glänzende Farben, Streifen an Streifen gelehnt und sanft, kaum merklich ineinanderfließend, weit bis über den viertel Himmelsbogen auf, während die noch einmal im letzten Sonnenstrahle frölilich auflachende Erde sich in einen Duft von Gold und Purpur kleidete. Jede Stirn, jedes grüne Blatt und jedes regungslose Gestein schien in jene wunder¬ thätige Fluth getaucht, welche dem Sterblichen beim Eintritt in die elysäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/420>, abgerufen am 28.09.2024.