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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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aufzuweisen hat. Mammonsdienst! schallt es aus den Gotteshäusern. Nun
gut, etwas Mammonsdienst allerdings; aber Mammon ist heutzutage kein
wollüstiger Sultan, sondern ein Herkules von einem Arbeitsknechte. Und so¬
dann, diese Weltkinder arbeiten nicht mehr ein jedes für sich, sondern in großen
Verbindungen.. Die sociale Signatur unserer Zeit ist die Genossenschaft. Und
alle Genossenschaft ist Zucht zum Ganzen und erstickt den Egoismus. Somit
hat sie, mehr wollen wir nicht sagen, mit der Religion die Wirkung gemein.
Keine Spur von Sentimentalität freilich in diesen großen gemeinschaftlichen
Actionen, aber sie reißen den Menschen aus sich hervor, nöthigen ihn. seine
Muskeln anzuspannen, in lebendigem Streben sich jun, zu erhalten, flößen
ihm freudigen Lebensmuth ein und lassen die Laster nicht aufkommen, die der
Einsamkeit und Faulheit entstammen. Sollte die Zeit nicht kommen, wo dieser
Geist der Arbeit und der Genossenschaft seiner selbst bewußt wird, sich tiefer
erfaßt und erkennt als das, was er ist, wo er die Anknüpfung wiederfindet an
die zerrissene religiöse Entwickelung? Wo der Mensch neben jenem Hange zur
bloßen Realität auch den Trieb in sich wiedererkennt, den Inhalt seines Lebens
in symbolischen Formen anzuschauen und mit sich selbst und seinem Gott in
innerer Ruhe allein zu sein? Stunden der Sammlung gegen die zerstreuenden
Einflüsse des Lebens zu haben?

Bis dahin -- aus welchem Geiste soll man Kirchen bauen? Aus dem
des jungen Geistlichen, der unter innerer Selbstanklage die Kanzeltreppc hinauf-
steigt, um oben den heiligen Wahrheitstrieb seines Herzens todtzupredigen und
der heruntersteige mit der Frage, wie man es anfangen solle, sich den Glauben
anzueignen, den Gott allein als ein Geschenk der Gnade in uns legt und ohne
den wir doch verdammt werden? Oder aus dem Bewußtsein dessen, der da
weiß, daß er ein Protestant ist, weil er mit seiner Unterschrift den Buchstaben
des protestantischen Bekenntnisses zu lehren zugesichert hat. und der sich nun
gegen Zweifel und Ueberstürzung. gegen Aberglauben und Unglauben assecurirt
fühlt? Oder dessen, der am liebsten in den beruhigenden Zwang der allein¬
seligmachenden Kirche zurückkehrte? Oder soll man für die Laienwelt bauen,
wie sie nun einmal ist, tüchtig und nüchtern und poesielos? In ihrer Neigung
für das Wesentliche, Praktische würde sie den schmucklosen herrnhutischen Bet¬
saal ausreichend und angemessen finden. Gott bewahre uns davor! Von den
Vielen aber unter Geistlichen und Laien, die innerlich religiös, aber frei von
dem Zwange todter Ueberlieferungen, die bessere Zukunft erstreben und erhoffen,
einstweilen ein praktisches Christenthum leben und ihr religiöses, wir meinen
hier ihr Cultusbedürfniß, gelegentlich und in freien Formen befriedigen, wie
sie der Zufall bietet, von diesen braucht hier nicht die Rede zu sein, weil sie
der Zukunft angehören.

Weder der gothische, noch der romanische, noch der Basiiikenstil träfe jeht


aufzuweisen hat. Mammonsdienst! schallt es aus den Gotteshäusern. Nun
gut, etwas Mammonsdienst allerdings; aber Mammon ist heutzutage kein
wollüstiger Sultan, sondern ein Herkules von einem Arbeitsknechte. Und so¬
dann, diese Weltkinder arbeiten nicht mehr ein jedes für sich, sondern in großen
Verbindungen.. Die sociale Signatur unserer Zeit ist die Genossenschaft. Und
alle Genossenschaft ist Zucht zum Ganzen und erstickt den Egoismus. Somit
hat sie, mehr wollen wir nicht sagen, mit der Religion die Wirkung gemein.
Keine Spur von Sentimentalität freilich in diesen großen gemeinschaftlichen
Actionen, aber sie reißen den Menschen aus sich hervor, nöthigen ihn. seine
Muskeln anzuspannen, in lebendigem Streben sich jun, zu erhalten, flößen
ihm freudigen Lebensmuth ein und lassen die Laster nicht aufkommen, die der
Einsamkeit und Faulheit entstammen. Sollte die Zeit nicht kommen, wo dieser
Geist der Arbeit und der Genossenschaft seiner selbst bewußt wird, sich tiefer
erfaßt und erkennt als das, was er ist, wo er die Anknüpfung wiederfindet an
die zerrissene religiöse Entwickelung? Wo der Mensch neben jenem Hange zur
bloßen Realität auch den Trieb in sich wiedererkennt, den Inhalt seines Lebens
in symbolischen Formen anzuschauen und mit sich selbst und seinem Gott in
innerer Ruhe allein zu sein? Stunden der Sammlung gegen die zerstreuenden
Einflüsse des Lebens zu haben?

Bis dahin — aus welchem Geiste soll man Kirchen bauen? Aus dem
des jungen Geistlichen, der unter innerer Selbstanklage die Kanzeltreppc hinauf-
steigt, um oben den heiligen Wahrheitstrieb seines Herzens todtzupredigen und
der heruntersteige mit der Frage, wie man es anfangen solle, sich den Glauben
anzueignen, den Gott allein als ein Geschenk der Gnade in uns legt und ohne
den wir doch verdammt werden? Oder aus dem Bewußtsein dessen, der da
weiß, daß er ein Protestant ist, weil er mit seiner Unterschrift den Buchstaben
des protestantischen Bekenntnisses zu lehren zugesichert hat. und der sich nun
gegen Zweifel und Ueberstürzung. gegen Aberglauben und Unglauben assecurirt
fühlt? Oder dessen, der am liebsten in den beruhigenden Zwang der allein¬
seligmachenden Kirche zurückkehrte? Oder soll man für die Laienwelt bauen,
wie sie nun einmal ist, tüchtig und nüchtern und poesielos? In ihrer Neigung
für das Wesentliche, Praktische würde sie den schmucklosen herrnhutischen Bet¬
saal ausreichend und angemessen finden. Gott bewahre uns davor! Von den
Vielen aber unter Geistlichen und Laien, die innerlich religiös, aber frei von
dem Zwange todter Ueberlieferungen, die bessere Zukunft erstreben und erhoffen,
einstweilen ein praktisches Christenthum leben und ihr religiöses, wir meinen
hier ihr Cultusbedürfniß, gelegentlich und in freien Formen befriedigen, wie
sie der Zufall bietet, von diesen braucht hier nicht die Rede zu sein, weil sie
der Zukunft angehören.

Weder der gothische, noch der romanische, noch der Basiiikenstil träfe jeht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/410>, abgerufen am 29.06.2024.