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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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auf ein allgemeines inneres Bedürfniß. Würde es'der Renaissancestil thun?
Die kirchliche Renaissance -- von der weltlichen sprechen wir hier nicht -- ist,
wie sie sich bis jetzt entwickelt hat, eine unerfreuliche Mischung aller Stilarten.
Sie zerstreut den Geist, ohne ihn emporzureißen; sie macht ihn gleichgiltig,
ohne ihn zu ruhiger Annahme des Göttlichen zu stimmen. Sie ist recht das
Product einer Zeit, die nicht mehr kirchlich war, aber doch die alten Formen
nicht antasten mochte, auf die Gefahr hin, gelegentlich einmal wieder einge-
fangen und eingeschmiedet zu werden. Viel Reichthum und wenig Empfindung,
das verlegen gegebene, geziert überreichte, überladene Geschenk abgekühlter
Freundschaft. Ein wahres Jesuitenproduct, weil nur äußere Unterwerfung,
Convenienz, nicht inneres Ergriffensein ausgedrückt wird. So wahr es ist. daß
die Religion das Leben wie die Seele ihren Leib durchdringen soll. -- wenn
man etwa dies aus der halbweltlichen Renaissancekirche herauslesen wollte --
so fragt sich doch, ob sich diese Beziehung durch Einmischung weltlicher Motive
in den kirchlichen Grundcharakter des Baues bezeichnen lasse. Ob es überhaupt
in den Mitteln der Architektur liegt, ein solches complicirtes Verhältniß wirksam
zu gestalten? Sie stellt für den ungebrochenen, naiven, in ungetrübter Un¬
mittelbarkeit lebenden Griechen den Tempel hin, die Basilika für die feierliche
Erwartung der Christenheit, welche der zweiten Zukunft Christi entgegensah,
den romanischen Dom für das vor den Augen der anbetenden Menschen sich
vollziehende Geheimniß des Erlösungsopfers, für eine Religion endlich, welche
das Diesseits verwarf und nur das Jenseits wollte, das gothische Münster.
Hier waren lauter deutlich ausgesprochene, einfache Verhältnisse darzustellen.
Aber eine innere Bewegung des religiösen Bewußtseins, ein Wegflreben vom
Einzelnen und Nächsten zum Allgemeinen und Höheren, und wieder ein Zurück¬
greifen ins Irdische auszudrücken, wird außer dem Vermögen der Archi¬
tektur sein.

Wenigstens hat es der Protestantismus nicht zu einem besonderen Kirchen¬
stile gebracht. Und warum soll er suchen es zu thun? Wollte man für den
Protestantischen Gottesdienst bauen, wie er nun einmal ist, so würde, wie ge¬
sagt, der einfache herrnhutische Saal genügen; denn die Predigt hat alle anderen
Cultusfactoren so gut wie ganz absorbirt. Wir nehmen selbst den Gemeinde¬
gesang nicht aus, der im Laufe der Zeit bis zur vollständigen Unerquicklichkeit
vernachlässigt ist. Der Kriegszustand, in welchem die junge evangelische Kirche
durch unglückliche politische Verhältnisse länger, als gut war, erhalten wurde und
in dem die Predigt sich als ihre natürliche Waffe darbot, hat sich gar über den
Religionsfrieden hinaus verschleppt, und man predigt heute noch so übertrieben
fleißig wie im sechzehnten Jahrhundert, als ob das Bedürfniß nach religiöser
Unterweisung nicht längst durch Schule und Literatur befriedigt würde, während
das Bedürfniß nach ausdrucksvollen Cultusformen, innerhalb deren natürlich


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auf ein allgemeines inneres Bedürfniß. Würde es'der Renaissancestil thun?
Die kirchliche Renaissance — von der weltlichen sprechen wir hier nicht — ist,
wie sie sich bis jetzt entwickelt hat, eine unerfreuliche Mischung aller Stilarten.
Sie zerstreut den Geist, ohne ihn emporzureißen; sie macht ihn gleichgiltig,
ohne ihn zu ruhiger Annahme des Göttlichen zu stimmen. Sie ist recht das
Product einer Zeit, die nicht mehr kirchlich war, aber doch die alten Formen
nicht antasten mochte, auf die Gefahr hin, gelegentlich einmal wieder einge-
fangen und eingeschmiedet zu werden. Viel Reichthum und wenig Empfindung,
das verlegen gegebene, geziert überreichte, überladene Geschenk abgekühlter
Freundschaft. Ein wahres Jesuitenproduct, weil nur äußere Unterwerfung,
Convenienz, nicht inneres Ergriffensein ausgedrückt wird. So wahr es ist. daß
die Religion das Leben wie die Seele ihren Leib durchdringen soll. — wenn
man etwa dies aus der halbweltlichen Renaissancekirche herauslesen wollte —
so fragt sich doch, ob sich diese Beziehung durch Einmischung weltlicher Motive
in den kirchlichen Grundcharakter des Baues bezeichnen lasse. Ob es überhaupt
in den Mitteln der Architektur liegt, ein solches complicirtes Verhältniß wirksam
zu gestalten? Sie stellt für den ungebrochenen, naiven, in ungetrübter Un¬
mittelbarkeit lebenden Griechen den Tempel hin, die Basilika für die feierliche
Erwartung der Christenheit, welche der zweiten Zukunft Christi entgegensah,
den romanischen Dom für das vor den Augen der anbetenden Menschen sich
vollziehende Geheimniß des Erlösungsopfers, für eine Religion endlich, welche
das Diesseits verwarf und nur das Jenseits wollte, das gothische Münster.
Hier waren lauter deutlich ausgesprochene, einfache Verhältnisse darzustellen.
Aber eine innere Bewegung des religiösen Bewußtseins, ein Wegflreben vom
Einzelnen und Nächsten zum Allgemeinen und Höheren, und wieder ein Zurück¬
greifen ins Irdische auszudrücken, wird außer dem Vermögen der Archi¬
tektur sein.

Wenigstens hat es der Protestantismus nicht zu einem besonderen Kirchen¬
stile gebracht. Und warum soll er suchen es zu thun? Wollte man für den
Protestantischen Gottesdienst bauen, wie er nun einmal ist, so würde, wie ge¬
sagt, der einfache herrnhutische Saal genügen; denn die Predigt hat alle anderen
Cultusfactoren so gut wie ganz absorbirt. Wir nehmen selbst den Gemeinde¬
gesang nicht aus, der im Laufe der Zeit bis zur vollständigen Unerquicklichkeit
vernachlässigt ist. Der Kriegszustand, in welchem die junge evangelische Kirche
durch unglückliche politische Verhältnisse länger, als gut war, erhalten wurde und
in dem die Predigt sich als ihre natürliche Waffe darbot, hat sich gar über den
Religionsfrieden hinaus verschleppt, und man predigt heute noch so übertrieben
fleißig wie im sechzehnten Jahrhundert, als ob das Bedürfniß nach religiöser
Unterweisung nicht längst durch Schule und Literatur befriedigt würde, während
das Bedürfniß nach ausdrucksvollen Cultusformen, innerhalb deren natürlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/411>, abgerufen am 29.06.2024.