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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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die Steuerforderung der Regierung ist jenes Gesetz der genügende Rechtstitel.
Andrerseits würden aber auch die Volksvertreter obige Artikel der Verfassung
verletzen, wenn sie die gemäß obiger Ausführung nunmehr bestehende Steuer
in dem Budget für 1865 -- mag dies an sich zur Erhebung der Steuer auch
nicht mehr erforderlich sein -- nicht annähmen, sondern verwürfen. "Denn
die bestehenden Steuern bilden eine verfassungsmäßig nothwendige Einnahme-
Position des jedesmaligen Budgets." -- Was Waldeck alsdann zur geschichtlichen
Interpretation der Artikel 99, 100 und 109 anführt, ist gewiß nicht mit dem
wohlfeilen und ungehörigen "Kammerklatsch" des Abgeordneten Stavenhagen
gegen Frentzel abzufertigen, findet aber in obiger geschichtlicher Ausführung
seine Erledigung. Versteht er unter den "bestehenden Steuern und Abgaben"
des Art. 109 nur diejenigen, welche 18S0 bestanden, so faßt er den Art. 109
immer noch als Uebergangsbestimmung, nicht als den bleibenden Theil der Ler
fassung. als welcher Art. 109 heute in unsrer Verfassungsurkunde steht, und
zu welchem er auf dem oben gezeichneten geschichtlichen Wege wurde. Dies
aber ist der Angelpunkt des ganzen Widerstreits der Ansichten. Wenn Gneist
davon absehen, den Art. 109 fortdenken will und nur betont, die Gebäude-
steuer beruhe auf dem Gesetze von 1861 und dieses könne nur durch ein
Gesetz in Uebereinstimmung der drei gesetzgebenden Factoren (Art. 62) ganz oder
theilweise beseitigt werden, so hilft dies zur Erledigung des Conflictes gar
nichts; denn das ist ja eben die principielle Frage hierbei, ob und in wie weit
ein Steuergesetz, wie das von 1861, durch die Artikel 99, 100 und 109 nicht
von den allgemeinen Bestimmungen der Verfassung über die Viränderung und
Aufhebung der Gesetze ausgenommen sei. Zur Erledigung dieser Frage muß
man auf den Art. 109 eingehen.

Löwe vindicirt -- gegenüber den obigen Artikeln der Verfassung ohne
gesetzlichen Grund -- der Kammer ein volles constitutionelles Steuerbewilligungs¬
recht. Dann führt er aus, die Umstände, welche 1861 das Gesetz über die
neue Steuer nöthig machten, hätten alle sich jetzt geändert. (Staatsausgaben,
gesteigerte Einnahmen, erschöpfte Steuerkraft, Budgetlosigkeit.) Daher würden
die damaligen Gesetzgeber heute nicht das Gesetz der Gebäudesteuer annehmen;
auf die lAtio Isgis komme es an. -- Man ersieht, der Redner verwechselt eben¬
falls die Fälligkeit der Steuer vom 1. Januar 1866 mit dem seit 1861 bereits
bestehenden Gesetze ihrer Begründung. Laut obiger Ausführung muß er zur
Verwirklichung seiner Ansichten ein Gesetz beantragen über die Beseitigung der
Gebäudesteuer, oder über die Erweiterung des Steuerbewilligungsrechts des Ab¬
geordnetenhauses zu einem wirklich constitutionellen. Beides wäre vergeblich
und das ist trostlos -- aber gesetzlich. Der von Löwe und seinen Stimmge¬
nossen in dieser Frage angerathene oder beantragte Hilfeweg verläßt den ge¬
setzlichen Boden. Will man das, so bedarf es keiner Debatte, keiner Beschlüsse.


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die Steuerforderung der Regierung ist jenes Gesetz der genügende Rechtstitel.
Andrerseits würden aber auch die Volksvertreter obige Artikel der Verfassung
verletzen, wenn sie die gemäß obiger Ausführung nunmehr bestehende Steuer
in dem Budget für 1865 — mag dies an sich zur Erhebung der Steuer auch
nicht mehr erforderlich sein — nicht annähmen, sondern verwürfen. „Denn
die bestehenden Steuern bilden eine verfassungsmäßig nothwendige Einnahme-
Position des jedesmaligen Budgets." — Was Waldeck alsdann zur geschichtlichen
Interpretation der Artikel 99, 100 und 109 anführt, ist gewiß nicht mit dem
wohlfeilen und ungehörigen „Kammerklatsch" des Abgeordneten Stavenhagen
gegen Frentzel abzufertigen, findet aber in obiger geschichtlicher Ausführung
seine Erledigung. Versteht er unter den „bestehenden Steuern und Abgaben"
des Art. 109 nur diejenigen, welche 18S0 bestanden, so faßt er den Art. 109
immer noch als Uebergangsbestimmung, nicht als den bleibenden Theil der Ler
fassung. als welcher Art. 109 heute in unsrer Verfassungsurkunde steht, und
zu welchem er auf dem oben gezeichneten geschichtlichen Wege wurde. Dies
aber ist der Angelpunkt des ganzen Widerstreits der Ansichten. Wenn Gneist
davon absehen, den Art. 109 fortdenken will und nur betont, die Gebäude-
steuer beruhe auf dem Gesetze von 1861 und dieses könne nur durch ein
Gesetz in Uebereinstimmung der drei gesetzgebenden Factoren (Art. 62) ganz oder
theilweise beseitigt werden, so hilft dies zur Erledigung des Conflictes gar
nichts; denn das ist ja eben die principielle Frage hierbei, ob und in wie weit
ein Steuergesetz, wie das von 1861, durch die Artikel 99, 100 und 109 nicht
von den allgemeinen Bestimmungen der Verfassung über die Viränderung und
Aufhebung der Gesetze ausgenommen sei. Zur Erledigung dieser Frage muß
man auf den Art. 109 eingehen.

Löwe vindicirt — gegenüber den obigen Artikeln der Verfassung ohne
gesetzlichen Grund — der Kammer ein volles constitutionelles Steuerbewilligungs¬
recht. Dann führt er aus, die Umstände, welche 1861 das Gesetz über die
neue Steuer nöthig machten, hätten alle sich jetzt geändert. (Staatsausgaben,
gesteigerte Einnahmen, erschöpfte Steuerkraft, Budgetlosigkeit.) Daher würden
die damaligen Gesetzgeber heute nicht das Gesetz der Gebäudesteuer annehmen;
auf die lAtio Isgis komme es an. — Man ersieht, der Redner verwechselt eben¬
falls die Fälligkeit der Steuer vom 1. Januar 1866 mit dem seit 1861 bereits
bestehenden Gesetze ihrer Begründung. Laut obiger Ausführung muß er zur
Verwirklichung seiner Ansichten ein Gesetz beantragen über die Beseitigung der
Gebäudesteuer, oder über die Erweiterung des Steuerbewilligungsrechts des Ab¬
geordnetenhauses zu einem wirklich constitutionellen. Beides wäre vergeblich
und das ist trostlos — aber gesetzlich. Der von Löwe und seinen Stimmge¬
nossen in dieser Frage angerathene oder beantragte Hilfeweg verläßt den ge¬
setzlichen Boden. Will man das, so bedarf es keiner Debatte, keiner Beschlüsse.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/403>, abgerufen am 29.06.2024.