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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Revisionsvorschläge Seitens der ersten Kammer an sie von den obigen. Be¬
schlüssen nirgend abging, wurden die einander aufs ebenden Artikel 99.
100. 109 in der Fassung des Textes der Verfassungsurkunde
mit gleicher Geltun g nebeneinander beibehalten.

Aus den Motiven der Beschlüsse und Anträge, sowie aus den Debatten
obiger Verhandlungen ergiebt sich übrigens, daß. wie heute, eine erhebliche
Meinungsverschiedenheit obwaltete in dem Verständniß der "bestehenden
Steuern und Abgaben" des Art 109. Die Einen behielten und behalten hier¬
bei die obige Geschichte des Art. 109 im Auge und erklären den Ausdruck mit:
die damals. 1848, bestehenden Steuern und Abgaben; daher.lautet der Passus
in den Revisionsverhandlungen von 1849 oft: die gegenwärtig bestehenden
Steuern". Die Andern faßten und fassen die Worte als allgemein giltige
Bestimmung: die jedesmal bestehenden Steuern und Abgaben. Jene aber
glaubten eben wegen seiner nur geschichtlichen, nur vorübergehenden Geltung
den fraglichen Passus des Art. 109 streichen zu müssen. diese dagegen wollten ihn
als eine bleibenden Bestimmung aufrecht erhalten wissen. Nun ist aber, wie
gezeigt, der Art. 109 ein bleibender Bestandtheil unsrer Verfassungsurkunde
geworden; er stehr zwar nicht, wie es richtig wäre, in Titel VIII von den
Finanzen, sondern unter den "Allgemeinen Bestimmungen", nicht aber unter
den Uebergangsbestimmungen. Sonach bleibt für seine Auslegung das Ver¬
ständniß derer maßgebend, welche ihn 1849, als er ein bleibender Artikel wurde,
eben in dieser Stellung auffaßten und vertheidigten. Und diese sahen den Art.
109 ausdrücklich als eine Einschränkung des in den Artikeln 99 und 100
begründeten unbegrenzten Steuerbewilligungsrechtes der Volksvertreter an und
als eine nothwendige Einschränkung, um, wie es in der Revisionskommission
der zweiten Kammer ausgesprochen wurde > die Gefahren des Steuerverweiger¬
ungsrechtes der Kammern zu vermeiden, wodurch das absolute Veto der Krone
vernichtet werden und die ganze Staatsmaschine ins Stocken gerathen könne.
Schärfer noch drückte sich der Centralausschuß der ersten Kammer dahin aus:
Man dürfe keinen derartigen Unterschied zwischen gewöhnlichen
Gesetzen und Steuergesetzen durch Streichung des Art. 109 statuiren,
widrigenfalls man die Kammer über den König erhebe, wenn einer Kammer
allein das Recht der Aufhebung bestehender Steuergesetze beigelegt werde. ES
sei ein den Keim der Revolution in sich tragender Grundsatz, wenn die Ver-
fassung festsetze, daß die einfache Weigerung einer der beiden Kammern ein
neues Budget festzusetzen, die Forterhebung der bestehenden Steuern verhindern
könne. Ebenso wurde damals (1849) von Seiten der Staatsregierung aus¬
drücklich bestritten, daß der Art. 109 nur eine vorübergehende Bedeutung habe.
Dergleichen Zeugnisse für die Ausfassung des Art. 109 als eines bleibenden
und als eine absichtliche Beschränkung der Art. 99 und 100 lassen sich aus de"


GttNjboten it. 18SS. 48

Revisionsvorschläge Seitens der ersten Kammer an sie von den obigen. Be¬
schlüssen nirgend abging, wurden die einander aufs ebenden Artikel 99.
100. 109 in der Fassung des Textes der Verfassungsurkunde
mit gleicher Geltun g nebeneinander beibehalten.

