Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Revisionsverhandlungen der Kammern 1849 in Menge beibringen; man verwies
dabei gerade auf Art. 99, welcher den Kammern das Ausgabeverweiger¬
ungsrecht an Stelle des in Art. 109 enthaltenen Steuerverweigerungs¬
rechtes sichere.

Aus dieser geschichtlichen Vorführung erhellt der oben angegebene Sinn des
heutigen Art. 109. Er beschränkt auf das Aeußerste in der angegebenen Weise
das constitutionelle Steuerbewiliigungsrecht (Art. 99. und 100.) der Volksver-
treter und bleibt -- eine neue Perle unseres Scheinconstitutionalismus -- in
der Hauptsache bei dem Beschlusse der Bundesversammlung vom 28. Juni 1832
(!) Art. 2 stehen: "Keinem deutschen Souverain dürfen durch die Landstände
die zur Führung einer der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforder¬
lichen Mittel verweigert werden." (v. Meyer, Lorx. covst. Kerw. I. p. 74.)

Mag man dies für Preußen und Deutschland noch so unwillig tragen,
noch so schwer fühlen, man muß es als geltendes Gesetz der Gegenwart an¬
erkennen und kann es nur auf gesetzlichem Wege ändern (Art. 107; 62.).

Wendet man die bisher entwickelten Grundsätze auf die in gewissem Sinne
noch schwebende Frage der Gebäudesteuer an, so zeigt sich, daß die zweite Kammer
nicht berechtigt war, den auf Grund des Gesetzes von 1861 durch die
Regierung in dem Budgetentwurf von 1865 aufgeführten Posten der Gebäude-
steuer lediglich abzusetzen. Denn die gesetzlich seit 1861 bestehende, vom 1. Januar
1865 ab fällige Steuer konnte gemäß Obigem verfassungsmäßig nur ein Gesetz
beseitigen. Die Gründe, welche die Redner der entgegengesetzten Ansicht, be¬
sonders Waldeck, Löwe. Schulze-Delitzsch, am 13. Mai d. I. für die von ihnen
beantragte und vertheidigte Absetzung der Steuer anführen, erweisen sich als
nicht stichhaltig.

Waldeck sieht die Steuer als noch nicht bestehende dem Hause gegenüber
an, weil sie erst mit dem 1. Januar 1865 fällig, das Budget aber gemäß
Art. 99 der Verfassung vor Beginn des Budgetjahres festgestellt werden soll.
Wenn auch die Praxis bisher das "im Voraus" des Art. 99 stets illusorisch
gemacht hat, ja nach dem Gesetze vom 18. Mai 1857 über die Einberufung
der Kammern vom November bis Mitte Januar illusorisch machen muß, so
hat Waldeck doch sicher darin Recht, daß das Haus die Gebäudesteuer jetzt so
ansehen muß, als wäre sie vom bevorstehenden 1. Januar 1865 erst fällig.
Aber, wie oben gezeigt, liegt darin kein Heil für Waldccks Ansicht. Die
Steuer ist zwar erst vom 1. Januar 1865 fällig, aber das Recht der Regierung
und die Pflicht der Bürger, sie von dieser Zeit ab zu fordern resp, zu zahlen,
bestehen schon seit dem Gesetze von 1861 und durch dieses. Damit besteht be.
reits die Steuer vor dem 1. Januar Itz65. Schon durch das Gesetz von 1861
allein sind die preußischen Staatsbürger gemäß Art. 99, 100. 109 verpflichtet,
vom 1. Januar 1865 ab der Regierung die Gebäudesteuer zu zahlen; denn für


Revisionsverhandlungen der Kammern 1849 in Menge beibringen; man verwies
dabei gerade auf Art. 99, welcher den Kammern das Ausgabeverweiger¬
ungsrecht an Stelle des in Art. 109 enthaltenen Steuerverweigerungs¬
rechtes sichere.

Aus dieser geschichtlichen Vorführung erhellt der oben angegebene Sinn des
heutigen Art. 109. Er beschränkt auf das Aeußerste in der angegebenen Weise
das constitutionelle Steuerbewiliigungsrecht (Art. 99. und 100.) der Volksver-
treter und bleibt — eine neue Perle unseres Scheinconstitutionalismus — in
der Hauptsache bei dem Beschlusse der Bundesversammlung vom 28. Juni 1832
(!) Art. 2 stehen: „Keinem deutschen Souverain dürfen durch die Landstände
die zur Führung einer der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforder¬
lichen Mittel verweigert werden." (v. Meyer, Lorx. covst. Kerw. I. p. 74.)

Mag man dies für Preußen und Deutschland noch so unwillig tragen,
noch so schwer fühlen, man muß es als geltendes Gesetz der Gegenwart an¬
erkennen und kann es nur auf gesetzlichem Wege ändern (Art. 107; 62.).

