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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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erleichterungen mit Oestreich und den übrigen dem Zollverein nicht beigetretenen
deutschen Staaten vereinbart werden dürften, ohne daß dieselben sofort auch
auf Frankreich zur Anwendung kämen. Für den Fall, daß dieser Antrag
Widerspruch erfahre, war den betheiligten Regierungen freie Entschließung vor¬
behalten und nur die "Hoffnung" ausgesprochen, daß dieselben alsdann eine
anderweite Berathung über ferneres gemeinschaftliches Handeln eintreten lassen
würden.

Wir sehen, man hatte schon merklich weniger Selbstgefühl und Vertrauen.
Von Sprengung des Zollvereins war nicht mehr die Rede, und man wollte
zwar mit dem Gegenantrag den Schachzug von der Münchner Conferenz noch
einmal versuchen, aber es war schon nicht mehr möglich, für den Fall, daß
dieser Antrag abgelehnt würde, eine Verpflichtung zu weiterem Zusammen¬
wirken durchzubringen. Man mußte sich mit einer bloßen Hoffnung begnügen.

Die berliner Generalconferenz der Zollvereinsstaaten behufs Erneuerung
der Zollvereinsverträge wurde am 5. November 1863 eröffnet. Die Anträge,
welche Preußen stellte, bezogen sich auf Annahme der Verträge mit Frankreich,
Umgestaltung des Tarifs und Aenderung der Bestimmungen über das Präci-
Puum der Staaten des frühern Steuervereins. In der ersten Sitzung schon
wurde der in München verabredete Gegenantrag auf sofortigen Beginn der
Verhandlungen mit Oestreich übergeben und in derselben Sitzung auch von
Preußen abgelehnt. Darauf stellte Baden den vermittelnden Antrag, absehend
von allen principiellen Differenzen eine specielle Berathung des von Preußen
vorgelegten Entwurfs zu einem neuen Vereinstarif vorzunehmen. Die Bevoll¬
mächtigten von Bayern, Würtemberg, Hessen-Darmstadt und Nassau gingen
auf diese Berathung "unter principieller Wahrung ihres Standpunktes und
unpräjudicirlich" ein, und siehe da. bei der Prüfung des Tarifentwurfs --
der nichts anderes als die Verallgemeinerung des Tarifs L zum Handelsver¬
trag mit Frankreich war -- zeigte sich, daß zwar gegen einzelne Punkte von
einzelnen Regierungen Einwendungen erhoben wurden, bei keiner derselben
aber ein tiefer gehendes und principielles Bedenken gegen die Annahme vor¬
handen war.

Sachsen stellte nunmehr den Antrag: 1. daß diejenigen Regierungen, welche
dem Vertrag mit Frankreich noch nicht beigetreten, die Punkte, welche sie daran
hinderten, speciell bezeichnen möchten, 2. daß die Regierungen von Preußen.
Bayern und Sachsen beauftragt werden möchten, die Verhandlungen mit Oest¬
reich auf Grund des Vertrags vom 19. Februar 1863 und mit Berücksichtigung
der östreichischen Vorschläge vom 10. Juli 1862 zu beginnen, womit sich sämmt¬
liche Vereinsstaaten einverstanden erklärten. Vom 1. December an begann die
Conferenz die Prüfung des Handelsvertrags mit Frankreich, und es stellte sich
heraus, daß der Widerstand gegen denselben sich im Wesentlichen nur auf den


Gr-nzbotm II. 1865. ^

erleichterungen mit Oestreich und den übrigen dem Zollverein nicht beigetretenen
deutschen Staaten vereinbart werden dürften, ohne daß dieselben sofort auch
auf Frankreich zur Anwendung kämen. Für den Fall, daß dieser Antrag
Widerspruch erfahre, war den betheiligten Regierungen freie Entschließung vor¬
behalten und nur die „Hoffnung" ausgesprochen, daß dieselben alsdann eine
anderweite Berathung über ferneres gemeinschaftliches Handeln eintreten lassen
würden.

Wir sehen, man hatte schon merklich weniger Selbstgefühl und Vertrauen.
Von Sprengung des Zollvereins war nicht mehr die Rede, und man wollte
zwar mit dem Gegenantrag den Schachzug von der Münchner Conferenz noch
einmal versuchen, aber es war schon nicht mehr möglich, für den Fall, daß
dieser Antrag abgelehnt würde, eine Verpflichtung zu weiterem Zusammen¬
wirken durchzubringen. Man mußte sich mit einer bloßen Hoffnung begnügen.

Die berliner Generalconferenz der Zollvereinsstaaten behufs Erneuerung
der Zollvereinsverträge wurde am 5. November 1863 eröffnet. Die Anträge,
welche Preußen stellte, bezogen sich auf Annahme der Verträge mit Frankreich,
Umgestaltung des Tarifs und Aenderung der Bestimmungen über das Präci-
Puum der Staaten des frühern Steuervereins. In der ersten Sitzung schon
wurde der in München verabredete Gegenantrag auf sofortigen Beginn der
Verhandlungen mit Oestreich übergeben und in derselben Sitzung auch von
Preußen abgelehnt. Darauf stellte Baden den vermittelnden Antrag, absehend
von allen principiellen Differenzen eine specielle Berathung des von Preußen
vorgelegten Entwurfs zu einem neuen Vereinstarif vorzunehmen. Die Bevoll¬
mächtigten von Bayern, Würtemberg, Hessen-Darmstadt und Nassau gingen
auf diese Berathung „unter principieller Wahrung ihres Standpunktes und
unpräjudicirlich" ein, und siehe da. bei der Prüfung des Tarifentwurfs —
der nichts anderes als die Verallgemeinerung des Tarifs L zum Handelsver¬
trag mit Frankreich war — zeigte sich, daß zwar gegen einzelne Punkte von
einzelnen Regierungen Einwendungen erhoben wurden, bei keiner derselben
aber ein tiefer gehendes und principielles Bedenken gegen die Annahme vor¬
handen war.

Sachsen stellte nunmehr den Antrag: 1. daß diejenigen Regierungen, welche
dem Vertrag mit Frankreich noch nicht beigetreten, die Punkte, welche sie daran
hinderten, speciell bezeichnen möchten, 2. daß die Regierungen von Preußen.
Bayern und Sachsen beauftragt werden möchten, die Verhandlungen mit Oest¬
reich auf Grund des Vertrags vom 19. Februar 1863 und mit Berücksichtigung
der östreichischen Vorschläge vom 10. Juli 1862 zu beginnen, womit sich sämmt¬
liche Vereinsstaaten einverstanden erklärten. Vom 1. December an begann die
Conferenz die Prüfung des Handelsvertrags mit Frankreich, und es stellte sich
heraus, daß der Widerstand gegen denselben sich im Wesentlichen nur auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/393>, abgerufen am 29.06.2024.