Aus den Motiven der Beschlüsse und Anträge, sowie aus den Debatten
obiger Verhandlungen ergiebt sich übrigens, daß. wie heute, eine erhebliche
Meinungsverschiedenheit obwaltete in dem Verständniß der „bestehenden
Steuern und Abgaben" des Art 109. Die Einen behielten und behalten hier¬
bei die obige Geschichte des Art. 109 im Auge und erklären den Ausdruck mit:
die damals. 1848, bestehenden Steuern und Abgaben; daher.lautet der Passus
in den Revisionsverhandlungen von 1849 oft: die gegenwärtig bestehenden
Steuern". Die Andern faßten und fassen die Worte als allgemein giltige
Bestimmung: die jedesmal bestehenden Steuern und Abgaben. Jene aber
glaubten eben wegen seiner nur geschichtlichen, nur vorübergehenden Geltung
den fraglichen Passus des Art. 109 streichen zu müssen. diese dagegen wollten ihn
als eine bleibenden Bestimmung aufrecht erhalten wissen. Nun ist aber, wie
gezeigt, der Art. 109 ein bleibender Bestandtheil unsrer Verfassungsurkunde
geworden; er stehr zwar nicht, wie es richtig wäre, in Titel VIII von den
Finanzen, sondern unter den „Allgemeinen Bestimmungen", nicht aber unter
den Uebergangsbestimmungen. Sonach bleibt für seine Auslegung das Ver¬
ständniß derer maßgebend, welche ihn 1849, als er ein bleibender Artikel wurde,
eben in dieser Stellung auffaßten und vertheidigten. Und diese sahen den Art.
109 ausdrücklich als eine Einschränkung des in den Artikeln 99 und 100
begründeten unbegrenzten Steuerbewilligungsrechtes der Volksvertreter an und
als eine nothwendige Einschränkung, um, wie es in der Revisionskommission
der zweiten Kammer ausgesprochen wurde > die Gefahren des Steuerverweiger¬
ungsrechtes der Kammern zu vermeiden, wodurch das absolute Veto der Krone
vernichtet werden und die ganze Staatsmaschine ins Stocken gerathen könne.
Schärfer noch drückte sich der Centralausschuß der ersten Kammer dahin aus:
Man dürfe keinen derartigen Unterschied zwischen gewöhnlichen
Gesetzen und Steuergesetzen durch Streichung des Art. 109 statuiren,
widrigenfalls man die Kammer über den König erhebe, wenn einer Kammer
allein das Recht der Aufhebung bestehender Steuergesetze beigelegt werde. ES
sei ein den Keim der Revolution in sich tragender Grundsatz, wenn die Ver-
fassung festsetze, daß die einfache Weigerung einer der beiden Kammern ein
neues Budget festzusetzen, die Forterhebung der bestehenden Steuern verhindern
könne. Ebenso wurde damals (1849) von Seiten der Staatsregierung aus¬
drücklich bestritten, daß der Art. 109 nur eine vorübergehende Bedeutung habe.
Dergleichen Zeugnisse für die Ausfassung des Art. 109 als eines bleibenden
und als eine absichtliche Beschränkung der Art. 99 und 100 lassen sich aus de»


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[0401] Revisionsvorschläge Seitens der ersten Kammer an sie von den obigen. Be¬ schlüssen nirgend abging, wurden die einander aufs ebenden Artikel 99. 100. 109 in der Fassung des Textes der Verfassungsurkunde mit gleicher Geltun g nebeneinander beibehalten. Aus den Motiven der Beschlüsse und Anträge, sowie aus den Debatten obiger Verhandlungen ergiebt sich übrigens, daß. wie heute, eine erhebliche Meinungsverschiedenheit obwaltete in dem Verständniß der „bestehenden Steuern und Abgaben" des Art 109. Die Einen behielten und behalten hier¬ bei die obige Geschichte des Art. 109 im Auge und erklären den Ausdruck mit: die damals. 1848, bestehenden Steuern und Abgaben; daher.lautet der Passus in den Revisionsverhandlungen von 1849 oft: die gegenwärtig bestehenden Steuern". Die Andern faßten und fassen die Worte als allgemein giltige Bestimmung: die jedesmal bestehenden Steuern und Abgaben. Jene aber glaubten eben wegen seiner nur geschichtlichen, nur vorübergehenden Geltung den fraglichen Passus des Art. 109 streichen zu müssen. diese dagegen wollten ihn als eine bleibenden Bestimmung aufrecht erhalten wissen. Nun ist aber, wie gezeigt, der Art. 109 ein bleibender Bestandtheil unsrer Verfassungsurkunde geworden; er stehr zwar nicht, wie es richtig wäre, in Titel VIII von den Finanzen, sondern unter den „Allgemeinen Bestimmungen", nicht aber unter den Uebergangsbestimmungen. Sonach bleibt für seine Auslegung das Ver¬ ständniß derer maßgebend, welche ihn 1849, als er ein bleibender Artikel wurde, eben in dieser Stellung auffaßten und vertheidigten. Und diese sahen den Art. 109 ausdrücklich als eine Einschränkung des in den Artikeln 99 und 100 begründeten unbegrenzten Steuerbewilligungsrechtes der Volksvertreter an und als eine nothwendige Einschränkung, um, wie es in der Revisionskommission der zweiten Kammer ausgesprochen wurde > die Gefahren des Steuerverweiger¬ ungsrechtes der Kammern zu vermeiden, wodurch das absolute Veto der Krone vernichtet werden und die ganze Staatsmaschine ins Stocken gerathen könne. Schärfer noch drückte sich der Centralausschuß der ersten Kammer dahin aus: Man dürfe keinen derartigen Unterschied zwischen gewöhnlichen Gesetzen und Steuergesetzen durch Streichung des Art. 109 statuiren, widrigenfalls man die Kammer über den König erhebe, wenn einer Kammer allein das Recht der Aufhebung bestehender Steuergesetze beigelegt werde. ES sei ein den Keim der Revolution in sich tragender Grundsatz, wenn die Ver- fassung festsetze, daß die einfache Weigerung einer der beiden Kammern ein neues Budget festzusetzen, die Forterhebung der bestehenden Steuern verhindern könne. Ebenso wurde damals (1849) von Seiten der Staatsregierung aus¬ drücklich bestritten, daß der Art. 109 nur eine vorübergehende Bedeutung habe. Dergleichen Zeugnisse für die Ausfassung des Art. 109 als eines bleibenden und als eine absichtliche Beschränkung der Art. 99 und 100 lassen sich aus de» GttNjboten it. 18SS. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/401>, abgerufen am 28.09.2024.