Wendet man die bisher entwickelten Grundsätze auf die in gewissem Sinne
noch schwebende Frage der Gebäudesteuer an, so zeigt sich, daß die zweite Kammer
nicht berechtigt war, den auf Grund des Gesetzes von 1861 durch die
Regierung in dem Budgetentwurf von 1865 aufgeführten Posten der Gebäude-
steuer lediglich abzusetzen. Denn die gesetzlich seit 1861 bestehende, vom 1. Januar
1865 ab fällige Steuer konnte gemäß Obigem verfassungsmäßig nur ein Gesetz
beseitigen. Die Gründe, welche die Redner der entgegengesetzten Ansicht, be¬
sonders Waldeck, Löwe. Schulze-Delitzsch, am 13. Mai d. I. für die von ihnen
beantragte und vertheidigte Absetzung der Steuer anführen, erweisen sich als
nicht stichhaltig.

Waldeck sieht die Steuer als noch nicht bestehende dem Hause gegenüber
an, weil sie erst mit dem 1. Januar 1865 fällig, das Budget aber gemäß
Art. 99 der Verfassung vor Beginn des Budgetjahres festgestellt werden soll.
Wenn auch die Praxis bisher das „im Voraus" des Art. 99 stets illusorisch
gemacht hat, ja nach dem Gesetze vom 18. Mai 1857 über die Einberufung
der Kammern vom November bis Mitte Januar illusorisch machen muß, so
hat Waldeck doch sicher darin Recht, daß das Haus die Gebäudesteuer jetzt so
ansehen muß, als wäre sie vom bevorstehenden 1. Januar 1865 erst fällig.
Aber, wie oben gezeigt, liegt darin kein Heil für Waldccks Ansicht. Die
Steuer ist zwar erst vom 1. Januar 1865 fällig, aber das Recht der Regierung
und die Pflicht der Bürger, sie von dieser Zeit ab zu fordern resp, zu zahlen,
bestehen schon seit dem Gesetze von 1861 und durch dieses. Damit besteht be.
reits die Steuer vor dem 1. Januar Itz65. Schon durch das Gesetz von 1861
allein sind die preußischen Staatsbürger gemäß Art. 99, 100. 109 verpflichtet,
vom 1. Januar 1865 ab der Regierung die Gebäudesteuer zu zahlen; denn für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283199"/>
          <p xml:id="ID_1297" prev="#ID_1296"> Revisionsverhandlungen der Kammern 1849 in Menge beibringen; man verwies<lb/>
dabei gerade auf Art. 99, welcher den Kammern das Ausgabeverweiger¬<lb/>
ungsrecht an Stelle des in Art. 109 enthaltenen Steuerverweigerungs¬<lb/>
rechtes sichere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1298"> Aus dieser geschichtlichen Vorführung erhellt der oben angegebene Sinn des<lb/>
heutigen Art. 109. Er beschränkt auf das Aeußerste in der angegebenen Weise<lb/>
das constitutionelle Steuerbewiliigungsrecht (Art. 99. und 100.) der Volksver-<lb/>
treter und bleibt &#x2014; eine neue Perle unseres Scheinconstitutionalismus &#x2014; in<lb/>
der Hauptsache bei dem Beschlusse der Bundesversammlung vom 28. Juni 1832<lb/>
(!) Art. 2 stehen: &#x201E;Keinem deutschen Souverain dürfen durch die Landstände<lb/>
die zur Führung einer der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforder¬<lb/>
lichen Mittel verweigert werden." (v. Meyer, Lorx. covst. Kerw. I. p. 74.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> Mag man dies für Preußen und Deutschland noch so unwillig tragen,<lb/>
noch so schwer fühlen, man muß es als geltendes Gesetz der Gegenwart an¬<lb/>
erkennen und kann es nur auf gesetzlichem Wege ändern (Art. 107; 62.).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300"> Wendet man die bisher entwickelten Grundsätze auf die in gewissem Sinne<lb/>
noch schwebende Frage der Gebäudesteuer an, so zeigt sich, daß die zweite Kammer<lb/>
nicht berechtigt war, den auf Grund des Gesetzes von 1861 durch die<lb/>
Regierung in dem Budgetentwurf von 1865 aufgeführten Posten der Gebäude-<lb/>
steuer lediglich abzusetzen. Denn die gesetzlich seit 1861 bestehende, vom 1. Januar<lb/>
1865 ab fällige Steuer konnte gemäß Obigem verfassungsmäßig nur ein Gesetz<lb/>
beseitigen. Die Gründe, welche die Redner der entgegengesetzten Ansicht, be¬<lb/>
sonders Waldeck, Löwe. Schulze-Delitzsch, am 13. Mai d. I. für die von ihnen<lb/>
beantragte und vertheidigte Absetzung der Steuer anführen, erweisen sich als<lb/>
nicht stichhaltig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" next="#ID_1302"> Waldeck sieht die Steuer als noch nicht bestehende dem Hause gegenüber<lb/>
an, weil sie erst mit dem 1. Januar 1865 fällig, das Budget aber gemäß<lb/>
Art. 99 der Verfassung vor Beginn des Budgetjahres festgestellt werden soll.<lb/>
Wenn auch die Praxis bisher das &#x201E;im Voraus" des Art. 99 stets illusorisch<lb/>
gemacht hat, ja nach dem Gesetze vom 18. Mai 1857 über die Einberufung<lb/>
der Kammern vom November bis Mitte Januar illusorisch machen muß, so<lb/>
hat Waldeck doch sicher darin Recht, daß das Haus die Gebäudesteuer jetzt so<lb/>
ansehen muß, als wäre sie vom bevorstehenden 1. Januar 1865 erst fällig.<lb/>
Aber, wie oben gezeigt, liegt darin kein Heil für Waldccks Ansicht. Die<lb/>
Steuer ist zwar erst vom 1. Januar 1865 fällig, aber das Recht der Regierung<lb/>
und die Pflicht der Bürger, sie von dieser Zeit ab zu fordern resp, zu zahlen,<lb/>
bestehen schon seit dem Gesetze von 1861 und durch dieses. Damit besteht be.<lb/>
reits die Steuer vor dem 1. Januar Itz65. Schon durch das Gesetz von 1861<lb/>
allein sind die preußischen Staatsbürger gemäß Art. 99, 100. 109 verpflichtet,<lb/>
vom 1. Januar 1865 ab der Regierung die Gebäudesteuer zu zahlen; denn für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Revisionsverhandlungen der Kammern 1849 in Menge beibringen; man verwies dabei gerade auf Art. 99, welcher den Kammern das Ausgabeverweiger¬ ungsrecht an Stelle des in Art. 109 enthaltenen Steuerverweigerungs¬ rechtes sichere. Aus dieser geschichtlichen Vorführung erhellt der oben angegebene Sinn des heutigen Art. 109. Er beschränkt auf das Aeußerste in der angegebenen Weise das constitutionelle Steuerbewiliigungsrecht (Art. 99. und 100.) der Volksver- treter und bleibt — eine neue Perle unseres Scheinconstitutionalismus — in der Hauptsache bei dem Beschlusse der Bundesversammlung vom 28. Juni 1832 (!) Art. 2 stehen: „Keinem deutschen Souverain dürfen durch die Landstände die zur Führung einer der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforder¬ lichen Mittel verweigert werden." (v. Meyer, Lorx. covst. Kerw. I. p. 74.) Mag man dies für Preußen und Deutschland noch so unwillig tragen, noch so schwer fühlen, man muß es als geltendes Gesetz der Gegenwart an¬ erkennen und kann es nur auf gesetzlichem Wege ändern (Art. 107; 62.). Wendet man die bisher entwickelten Grundsätze auf die in gewissem Sinne noch schwebende Frage der Gebäudesteuer an, so zeigt sich, daß die zweite Kammer nicht berechtigt war, den auf Grund des Gesetzes von 1861 durch die Regierung in dem Budgetentwurf von 1865 aufgeführten Posten der Gebäude- steuer lediglich abzusetzen. Denn die gesetzlich seit 1861 bestehende, vom 1. Januar 1865 ab fällige Steuer konnte gemäß Obigem verfassungsmäßig nur ein Gesetz beseitigen. Die Gründe, welche die Redner der entgegengesetzten Ansicht, be¬ sonders Waldeck, Löwe. Schulze-Delitzsch, am 13. Mai d. I. für die von ihnen beantragte und vertheidigte Absetzung der Steuer anführen, erweisen sich als nicht stichhaltig. Waldeck sieht die Steuer als noch nicht bestehende dem Hause gegenüber an, weil sie erst mit dem 1. Januar 1865 fällig, das Budget aber gemäß Art. 99 der Verfassung vor Beginn des Budgetjahres festgestellt werden soll. Wenn auch die Praxis bisher das „im Voraus" des Art. 99 stets illusorisch gemacht hat, ja nach dem Gesetze vom 18. Mai 1857 über die Einberufung der Kammern vom November bis Mitte Januar illusorisch machen muß, so hat Waldeck doch sicher darin Recht, daß das Haus die Gebäudesteuer jetzt so ansehen muß, als wäre sie vom bevorstehenden 1. Januar 1865 erst fällig. Aber, wie oben gezeigt, liegt darin kein Heil für Waldccks Ansicht. Die Steuer ist zwar erst vom 1. Januar 1865 fällig, aber das Recht der Regierung und die Pflicht der Bürger, sie von dieser Zeit ab zu fordern resp, zu zahlen, bestehen schon seit dem Gesetze von 1861 und durch dieses. Damit besteht be. reits die Steuer vor dem 1. Januar Itz65. Schon durch das Gesetz von 1861 allein sind die preußischen Staatsbürger gemäß Art. 99, 100. 109 verpflichtet, vom 1. Januar 1865 ab der Regierung die Gebäudesteuer zu zahlen; denn für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/402>, abgerufen am 29.06.2024.